Duncan Laurence
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Song Contest

Souveräner Sieg der Niederlande

Der Sieger des 64. Song Contest heißt Duncan Laurence. Der Niederländer bot am Samstagabend im Convention Center von Tel Aviv mit „Arcade“ einen hymnischen und erhebenden Song mit einer für Song-Contest-Verhältnisse sehr reduzierten Bühnenumsetzung. Es war ein zu erwartender Sieg. Platz zwei und drei gingen an Italien und Russland. Überrascht hat insbesondere Nordmazedonien.

Was sich bereits im Semifinale mit einem auffällig starken Auftritt deutlich abgezeichnet hat, ist am Samstagabend in Tel Aviv letztlich auch eingetreten. Der seit Wochen als Topfavorit gehandelte Laurence hat den heurigen Song Contest mit der hymnischen Ballade „Arcade“ souverän für sich entschieden. Mit großen Gefühlen und Melodien sowie mit viel Bemühen um Authentizität absolvierte Laurence im Alleingang einen hochkonzentrierten Auftritt, der ohne Schnickschnack ausgekommen ist.

Ein dramatischer wolkenverhangener Himmel war letztlich ausreichend, um den Song in atmosphärischer Hinsicht auf die Spitze zu treiben. Laurences Triumph in Tel Aviv ist zwar der bereits fünfte Sieg für die Niederlande beim Song Contest, doch er beendete mit seiner Darbietung eine jahrzehntelange Durststrecke. Es handelt sich um den ersten Song-Contest-Titel für die Niederlande seit dem Jahr 1975.

Duncan Laurence
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Duncan hielt dem Druck des Favoriten Stand und holte das gläserne Mikrofon in die Niederlande

Locker-lässiges Italien

Nur Italien musste sich am Samstagabend den Niederlanden geschlagen geben. Mahmood hat mit „Soldi“ einen der lässigsten Auftritte des Abends hingelegt. Präzise, knappe Elektrobeats in Kombination mit eindringlichem Sprechgesang und einem Italo-Pop-Refrain, der sich auf jeder Urlaubsmusikkassette der 1980er gut gemacht hätte, sorgten für ein herausragendes Gesamtpaket, das auch gezeigt hat, dass es gar nicht notwendig ist, sich auf der Bühne großartig körperlich zu verausgaben. Der Italiener mit der lockeren Art lieferte in Relation zu den tanzbaren Beats von „Soldi“ eine verhältnismäßig statische Darbietung ab, was angesichts Mahmoods starker Bühnenpräsenz kein Defizit war.

Niederlande: Duncan Laurence „Arcade“

Das Siegerlied des 64. Song Contests

Platz drei ging an Russland. Song-Contest-Veteran Sergej Lazarew inszenierte ein düsteres Schauspiel unter starker Einbindung diverser Naturgewalten aus der Trickkiste. Digitalen Wind- und Wetterkapriolen ausgesetzt, vervielfachte sich Lazarew mittels Digitaleffekten und veranstaltete mit der Ballade „Scream“ ein opulentes Bühnendrama mit der offensichtlichen Neigung zum Bombastischen. Lazarew war bereits in Stockholm im Jahr 2016 Dritter geworden.

Topergebnis für die Schweiz

Das beste Ergebnis seit dem Jahr 2005 hat die Schweiz eingefahren. Der durch Castingshows bekannt gewordene Luca Hänni war am Samstagabend für die temporeichen Momente des Finales zuständig. „She Got Me“ bedeutete elektronische Tanzmusik mit ethnischen Elementen. Es war ein Auftritt mit viel Körpereinsatz, der vom europäischen Publikum und der Jury in Summe auf den vierten Platz gereiht wurde.

Norwegens Mut zur Eigenwilligkeit wurde mit Platz fünf belohnt. Das Trio KEiiNO verschmolz Eurodance-Sounds mit Joik-Lauten – die traditionelle Gesangstechnik des indigenen Volkes der Samen. Die Joik-Einlagen von Sänger Fred Buljo, der samische Wurzeln hat, weckten Assoziationen zu skandinavischen Heldenepen und Schlachtgesängen, was offensichtlich europaweit genügend Eindruck hinterlassen hat.

