Bundespräsident Alexander Van der Bellen
APA/Herbert Neubauer
Ansprache von Van der Bellen

„Wir kriegen das schon hin“

In einer Rede an die Bevölkerung hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Dienstagabend für den Wiederaufbau des Vertrauens in Österreich geworben. „So ist Österreich einfach nicht“, sagte Van der Bellen im Hinblick auf die bekanntgewordenen Vorwürfe der vergangenen Tage – und: „Wir kriegen das schon hin“, so der Bundespräsident.

In seiner Rede, die am Abend im Fernsehen ausgestrahlt wurde, sagte Van der Bellen, dass es bisher „keine Einordnung“ gegeben habe, warum „uns alle die verstörenden Bilder“ des Ibiza-Videos so beschäftigen. Er warnte davor, alle Politiker im selben Licht zu sehen, auch wenn er verstehe, dass man im ersten Moment mit „Es sind eh alle gleich“ reagiere.

Politikerinnen und Politiker würden gewählt, um dem Land zu dienen, so Van der Bellen. Sie müssten „genau unterscheiden können, was anständig ist und was nicht“ und „was sich gehört und was nicht“. Niemand gehe in die Politik, um diese Grenzen zu verletzen. Van der Bellen „entschuldigte“ sich für das Bild, das die Politik hinterlassen habe.

Rede von Alexander Van der Bellen

Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat sich in einer Ansprache an die Bevölkerung gewandt. „Wir kriegen das schon hin“, so Van der Bellen.

Van der Bellen wiederholte seine Feststellung der letzten Ansprache: „So sind wir nicht“, Österreich sei so „einfach nicht“. „Aber das müssen wir alle gemeinsam beweisen.“ Den Politikerinnen und Politikern werde dabei „eine besondere Rolle zukommen“, so der Bundespräsident.

„Jetzt ist nicht die Zeit der Wahlkampfreden“

Gleichzeitig richtete Van der Bellen auch eine Warnung an die Parteien, die Situation nicht für Wahlkampf zu nützen: „Jetzt ist nicht die Zeit der Wahlkampfreden.“ An die Politiker appellierte er: „Denken Sie nicht daran, was Sie für Ihre Partei kurzfristig herausholen können, fragen Sie: Hilft das Österreich? Hilft es uns im Inneren, stärkt es unsere Glaubwürdigkeit in der Welt?“

Die Bevölkerung solle sich nicht von der Politik abwenden. „Wir kriegen das schon hin. Wir haben das in der Vergangenheit auch immer geschafft, das ist etwas typisch Österreichisches“, sagte Van der Bellen zum Abschluss seiner wenigen Minuten dauernden Rede.

Experten sollen Ministerinnen und Minister ersetzen

Schon am Nachmittag hatte Van der Bellen in einem gemeinsamen Statement mit Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bekanntgegeben, dass Expertinnen und Experten die FPÖ-Ministerposten der Übergangsregierung besetzen sollen. Noch am Abend will der Kanzler Van der Bellen eine Liste mit Namen übergeben – zu einer Angelobung könnte es damit schon am Mittwoch kommen.

Kurz sagte, dass er den gleichen Zugang wie Van der Bellen bei der Bestellung der Übergangsregierung habe. Das heißt, dass Kurz für die einzelnen Ressorts Personen auswählt, die jetzt Spitzenbeamte sind oder das waren. Laut Kurz brauche es in dieser Situation qualifizierte Persönlichkeiten aus der Verwaltung. Diese sollten zudem hohe Unabhängigkeit gewährleisten.

Kurz will noch am Dienstag Vorschläge übermitteln

Kurz sagte dem Präsidenten zu, „ehebaldigst und rasch, spätestens noch heute, Vorschläge zu übermitteln“. Van der Bellen wolle die Personen – nach Gesprächen mit ihnen – ernennen. Kurz hatte den Präsidenten zuvor bei einem Gespräch in der Präsidentschaftskanzlei um die Entlassung von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) gebeten.

Auch den Wunsch der übrigen FPÖ-Minister, die als Folge dieser Entlassung ihre Rücktritte angekündigt hatten, übermittelte Kurz dem Präsidenten. „Ich beabsichtige, allen diesen Ersuchen zu entsprechen“, sagte Van der Bellen. Überraschend im Amt bleiben soll seitens der FPÖ nur Außenministerin Karin Kneissl, wie der Präsident ankündigte. „Als unabhängige Expertin fühle ich mich verpflichtet, meinen eingeschlagenen Kurs beizubehalten und unserem Land gerade jetzt weiterhin zur Verfügung zu stehen“, so Kneissl in einer Presseaussendung.

Van der Bellen denkt nicht an „Plan B“

Über einen möglicherweise von SPÖ und FPÖ unterstützten Misstrauensantrag gegen Kanzler Kurz wollte Van der Bellen am Dienstag noch nicht mutmaßen. „Ich denke heute an keinen Plan B.“ Er glaube, dass die Parlamentsparteien ihr Vorgehen sehr sorgsam abwägen werden. So gehe er heute davon aus, dass die Übergangsregierung im Amt bleibt. Einen Appell gab das Staatsoberhaupt heraus, diesmal in der Übergangszeit keine teuren Beschlüsse zu fällen: „Das möchte ich unter allen Umständen vermeiden.“

Noch nicht offiziell bekanntgegeben wurde vorerst, wann die neue Regierung angelobt wird, das könnte aber bereits am Mittwoch erfolgen. Dann verlieren auch die freiheitlichen Regierungsmitglieder in Innen-, Verteidigung-, Infrastruktur- und Sozialministerium sowie im Vizekanzleramt tatsächlich ihre Posten.

Expertenkabinett laut Funk Systembelastung

Der emeritierte Staats- und Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk sieht unterdessen ein mögliches Expertenkabinett infolge eines erfolgreichen Misstrauensvotums gegen die amtierende Bundesregierung zwar nicht als Krise des Systems: „Aber es ist eine schwere Belastung des Systems.“

So stelle sich die Frage, was geschehe, wenn ein Expertenkabinett sich etwa damit konfrontiert sehe, dass der Verfassungsgerichtshof Teile der Reform der Sozialversicherung kippe. „Kann das Expertenkabinett die kreative Kraft aufbringen, um solche großen Vorhaben über die Bühne zu bringen?“, so Funk gegenüber der APA: „Der beste Fall wäre dann wohl eine Art Stillstand.“