Maskottchen TUT des Afrikacups 2019
Egyptian Football Association
Afrikacup

Imagepolitur für Ägyptens Staatsmacht

Am Freitag schlägt für Ägypten die Stunde der Wahrheit: Spätestens dann muss das Land fit sein für die Austragung des größten Fußballevents auf dem afrikanischen Kontinent, den Afrikacup – vergleichbar mit der Europameisterschaft. Dabei hat vor allem die Politik viel zu gewinnen. Für Präsident Abdel Fattah al-Sisi ist es die Chance, das Image aufzupolieren und Ägypten als offenes Land darzustellen.

Dabei kam die Chance darauf durchaus unerwartet, schließlich sollte das Schaulaufen der besten Fußballer Afrikas ursprünglich in Kamerun stattfinden. Erst vor wenigen Monaten entschied der Afrikanische Fußballverband (CAF), dem zentralafrikanischen Land den Afrikacup wegzunehmen – moniert wurden erhebliche Verzögerungen bei Organisation und Sicherheitsvorkehrungen.

Das Turnier wurde neu ausgeschrieben, und bei der Vergabe setzte sich dann schließlich Ägypten gegen seinen schärfsten Konkurrenten Südafrika durch. Auf einen Schlag ist der Druck für die geschichtsträchtige Nation groß, gleichzeitig aber auch die Chance für die Staatsmacht. Bekanntlich wirkt das Credo „Brot und Spiele“ immer noch, außerdem können schöne Bilder negative Schlagzeilen vergessen machen.

Ägyptischer Präsident Al-Sisi
Reuters/Andrew Caballero-Reynolds
Für den Ex-Armeechef und den nunmehrigen Präsidenten Sisi kommt das Fußballevent gerade recht

Schwere Foltervorwürfe

Solche negativen Schlagzeilen drangen zuletzt aus dem Land zur Genüge in die Welt: etwa schwere Foltervorwürfe, erhoben unter anderen von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW). Betroffen seien hauptsächlich politische Gefangene, sie würden misshandelt und unter unmenschlichen Bedingungen in den Gefängnissen gehalten, so die NGO.

In den vergangenen Jahren soll es Zehntausende Festnahmen aus politischen Gründen gegeben haben, 50.000 bis 60.000 politische Gefangene soll es derzeit geben. Laut HRW wurden auch unrechtmäßige Verhaftungen und außergerichtliche Hinrichtungen im Norden des Sinai dokumentiert – unter dem Deckmantel des Kampfes der Armee gegen Islamisten. Sicherheitskräfte zeigten Menschenleben gegenüber völlige Verachtung, hieß es von HRW unlängst.

„Es kann nicht mehr schlimmer werden“

Alles das findet in einem autoritären politischen Umfeld statt, gelenkt von Präsident Sisi. Laut dem Ägypten-Experten Stephan Roll von der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik sind mit Sisis „demokratisch nicht legitimierter“ Machtübernahme die letzten „demokratischen Elemente“ des Kurzzeitvorgängers Mohammed Mursi verschwunden. „Es gibt keine Spielräume mehr für offene Kritik“, so Roll im Gespräch mit ORF.at

Die Opposition befinde sich in einer „absolut prekären“ Lage, seitens des Systems würde massive Repression ausgeübt: „Es kann nicht mehr schlimmer werden“, so Experte Roll. Seine mögliche Amtszeit ließ Sisi sich erst kürzlich mittels Referendum bis ins Jahr 2030 verlängern, mit dabei waren auch Verfassungsänderungen, die darauf abzielen, den Einfluss des Militärs und die Kontrolle des Präsidenten über die Justiz zu stärken.

Salah soll wirken

Ein guter Zeitpunkt also, um von den schweren Vorwürfen abzulenken und jene zu überstimmen, die in Sisis Herrschaft Ähnlichkeiten zu den schlimmsten Zeiten unter Langzeitherrscher Hosni Mubarak sehen. Sisi hat viel zu gewinnen: „Sein Image hat seit 2013 deutlich gelitten“, so Ägypten-Experte Roll. Zu Beginn habe die Hoffnung auf Ruhe im Land bestanden, jetzt lebten zwei von drei Ägypterinnen und Ägyptern im Land unter bzw. um die Armutsgrenze.

Schuld daran ist die zusehends schlechter gewordene wirtschaftliche Lage. „Selbstständig kann Ägypten nicht mehr funktionieren, man ist auf Hilfe aus dem Ausland angewiesen“, so Ägypten-Experte Roll. Zusammen mit den Menschenrechtsvergehen seien das die gravierenden Probleme, vor denen Ägypten steht. Gerade deshalb soll das Fußballnationalteam, allen voran der national wie international verehrte England-Legionär Mohammed Salah, Lächeln in die Gesichter zaubern.