Gospelgetränktes Schweden

Auch im Fall von Schweden sind die Prophezeiungen der Buchmacher hinsichtlich eines vorderen Platzes eingetreten. Die Darbietung der gospelgetränkten Ballade „Too Late for Love“ von John Lundvik war einer der musikalischen Höhepunkte des Finales, was am Ende des Votings den sechsten Platz für den sympathischen und sehr beseelten Schweden bedeutete.

Aserbaidschan, das in den vergangenen Jahren immer wieder mit starken Beiträgen aufgefallen war, holte heuer Platz sieben. Dafür verantwortlich war Chingiz mit „Truth“, der eine elektrolastige Disconummer im mittleren Tempobereich mit einprägsamem Falsettgesang geboten hat. Eine hochprofessionelle Produktion nach US-amerikanischen Vorbildern, die ganz ohne Song Contest-Klischees über die Bühne ging.

Nordmazedonien als große Überraschung

Nordmazedonien, das heuer erstmals unter dem neuen Landesnamen angetreten ist, und dabei angesichts des klassischen Songs und der eleganten mintgrünen Abendrobe von Tamara Todevska einen überaus aufgeräumten Eindruck hinterlassen hat, war die größte Überraschung des Abends. Todevskas sehr natürliches Auftreten und die emotionale Ballade „Proud“ führten letztlich zum achten Platz. Bei der Jurywertung lag Nordmazedonien sogar auf dem sensationellen Platz zwei.

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Italien, Mahmood
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Mahmood für Italien mit Soldi – er wurde knapper Zweiter
Tamara Todevska aus Nordmazedonien
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Die Überraschung des Abends: Für Nordmazedonien Tamara Todevska mit „Proud“
Sisters aus Deutschland
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Deutschlands S!sters mit „Sister“
Miki, Spanien
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Spanien mit Miki und „La Venda“
Israel, Kobi Marimi
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Kobi Marini vertrat das Gastgeberland Israel mit „Home“
Michael Rice aus Großbritannien
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Michael Rice und „Bigger Than Us“ für Großbritannien
Frankreich, Bilal Hassani
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Bilal Hassani mit „Roi“ für Frankreich
Duncan Laurence aus den Niederlanden
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Für die Niederlande siegte Duncan Laurence mit „Arcade“
John Lundvik aus Schweden
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Für Schweden John Lundvik mit „Too Late for Love“
Luca Hanni aus der Schweiz
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Für die Schweiz Luca Hänni mit „She Got Me“
KEiiNO aus Norwegen
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Für Norwegen KEiiNO in „Spirit in the Sky“
Leonora aus Dänemark
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Für Dänemark Leonora mit „Love Is Forever“
Michela aus Malta
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Für Malta Michela mit „Chameleon“
Chingiz aus Aserbaidschan
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Für Aserbaidschan Chingiz in „Truth“
Sergey Lazarev aus Russland
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Für Russland Sergey Lazarev mit „Scream“
Jonida Maliqi aus Albanien
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Für Albanien Jonida Maliqi mit „Ktheju tokes“

Die hohen Erwartungen nicht ganz erfüllen konnte Australien. Kate Miller-Heidke hatte im Zuge der Performance von „Zero Gravity“ eine hochambitionierte Show zu bieten, die darin gipfelte, dass Miller-Heidke an eine Stange geschnallt mehrere Meter hoch über dem Bühnenboden sanft im Takt pendelnd sang. Eine bombastische Inszenierung, die an den Cirque du Soleil ebenso erinnerte wie an mittelalterliche Hinrichtungstechniken. Dazu gab es schrill tönende Gesangseinlagen, die mitunter nach Mozarts „Zauberflöte“ geklungen haben. Die Aufmerksamkeit war ihr sicher. Platz neun für Australien.

