Otto Schenk
ORF.at/Roland Winkler
150 Jahre Staatsoper

Otto Schenk über ein Haus mit Eigenleben

Die Wiener Staatsoper wird 150 Jahre alt. 150 Jahre, in denen sie zur Bühne zahlreicher musikhistorischer Momente wurde – Uraufführungen, Rollendebüts, Auftritte von Opernstars aus aller Welt und dem einen oder anderen Skandal. Regisseur und Kammerschauspieler Otto Schenk ist der Oper über die Hälfte dieser Zeit verbunden. Im Gespräch mit ORF.at erzählt er über das Eigenleben der Staatsoper und die Faszination, mit der sie ihn seit seiner Kindheit fesselt.

Die Staatsoper gilt als das Haus mit dem weltweit größten Repertoire, derzeit bestehend aus rund 60 Opern- und Ballettwerken von Barock bis Gegenwart. Von den rund 30 Inszenierungen, die Schenk seit den 1960er Jahren dort realisiert hat, sind bis heute einige durchgehend im Repertoire geblieben – und das, obwohl etwa der ehemalige Langzeitdirektor Ioan Holender kein großer Fan seiner Arbeiten war.

Schenks „Rosenkavalier“, der 1968 dirigiert von Leonard Bernstein und mit Christa Ludwig als Feldmarschallin Premiere feierte, wurde seitdem fast 400-mal gezeigt und gilt als mindestens ebenso legendär wie seine „Fidelio“-Inszenierung im Bühnenbild von Günter Schneider-Siemssen aus dem Jahr 1970.

Fotostrecke mit 5 Bildern

Otto Schenk
ORF.at/Roland Winkler
Otto Schenk erinnert sich im Gespräch an seine jahrzehntelange Verbundenheit mit der Wiener Staatsoper
Otto Schenk
ORF.at/Roland Winkler
„Es war Tradition, dass man uns Kinder hineingejagt hat in ein seltsames Haus, das uns als Oper genannt wurde“
Otto Schenk
ORF.at/Roland Winkler
Seine eigenen Inszenierungen besucht Otto Schenk so gut wie nie
Otto Schenk
ORF.at/Roland Winkler
„Die Staatsoper ist ein Magnet, sie ist ein Magnet, der einen infiziert geradezu mit einem Heimatgefühl“
Otto Schenk
ORF.at/Roland Winkler
„Es sind diese Leistungen im Dunkeln, die die Qualität der Oper ausmachen“

Die Beziehung des 88-Jährigen zur Staatsoper datiert jedoch deutlich weiter zurück. „Das Erste war die ‚Puppenfee‘“, erinnert sich der Regisseur. „Es war Tradition, dass man uns Kinder hineingejagt hat in ein seltsames Haus, das uns als Oper genannt wurde.“ Seine Begeisterung hielt sich damals in Grenzen: „Ich war sehr theaterfeindlich eingestellt als Kind. Man musste mich bitten hineinzugehen, in die Loge stoßen, ich hab geschrien. Tanz habe ich g’rade noch ausgehalten. Als Kind war mir Theater immer ein Grauen, bis es zur Sucht wurde.“

„Die Staatsoper infiziert einen mit Heimatgefühl“

Als einen der frühen, seine Staatsopernliebe begründenden Momente nennt Schenk einen Besuch von Richard Wagners „Tannhäuser“ mit dem schwedischen Tenor Svet Swanholm in seiner Jugend – „das war schon ein Riesenerlebnis“. Die Anziehungskraft des Hauses ist für ihn unbestritten: „Die Staatsoper ist ein Magnet, sie ist ein Magnet, der einen infiziert geradezu mit einem Heimatgefühl. Man kann nicht sagen, ich bin einmal dort und nie wieder.“

Für ihn selbst als Wiener sei die Beziehung eigentlich sehr einfach: „Ich bin zwei Gassen weiter geboren, die Oper war mir immer im Weg. Und am Weg. Ich bin dem Theater untreu geworden, war zwar als Schauspieler und Regisseur im Theater in der Josefstadt verwurzelt, aber der Schritt in die Oper war der erste Umweg, den ich gegangen bin – und es wurde mein Hauptweg.“

Generell glaubt Schenk, beobachtet zu haben, dass die Oper den Wienern sehr am Herzen liegt – „auch denen, die nicht hineingehen“. Das Publikum sei sehr feinhörig, vor allem auf den Stehplätzen. „Da hat sich ja das Publikum sehr geändert, die sind älter geworden. Viele Pensionisten stehen da jetzt.“ Dass Opernübertragungen im Fernsehen und im Kino heute weltweit Usus sind und auch ein breiteres Publikum ansprechen, freut Schenk. Es sei schließlich „der wichtigste Motor der Oper: Dass man die alten Dinge mit heutigem Interesse anschaut.“

Otto Schenk über die Wiener Staatsoper

Rund 30 Produktionen hat Otto Schenk an der Wiener Staatsoper inszeniert. Im Gespräch mit ORF.at erzählt er vom Eigenleben des Hauses, das Sängerinnen und Sänger der ganzen Welt anzieht.

