Bundeskanzler Sebastian Kurz, Generalsekretär Herbert Kickl und Heinz-Christian Strache
APA/Georg Hochmuth
„Ibiza-Skandal“

Gescheiterte Koalition ringt um Übergang

Am zweiten Tag nach dem durch das „Ibiza-Video“ ausgelösten Rücktritt von FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache geht das Ringen um den Übergang bis zur Neuwahl weiter. Nach dem Scheitern der ÖVP-FPÖ-Koalition ist noch unklar, von welcher Regierung Österreich in den nächsten Monaten regiert wird. Vorentscheidungen dürften am Montag fallen.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der sich für eine möglichst rasche Wahl im September ausgesprochen hat, beginnt am Montag Konsultationen mit den Chefinnen und Chefs aller Parlamentsparteien. Laut Van der Bellen gilt es nun alles dafür zu tun, das Vertrauen wiederherzustellen. Als Erstes steht am Montag ein Gespräch mit SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner auf dem Programm. Diese kündigte bereits an, für eine „stabile Mehrheit“ bis zur Wahl zur Verfügung zu stehen.

Die Opposition fordert geschlossen den Rückzug aller FPÖ-Regierungsmitglieder. ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz will offenbar die Übergangsregierung mit der FPÖ weiterführen, aber Innenminister Herbert Kickl entlassen. Die FPÖ will dem allerdings keinesfalls zustimmen und kündigte für diesen Fall an, die Regierung ganz zu verlassen.

Der „Ibiza-Skandal“

Der „Ibiza-Skandal“ ist Auslöser einer schweren innenpolitischen Krise. Ein Treffen von Vizekanzler Heinz-Christian Strache und Klubchef Johann Gudenus (beide FPÖ) mit einer angeblichen russischen Oligarchennichte geriet zum Sittenbild für Korruption und Käuflichkeit höchster Amtsträger. Ein heimlich aufgenommenes Video des Treffens brachte die beiden Politiker zu Fall – und die ÖVP-FPÖ-Koalition gleich mit.

Wahlkampf hat begonnen

Längst ist der Wahlkampf voll ausgebrochen, zwischen den Koalitionspartnern geht es derzeit darum, einander die Schuld am Zerbrechen der Koalition zuzuschieben.

Die ÖVP weist seit Samstag darauf hin, dass Straches Aussagen in dem „Ibiza-Video“ unabhängig untersucht werden müssten und genau diese Unabhängigkeit mit dem damaligen FPÖ-Generalsekretär Kickl als nunmehrigem Innenminister nicht garantiert sei. Deshalb müsse er an der Ressortspitze abgelöst werden. Die FPÖ sieht darin ihrerseits nur einen Vorwand der ÖVP. Der Koalitionspartner wolle sich nur das Innenministerium sichern und den aus freiheitlicher Sicht erfolgreichen Innenminister absägen. Das von der Koalition so aufwendig gepflegte Image, nicht zu streiten, die gemeinsame „Message-Control“, ist seit dem Wochenende Geschichte.

Die ÖVP berät ebenfalls am Montag über Konsequenzen. Im Bundesparteivorstand stellt die Volkspartei ihre Weichen für die Wahl und die Zeit bis dahin.

Weichenstellung bei FPÖ Wien

Um Weichenstellung geht es indes auch bei der FPÖ Wien. Diese wird am Montag zu einer Vorstandssitzung zusammenkommen, um über die Nachfolge von Strache als Wiener Parteichef zu beraten. Im Burgenland wird sich am Montag zudem klären, ob und wie es mit der SPÖ-FPÖ-Landesregierung weitergeht. In Oberösterreich und Niederösterreich – dort ist die ÖVP jeweils in einer Koalition mit den Freiheitlichen – ist derzeit nicht angedacht, aus dem FPÖ-Skandal Konsequenzen zu ziehen.

Blümel über Kurz’ nächsten Schritt

In der ZiB2 und der Diskussion „Im Zentrum“ hatte ÖVP-Kanzleramtsminister Gernot Blümel am Sonntagabend die nächsten Schritte angedeutet. Er gehe davon aus, dass Bundeskanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz bei Bundespräsident Van der Bellen nun vorschlagen werde, „den Innenminister aus der Regierungsverantwortung zu entlassen“.

