„Genug ist genug“

Kurz will Neuwahlen

„Genug ist genug“ – mit diesen Worten verkündete Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Samstag das Ende der Regierung. Er tue damit das, was richtig und notwendig für Österreich sei. „Die FPÖ schadet dem Reformprojekt“, so Kurz. Davor überschlugen sich die Ereignisse nach der Veröffentlichung des „Ibiza-Videos“.

Kurz’ Entscheidung war mit Spannung erwartet worden. Er habe Bundespräsident Alexander Van der Bellen vorgeschlagen, „vorgezogene Wahlen durchzuführen, und zwar zum schnellstmöglichen Zeitpunkt“. Das wirklich schwerwiegende und problematische an den Aussagen des Vizekanzlers seien die Ideen des Machtmissbrauchs, die Ideen zum Umgang mit österreichischen Steuergeldern, natürlich auch das Verständnis gegenüber der Medienlandschaft in unserem Land".

Weitermachen gehe jedenfalls mit der FPÖ nicht mehr, so Kurz. Auch die SPÖ sei nach wie vor kein geeigneter Regierungspartner für die ÖVP. „Die SPÖ teilt meine Zugänge nicht“, sagte der Kanzler. „Und die kleinen Parteien sind zu klein.“ Aus diesem Grund wählte er den Schritt der vorgezogenen Nationalratswahl.

„Klare Verhältnisse und klaren Wählerauftrag“

In diesem Moment brach auf dem Ballhausplatz vor dem Bundeskanzleramt Jubel aus, wo sich etwa 5.000 Menschen zu einer spontanen Demonstration versammelt hatten. Viele von ihnen hatten bereits den ganzen Nachmittag ausgeharrt und feierten das Ende der ÖVP-FPÖ-Koalition mit „Kurz muss weg“-Sprechchören. Die Demonstration war der Polizei zufolge laut, aber friedlich.

Kurz sagte, er habe nicht den Eindruck gewonnen, dass es in der FPÖ den Willen gebe, die Partei zu ändern, „was dringend notwendig“ wäre. Zwar bezeichnete der Bundeskanzler die heimliche Aufzeichnung des Videos als „verachtenswert“, geißelte aber auch die darin geäußerten „Ideen des Machtmissbrauchs“.

Nur wenn die ÖVP nach den kommenden Wahlen die Möglichkeit habe, „ganz eindeutig den Ton anzugeben“, könne er die begonnene Veränderung fortsetzen, meinte Kurz und warb daher für „klare Verhältnisse und einen klaren Wählerauftrag“. Er wolle „mit Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung“ für Österreich arbeiten, und zwar „ganz ohne Einzelfälle, Zwischenfälle und andere Skandale“. Das „Ibiza-Video“ hätte dem Ansehen dieses Landes geschadet, so Kurz.

Sebastian Kurz
APA/Roland Schlager
Kurz ließ sich mit seiner Entscheidung lange Zeit

Zuvor wies Kurz noch auf die „geschafften“ Meilensteine der Regierung hin, die nun eine der flüchtigsten Regierungen der Zweiten Republik wird. Mit Samstag sind erst 516 Tage – ein Jahr und fünf Monate – seit der Angelobung am 18. Dezember 2017 vergangen. Geht es nach der Wahl – bei der noch unklar ist, wann sie stattfinden wird – nicht weiter für ÖVP und FPÖ, ist diese die kürzeste aller Koalitionen. Innenpolitikexpertinnen und -experten gehen davon aus, dass die Neuwahl im September stattfinden könnte.

Strache und Gudenus zurückgetreten

Dem vorausgegangen war der Rücktritt von Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ), der auf Ibiza in eine Falle getappt war und unter anderem öffentliche Aufträge für russisches Geld in den Raum gestellt hatte. In seiner mittägigen Stellungnahme inszenierte sich Strache als Opfer einer Verschwörung gegen ihn, gestand aber zu, sich danebenbenommen zu haben.

Eine Rolle habe dabei wohl auch die angebliche russisch-lettische Oligarchin gespielt, die er habe beeindrucken wollen. Strache, den man auf einem Videomitschnitt von der verhängnisvollen Begegnung auf Ibiza tüchtig Wodka-Red-Bull trinken sah, sprach von einer „bsoffenen Gschicht“. Allerdings habe er dabei immer wieder darauf hingewiesen, die Bestimmungen des Rechtsstaats einzuhalten.

Sebastian Kurz
APA/Helmut Fohringer
Das nationale und internationale Medieninteresse war enorm

Dass er seine Funktionen in Regierung, Bundes- und Landespartei zurücklegt, begründete Strache unter anderem damit, dass er einer Fortsetzung der Regierungszusammenarbeit mit der ÖVP nicht im Weg stehen wollte. Als Ersatz für sich bot er der ÖVP letztlich vergeblich Infrastrukturminister Norbert Hofer (FPÖ) an, der künftig auch die Freiheitlichen anführen soll und bereits allerlei Solidaritätsbekundungen einheimste.

Neben Strache trat auch noch der geschäftsführende FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus zurück, der auf Ibiza als Russischdolmetscher für Strache diente. Er bedauerte schriftlich, das in ihn gesetzte Vertrauen nicht erfüllt zu haben und legte all seine Funktionen zurück. Oberösterreichs FPÖ-Landeschef Manfred Haimbuchner distanzierte sich als einer der wenigen FPÖ-Mitglieder öffentlich und fand das Video „ungustiös“. Er wolle sich künftig verstärkt in Wien einbringen.