„Momente lieber als ganze Werke“

Seine eigenen Inszenierungen besucht Schenk „generell nie“ als Zuschauer – „nur mit sehr großen Ausnahmen“. Dementsprechend schwer bis unmöglich scheint es ihm zu fallen, eine Antwort auf die Frage nach jener eigenen Staatsoperninszenierung, die ihm am meisten am Herzen liegt, zu beantworten. „Das was ich gerade mache, ist mir immer das Wichtigste. Das geht bis in meine Lesungen hinein. Wenn ich im Akzent einen Abend hab, dann ist mir der Abend im Moment so wichtig, dass ich nicht an Lieblinge alter Zeiten denke. Ich hab Momente lieber als ganze Werke.“ Nach kurzer Nachdenkpause fügt er hinzu: „Vielleicht ‚Die Meistersinger‘ – mit Karl Ridderbusch als Hans Sachs (Premiere 1975, Anm.), das hab ich sehr geliebt.“

Otto Schenk
www.picturedesk.com/Imagno/Votava
Ridderbusch in „Die Meistersinger von Nürnberg“ von Richard Wagner – vielleicht Schenks liebster Staatsopernmoment

Rosen für die Abteilungen

Die Qualität der Opernhäuser sei daran zu messen, wie sie mit dem Repertoire umgehen. Also mit jenen Inszenierungen, die über die Jahre hinweg so oft umbesetzt werden, dass eigentlich niemand auf der Bühne mehr weiß, wie und was vom Regisseur eigentlich gewollt war.

In Wien habe man dafür ein großes „Genietum“ entwickelt, erzählt Schenk, der den Abteilungen und Werkstätten des Hauses Rosen streut. Vom „gigantischen Orchester“ über den Chor („ein eigenes Genietum mit improvisatorischem Talent“), die „genialen“ Assistentinnen und Assistenten bis zu den Werkstätten und Bühnenarbeitern – „die leisten manchmal Gespenstisches. Es sind diese Leistungen im Dunkeln, die die Qualität der Oper ausmachen. Wenn das einmal weg wäre, dann würde mich das Gebäude nicht mehr interessieren.“

Otto Schenk, Anna Netrebko und Dominique Meyer
www.picturedesk.com/Starpix/Alexander Tuma
Stars wie Anna Netrebko waren in Schenks Wiener Inszenierungen zu sehen

„Führbar vielleicht, aber dressierbar ist sie nicht“

Direktoren seien dann gut, wenn sie ein feines Ohr für das Eigenleben des Hauses hätten: „Das ist wie mit den Philharmonikern, die sind nicht zu dressieren, und auch die Staatsoper ist nicht dressierbar. Führbar vielleicht, aber dressierbar ist sie nicht.“ Über die Führungsstile der Direktoren in den vergangenen Jahrzehnten will Schenk nicht sprechen – er habe sich auf seine Arbeit konzentriert.

Dass er ab Anfang der 1990er Jahre deutlich öfter an der New York Metropolitan Opera (MET) inszeniert und während der Ära Holender nicht an der Wiener Staatsoper gearbeitet habe, sei „halt so“ gewesen. Auch wenn Holender in seinem Erinnerungsbuch Schenks Inszenierungen als „belanglos“ bezeichnet hatte, er behielt sie im Repertoire, und Schenk inszenierte seine Opern anderswo. „Mir ist nie was abgegangen – ich hab halt in der Welt herumgestreunt, war überall gleich zu Haus, wo begabte Leute sind.“

Otto Schenk
www.picturedesk.com/Starpix
Schenks bisher letzte Inszenierung: „Das schlaue Füchslein“ von Leo Janacek

Mit dem aktuellen Direktor Dominique Meyer kam Schenk 2011 an die Staatsoper zurück – es sei sofort eine Herzensverbindung gewesen, erzählt Schenk, der mit „Der Rosenkavalier“ und „Die Fledermaus“ zwei seiner alten Inszenierungen neu überarbeitete. „Das hat ihm (Meyer, Anm.) imponiert und mich hat das Wiederfinden dieser uralten meiner Jugendwerke sehr beflügelt.“ Aus der Auffrischungszusammenarbeit wurde für Schenk, der zuvor mehrfach beteuert hatte, keine Opern mehr zu inszenieren, 2014 ein Wortbruch: „Ich hab dann noch ‚Das schlaue Füchslein‘ gemacht, das war noch einmal etwas ganz was Neues, mit Kindern und Tieren zu arbeiten.“

Von Janacek bis Janacek

Und damit schloss sich auch wieder ein „Teufelskreis“, wie er sagt, war doch auch seine erste Staatsoperninszenierung die eines Janacek-Werks: „Jenufa“ 1964. Seit damals ließ er sich wenig von seinem Regiestil abbringen. „Das Rendez-vous vom alten Werk und dem Heute ist ja das Spannende. Wenn man das Heutige aber auf das alte Werk draufpappt, dann wird es unmodern. Der Lohengrin singt ja unmoderne Texte, wenn man ihn in modernen Kostümen auftreten lässt.“ Schenk pausiert und denkt nach, bevor er hinzufügt: „Außer es ist so faszinierend, dass einem das auch wurscht ist.“