Blümel begründete die angekündigte Abberufung Kickls damit, dass der Innenminister im Wahlkampf 2017 Generalsekretär der FPÖ gewesen sei. Daher könne er nun nicht das Ressort leiten, das die Ermittlungen rund um die seit dem „Ibiza-Video“ vermutete verdeckte Parteienfinanzierung leiten werde. Die FPÖ habe hier mangelndes Problembewusstsein: „Aus diesem Grund war es nicht mehr möglich, die Koalition fortzusetzen.“

Kurz plant laut Blümel Entlassung Kickls

Laut Kanzleramtsminister Gernot Blümel will Bundeskanzler Sebastian Kurz (beide ÖVP) beim Bundespräsidenten die Entlassung von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) in die Wege leiten.

ÖVP widerspricht FPÖ-Darstellung

Laut Blümel ist ohnehin klar, dass es allein mit den Rücktritten von FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache und Klubchef Johann Gudenus nicht getan sei, um zur Tagesordnung zurückzukehren. Das angebliche Angebot an die FPÖ, wonach Kurz zum Weiterregieren mit der FPÖ bereit gewesen wäre, wenn Strache und auch Kickl gegangen wären, bezeichnete Blümel als „absurd“. Laut FPÖ-Klubchef Walter Rosenkranz war zunächst vereinbart, dass mit dem Rückzug von Strache und Gudenus die Koalition fortgesetz werde. Erst nach Straches Rücktritt habe Kurz auch Kickls Wechsel in ein anderes Ministerium gefordert.

Die FPÖ hält unterdessen an Kickl fest. „Sollte die ÖVP Herbert Kickl als Bundesminister für Inneres tatsächlich abberufen wollen, werden die freiheitlichen Regierungsmitglieder ihre Rücktritte verbindlich in Aussicht stellen“, hieß es Sonntag in einer FPÖ-Aussendung.

Kritik an der ÖVP-Rücktrittsaufforderung kam auch von Kickl selbst. Dieser beklagte via Facebook, dass ihm gegenüber weder Kurz noch Van der Bellen diese Rücktrittsaufforderung geäußert hätten: „Mir persönlich sagt es natürlich keiner der beiden ins Gesicht.“ Er sei „alles andere als ein Sesselkleber“, so Kickl. Er wolle vom Kanzler und vom Bundespräsidenten aber „eines wissen“: „Was haben meine Ressortführung und Politik seit dem Regierungsantritt mit zwei Jahre alten Aufnahmen aus Ibiza zu tun? Ich sage: gar nichts.“

„Den lässt sich FPÖ nicht herausschießen“

Geht es nach FPÖ-Klubchef Walter Rosenkranz, habe es vonseiten des Noch-Koalitionspartners ÖVP zunächst zudem geheißen, man könne ohne Vizekanzler Strache weiterregieren. Erst später am Samstag sei die Forderung nach Kickls Abgang dazugekommen, wie Rosenkranz in der ORF-Sendung „Im Zentrum“ sagte.

„Im Zentrum“ zum „Ibiza-Skandal“

Kanzleramtsminister Gernot Blümel (ÖVP), FPÖ-Klubobmann Walter Rosenkranz, SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner, NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger und Jetzt-Obfrau Maria Stern diskutieren über den „Ibiza-Skandal“.

Der in den Raum gestellte Rückzug aller FPÖ-Minister schließt Rosenkranz zufolge eine „geordnete Übergabe“ nicht aus. „Ich sperre jetzt zu, macht’s, was wollt’s – das wird es nicht geben“ – vielmehr werde man dafür sorgen, dass sich ranghohe Beamte auf den Abgang der FPÖ-Minister einstellen könnten, sagte Rosenkranz.

Entscheidung für Hofer einstimmig

Für das FPÖ-Bundesparteipräsidium stand am Sonntag fest, dass Infrastrukturminister Norbert Hofer nach dem Strache-Rücktritt neuer Parteichef werden soll. Die Entscheidung für Hofer sei einstimmig gefallen, wie die FPÖ am Sonntag nach einer rund vierstündigen Krisensitzung des Parteigremiums per Aussendung mitteilte.

Hofer zu neuem FPÖ-Chef designiert

Nach einer Tagung gab die FPÖ bekannt, dass Norbert Hofer zum neuen Parteiobmann designiert wurde. Harald Jungreuthmayer (ORF) berichtete vom FPÖ-Parlamentsklub.

Den Angaben zufolge soll Hofer nach der EU-Wahl vom Parteivorstand bestätigt und in weiterer Folge an einem außerordentlichen Parteitag auch offiziell gewählt werden. Für Hofer stand schon am Montag ein erster öffentlicher Auftritt als designierter Parteichef auf dem Programm.