Brachiale Gesellschaftskritik aus Island

Auf dem zehnten Platz landete der exzentrischste Auftritt des Abends. Hatari, ein isländisches Kunstprojekt, demonstrierte mit „Hatrid mun sigra“ auf der textlichen Ebene sehr viel Haltung und hinsichtlich der Musik eine Neigung zu höherem Lärm. Der brachial mit stampfenden Elektrobeats und mit gepressten Gesangslauten umgesetzte Song transportierte im Unterschied zum Soundgewand eine gesellschaftskritische und pazifistische Botschaft.

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Kate Miller-Heidke, Australien
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Kate Miller-Heidke mit „Zero Gravity“ für Australien
Hatari, Island
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Hatari mit „Hatrid mun sigra“ für Island
Zala Kralj & Gasper Santl, Slowenien
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Zala Kralj & Gasper Santl mit „Sebi“ für Slowenien
Lake Malawi, Tschechien
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Lake Malawi mit „Friend of a Friend“ für Tschechien
Victor Crone, Estland
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Victor Crone mit „Storm“ für Estland
Tamta, Zypern
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Tamta mit „Replay“ für Zypern
Nevena Bozovic
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Nevena Bozovic mit „Kruna“ für Serbien
Zena, Weißrussland
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Zena mit „Like It“ für Weißrussland
Katerine Duska
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Katerine Duska mit „Better Love“ für Griechenland
Serhat, San Marino
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Serhat mit „Say Na Na Na“ für San Marino

Einen sehr frischen Eindruck hat Tschechien mit der Band Lake Malawi hinterlassen. Der federleichte Synthesizer-Pop des Trios war musikalisch deutlich von den 1980er Jahren inspiriert. „Friend of a Friend“ lag am Schluss des Votings auf dem elften Platz.

Optimismus aus dem dänischen Kinderzimmer

Der kindhaft-fröhlich gestimmte Beitrag aus Dänemark von Leonora hat es auf Platz zwölf geschafft. „Love Is Forever“ bot einen sehr optimistischen Blick auf die Welt und verbreitete in Tel Aviv ein wenig Kinderzimmeratmosphäre. Einen eher harmlosen Zugang wählte auch Slowenien. Das Duo Zala Kralj & Gasper Santl war mit einer zart dargebrachten Ballade namens „Sebi“ an den Start gegangen. Ein durch und durch introvertierter und blutleerer Auftritt, der am Ende den 13. Platz einbrachte.

Ein Zeugnis der mitunter ausgeprägten Formelhaftigkeit des diesjährigen Song Contest war der Beitrag von Frankreich. Bilal Hassani absolvierte einen Auftritt in der Tradition von Conchita Wurst, jedoch in der Ausführung wesentlich handzahmer und weniger auf den Punkt gebracht. Der Song „Roi“ schaffte es am Ende auf Platz 14.

Züchtigung auf zypriotisch

Auch Zypern wählte den Weg des zweiten Aufgusses einer bewährten Erfolgsformel und hat sich hinsichtlich der Ideenfindung nicht wahnsinnig verausgabt. „Replay“ von Tamta bedeutete eine Kopie des letztjährigen, hocherfolgreichen zypriotischen Beitrags von Eleni Foureira. Angesichts Tamtas Outfit, das Latex, Lack und um die Hüfte baumelnde Glasklunker kombinierte, hatte der Auftritt auch einen Hauch von einem Dominastudio. Platz 15 für die Mittelmeer-Insel.

Michela aus Malta, die das Finale eröffnet hatte, landete mit den Dancehall-Sounds von „Chameleon“ auf dem 16. Platz. Den obligatorischen Schmachtfetzen des Abends legte Nevena Bozovic mit „Kruna“ aus Serbien hin und war damit vielen Song-Contest-Klischees auf der Spur. Als schwarzgewandete Amazone mit viel Metallgeschirr an den Armen und um den Hals reichte es für Serbiens Teilnehmerin für den 17. Platz.

San Marinos singender Zahnarzt

In eine ähnliche Kerbe schlug der Auftritt von Jonida Maliqi, die mit dem Song „Ktheju tokes“ für Albanien einen dramatischen Song mit satten Trommeln und überhöhter Leidenschaft abgeliefert hat und schlussendlich 18. wurde. Gefolgt von Victor Crone aus Estland, der im Finale für die braveren Töne gesorgt hatte. „Storm“ bediente sich bei altbekannten Song-Contest-Schemata und wollte dementsprechend niemanden so recht vom Hocker reißen.