Demonstration am Ballhausplatz
ORF.at/Kaja Stepien
Tausende Menschen harrten stundenlang am Ballhausplatz aus

Van der Bellen will "Neuaufbau des Vertrauens

Van der Bellen will nach den Rücktritten in der FPÖ und der Ankündigung einer Neuwahl einen „Neuaufbau des Vertrauens“. In einem Statement zur Regierungskrise sprach er am Abend von einem verstörenden Sittenbild, „das unserem Land nicht gerecht wird“. Für Sonntag ist ein Treffen mit Kurz in der Hofburg anberaumt.

„Es sind beschämende Bilder, und niemand soll sich für Österreich schämen müssen“, sagte Van der Bellen zum „Ibiza-Video“. „So sind wir nicht“, befand der Bundespräsident. Straches Verhalten sei eine „unerhörte Respektlosigkeit“ allen Bürgern und Bürgerinnen gegenüber, die nicht zu tolerieren sei.

Erklärung des Bundespräsidenten zur Regierungskrise

Van der Bellen gab in einer Pressekonferenz bekannt, dass er mit Kurz vorgezogene Wahlen ausgemacht habe, um das Vertrauen wiederherzustellen.

Die Rücktritte in der FPÖ seien nur ein erster Schritt, meinte Van der Bellen. Es bedürfe nun einer klaren, schonungslosen und vollständigen Aufklärung. Der Bundespräsident lobte auch die zentrale Rolle, die lebendiger Journalismus in der Causa gespielt habe. Die Medien hätten ihre Aufgabe voll wahrgenommen. „Die Österreicher haben ein Recht, ihrer Regierung vertrauen zu können“, sagte der Bundespräsident. Ein Neuaufbau des Vertrauens, den Van der Bellen laut eigener Aussage mit bestem Gewissen begleiten will, gehe nur mit einer vorgezogenen Wahl.

ÖVP ließ sich lange Zeit mit Reaktion

Die ÖVP hielt sich lange die Option offen, trotz allem mit den Freiheitlichen weiter zu regieren. Ein Pressestatement von Kurz verschob sich bis in die Abendstunden. Die Volkspartei soll neben Straches politischem Kopf auch jenen von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) gefordert haben. Dessen Amtsführung bzw. die Nähe seiner Partei zu Russland soll dazu geführt haben, dass ausländische Dienste mit Österreich nur noch eingeschränkt kooperieren.

Kurz begründete seinen Schritt unter anderem damit, dass er heute festgestellt habe, in der FPÖ gebe es abseits der Rücktritte keinen Willen zu einem grundsätzlichen Umdenken. Schon davor habe er für die aus seiner Sicht erfolgreiche Regierungsarbeit vieles ertragen müssen, sprach er unter anderem das „Rattengedicht“ des Braunauer Ex-Vizebürgermeisters an.

In der Volkspartei rückten die wichtigsten Proponenten wie Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, Tirols Günther Platter und ihr oberösterreichischer Kollege Thomas Stelzer prompt aus, um die Entscheidung von Kurz zu unterstützen. Stelzer, der mit der FPÖ regiert, will kommende Woche auf Landesebene mit den Freiheitlichen beraten, was die Entwicklung im Bund für Oberösterreich bedeutet.

NEOS: „Kurz stiehlt sich aus Verantwortung“

NEOS-Obfrau Beate Meinl-Reisinger und Jetzt-Listengründer Peter Pilz sahen die Neuwahl mit Wohlwollen. Sie hatten diese bereits am Nachmittag gefordert. Erbost reagiert Meinl-Reisinger auf die Erklärung des Kanzlers: „Kurz stiehlt sich aus der Verantwortung. Wir haben einen Kanzler gesehen, der so tut, als hätte er die FPÖ ‚ertragen‘ müssen. Dabei war er es, der Österreich die FPÖ in der Regierung und an den Schalthebeln der Republik beschert hat“, sagte Meinl-Reisinger in einer Aussendung.

„Neuwahlen sind unausweichlich – aber am Ende der Trockenlegung der Sümpfe und sauren Wiesen. Wir brauchen jetzt volle Aufklärung, denn es herrscht Gefahr in Verzug: Die Österreicherinnen und Österreicher können nicht mehr darauf vertrauen, dass die Mitglieder in der Regierung die Interessen der Bürgerinnen und Bürger vertreten. Wir wissen immer noch nicht, wie Türkis und Blau ihren Wahlkampf 2017 finanziert haben, geschweige denn, wie es im Europawahlkampf aussieht. Dem Verdacht möglicher illegaler Parteienfinanzierungen muss genau nachgegangen werden“, forderte Meinl-Reisinger.

SPÖ in Kritik uneins

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner kritisierte in der ZIB2 am Samstag ebenfalls den Bundeskanzler, den sie insofern in der Verantwortung sah, als er ja die FPÖ in die Regierung aufgenommen hatte. Explizit für Neuwahlen sprach sie sich aber nicht aus. Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) nannte die Neuwahl unterdessen klar die einzige Möglichkeit.

Indes könnte die Neuwahl im Bund heuer nicht der einzige vorgezogene Urnengang sein. Denn der einer SPÖ-FPÖ-Koalition vorstehende Landeshauptmann im Burgenland, Hans Peter Doskozil, überlegt ebenfalls, die Reißleine zu ziehen. Nach einem Koalitionsausschuss am Montag werde man die weiteren Schritte bekanntgeben. Einfach weitertun wie bisher könne man nicht.