England-Legionär Mohamed Salah
Reuters/Carl Recine
„Mo“ Salah in Aktion – der Liverpool-Star gilt als das Aushängeschild des ägyptischen Fußballs

„Stabil“ und „steril“

Roll zeigt sich im Gespräch mit ORF.at sicher, dass Sisi Ägypten als „stabiler Austragungsort“ präsentieren wird. „In autoritären System sind Großereignisse sehr wichtig“, so Roll, „und Sisi wird das zu nutzen wissen.“ Zumal aber Fußball in Ägypten politisch aufgeladen sei, werde es interessant, ob es – etwa im Falle eines sportlichen Misserfolgs des eigenen Teams – zu Unmutsbekundungen kommt. Doch sei das wohl eher unwahrscheinlich, so Roll, zumal „extrem viel Security“ für ein „steriles“ Umfeld sorgen werde.

Ultras trugen Proteste gegen Mubarak

Doch wird Ägypten mit den auszutragenden Spielen auf eine harte Probe gestellt – schließlich finden in dem Land schon seit Jahren keine Matches vor Publikum mehr statt. Das hat wiederum einen politischen Hintergrund: So waren die Proteste gegen Ex-Machthaber Mubarak im Jahr 2011 maßgeblich von organisierten Fußballfans des größten Clubs des Landes, Al-Ahly, getragen worden – schließlich gelten Ultras gemeinhin als erprobt, wenn es um Konflikte mit der Staatsgewalt geht.

Auch nach der Revolution kam es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen Fans und Sicherheitskräften. Bei den bisher schwersten Krawallen starben im Februar 2012 bei offenbar politisch motivierten Ausschreitungen beim Spiel Al-Masry gegen Al-Ahly im nordägyptischen Port Said 74 Menschen. Der Spielbetrieb ruhte für rund zehn Monate, die Behörden erteilten danach allen Fans ein Stadionverbot für Erstligaspiele – die Clubs spielten seitdem vor leeren Rängen.

Ausschreitungen am 1. Februar 2012 im Stadion von Port Said
Reuters
Tödliche Ausschreitungen am 1. Februar 2012 im Stadion von Port Said

Mögliche Protestlager ausgetrocknet

Zwar wurde der Bann im Vorjahr gelockert – jedoch in Wahrheit nur symbolisch: Zwar haben bis zu 5.000 Personen Zugang zu ausgewählten Spielen, doch hat das aus Sicht der Regierung einen wirksamen Hintergrund: Voraussetzung ist nämlich eine Registrierung, zu dieser sind freilich am wenigsten jene bereit, die regierungskritisch eingestellt sind. Aus Sicht der Politik scheinen die Maßnahmen also gefruchtet zu haben.

Jene Gruppierungen, die Sisi aufgrund von Repressionen als mögliche Urheber neuer Proteste fürchten müsste, sind nicht mehr existent. Spruchbänder und Transparente in den Stadien sind verboten. Seit Jahren hat die Polizei also praktisch keine Erfahrungen mehr im Umgang mit Fanmassen. So kam die Frage auf, wie das Land mit den vielen Anhängerinnen und Anhängern aus insgesamt 24 Ländern (mitsamt Ägypten) zurechtkommen wird.

Schöne Bilder erwünscht

Fachleute gehen bei der Durchführung des Afrikacups mehr von organisatorischen Problemen aus – weniger von potenziell politisch ungewünschten Aktionen. Schließlich gelten Fans von Nationalteams – im Gegensatz zu organisierten Fanszenen bedeutender Clubs – als diesbezüglich nicht ambitioniert. Im Fokus stehen also vielmehr die sehnlich erhofften sportlichen Erfolge und die schönen Bilder – mitsamt jenen vom freundlichen Maskottchen „TUT“.

Einen Vorgeschmack liefert das Werbevideo für die Afrikameisterschaft: Darin inszenierte sich Ägypten als offenes Land. So werden etwa Frauen beim Sport gezeigt. In Wahrheit werden Frauen durch Gesetze diskriminiert, gegen weit verbreitete sexuelle Übergriffe wird kaum ermittelt. Der Afrikanische Fußballverband grenzt sich freilich ab – in bewährter Manier: Fußball und Politik hätten nichts miteinander zu tun, der CAF mische sich nicht in die ägyptische Innenpolitik ein. Interessiert sei man ausschließlich am Sport.