Dass sich Serhat, der nach 2016 in Stockholm bereits zum zweiten Mal für San Marino beim Song Contest dabei war, überhaupt fürs Finale qualifiziert hat, wurde nach dem ersten Halbfinale am Dienstag als eine kleine Sensation gewertet. Doch der singende Zahnarzt wollte die Töne von „Say Na Na Na“ auch im Finale nicht so recht treffen, hatte aber offensichtlich viel Spaß auf der Bühne. Platz 20 für San Marino.

Griechenlands Absturz

Im ersten Halbfinale von den Buchmachern noch hoch gehandelt, wurde es für Griechenland im Endeffekt nur der 21. Platz. Auch wenn Katerine Duska in der Darbietung von „Better Love“ eine starke Stimme bot. Doch die schwer zu deutende Inszenierung in Form einer viktorianisch anmutenden Kostümparty war offensichtlich nicht besonders förderlich.

Viel gute Laune in optischer und in akustischer Hinsicht hatte Spaniens Miki zu verbreiten. „La Venda“ bedeutete eine flotte Partynummer und eine knallbunte Inszenierung mit zerfließenden Farberuptionen in der Tradition des indischen Holi-Fests. Platz 22 für einen eher belanglosen Beitrag.

Abgeschlagenes Gastgeberland

Ein ähnliches Schicksal wie Österreich anno 2015 in Wien hat Gastgeber Israel ereilt. Trotz eines souveränen Beitrags kam Kobi Marimi mit „Home“ nicht über den 23. Platz hinaus. Ein miserables Ergebnis hat einmal mehr Deutschland eingefahren. Der Popsong „Sister“ des gecasteten Duos S!sters drehte sich textlich um das Thema Frauensolidarität, ließ aber in musikalischer Hinsicht jeglichen Zeitgeist vermissen, was zu Platz 24 geführt hat.

Kobi Marimi, Israel
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Die Freddie-Mercury-Hommage von Israels Kandidat Kobi Marimi landet abgeschlagen auf Platz 23

Weißrussland und Großbritannien als Schlusslichter

Wenig erfreulich ging der Song Contest 2019 auch für Weißrusslands Zena und „Like It“ zu Ende. Platz 25 für etwas beliebige elektronische Beats und noch beliebigere Pyrotechnik-Einlagen. Die Tradition des großen Scheiterns hat am Samstagabend Großbritannien fortgesetzt. „Bigger Than Us“ von Michael Rice wollte wenig und hat von Publikum wie Jury genauso wenig Gegenliebe erhalten, was am Ende den letzten Platz einbrachte, der sich in eine miserable Bilanz einreiht: In den letzten 20 Jahren haben es die Briten nur zweimal unter die Top Ten geschafft.

Finale mit hochkarätigen Gastauftritten

Ein Wiedersehen mit vielen ehemaligen Gewinnern brachten die Gastauftritte des heurigen Finales. Mans Zelmerlöw intonierte „Fuego“ von Eleni Foureira, Conchita Wurst sang Zelmerlöws „Heroes“. Auch Verka Serduchka, die Nettas „Toy“ zum Besten gab, Gali Atari und Dana International waren zu hören.

Madonnas Gastauftritt

Gegen Mitternacht sang Madonna mit klar erkennbar schiefen Tönen ihren 30 Jahre alten Hit „Like a Prayer“ sowie als Weltpremiere den neuen Song „Future“.

Und letztlich gipfelten die israelischen Ambitionen hinsichtlich prestigeträchtiger Gasteinlagen in einem Auftritt von Madonna. Wobei noch wenige Tage vor dem Finale nicht sicher war, ob der Popsuperstar tatsächlich singen wird. Neben dem 30 Jahre alten Klassiker „Like a Prayer“, der von einem 35-köpfigen Chor verstärkt wurde, stand auch die neue Nummer „Future“ am Programm. Weiter geht es im Mai 2020 in Amsterdam.