Minister in der Hofburg
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Nach „Ibiza-Skandal“

Tag eins der Übergangsregierung

Donnerstag ist der erste offizielle Arbeitstag der neuen Regierung, die am Mittwoch für die Übergangszeit bis zur Neuwahl im September angelobt worden ist. Ob die Ministerinnen und Minister maßgebliche Entscheidungen für Österreich treffen werden, ist noch offen.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wies bereits am Mittwoch in seiner Rede nach der Angelobung darauf hin, dass es die Hauptaufgabe der Übergangsregierung sei, sich um die Verwaltung zu kümmern. Die Übergangsregierung habe „eine andere Aufgabe als eine klassische Regierung“, so Kurz. Es gehe nicht um „inhaltliche Weichenstellung. Es geht nicht um Reformen oder Tempo, sondern darum, mit Stabilität die Ressorts so zu lenken, dass sie ordentlich bis zur Neuwahl geführt werden.“

Jedoch haben die neuen Minister und die neue Ministerin per Gesetz die Befugnisse, wie jede andere Regierung auch zu agieren. „Sie können alles machen, was auch ein Minister einer normalen Regierungskonstellation machen kann“, sagte Manfred Matzka, ehemaliger Sektionschef im Bundeskanzleramt, am Mittwoch im Interview mit der ZIB2. Doch auch er vermutete, dass es nun in erster Linie um das „Alltagsgeschäft“ gehe. Dazu gehöre freilich auch, „dass der Rechtsstaat gewahrt bleibt“. Ihr Personal können aber alle Ressortleiter und -leiterinnen selbst aussuchen. Details gibt es dazu noch nicht.

Nicht alle haben Erfahrung in Ministerien

Zwei der neuen Ressortleiter haben Erfahrung in Ministerien: Sozialminister Walter Pöltner und Verteidigungsminister Johann Luif. Der neue Innenminister Eckart Ratz ist ehemaliger Präsident des Obersten Gerichtshofs (OGH), Infrastrukturministerin Valerie Hackl war zuletzt Managerin der Austro Control. Matzka meinte dazu, er vertraue auf die Entscheidung von Bundespräsident Alexander Van der Bellen, erachte es allerdings generell für sinnvoll, mit den Ministerien vertraute Personen zu bestellen. Schließlich handle es sich um eine Übergangsphase.

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Eckart Ratz (Innenministerium) und Bundespräsident Alexander Van der Bellen
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Der ehemalige OGH-Präsident Ratz ist neuer Innenminister
Valerie Hackl (Infrastrukturministerium) und Bundespräsident Alexander Van der Bellen
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Hackl machte bei den ÖBB Karriere und wechselte nun vom Austro-Control-Chefsessel in die Regierung
Johann Luif (Verteidigungsministerium) und Bundespräsident Alexander Van der Bellen
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Mit Luif ist erstmals seit Jahrzehnten wieder ein aktiver Offizier Verteidigungsminister
Walter Pöltner (Sozialministerium) und Bundespräsident Alexander Van der Bellen
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Pöltner war vor seiner Pensionierung bereits Sektionschef im Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz – nun ist er dort Minister
Hartwig Löger und Bundespräsident Alexander Van der Bellen
APA/Herbert Neubauer
ÖVP-Finanzminister Löger ist nun auch Vizekanzler
Juliane Bogner-Strauss (ÖVP, Beamten- und Sportministerium) und Bundespräsident Alexander Van der Bellen
APA/Herbert Neubauer
Familienministerin Bogner-Strauß (ÖVP) ist nun auch für das Sport- und Beamtenressort zuständig

Mit dem wegen des „Ibiza-Skandals“ von allen Ämtern zurückgetretenen Heinz-Christian Strache (FPÖ) war ein Vertreter des ÖVP-Regierungspartners in der Funktion des Vizekanzlers. Nun übernimmt diese Funktion Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP). Matzka geht nicht davon aus, dass das eine besonders große und zeitraubende Aufgabe werde, jedoch sei die Funktion des Vizekanzlers wichtig.

„Denken Sie daran, es ist ja auch möglich, dass der Kanzler einmal den Bundespräsidenten zu vertreten hat bei Gegenzeichnungen, und hier muss dann jemand die Rolle des Bundeskanzlers wahrnehmen“, so der Ex-Sektionschef in der ZIB2. Jeder Minister und jede Ministerin kann im Ministerrat einen Beschluss mit einem Veto blockieren, was in der Praxis allerdings selten vorkommt. Auch hier hofft Matzka auf den Respekt vor dem „Gemeinwohl“, wie er sagte.

Was passiert mit 1,50-Euro-Verordnung?

Unklar ist derzeit, wie mit jenen Entscheidungen umgegangen wird, die in den letzten Tagen kurzfristig getroffen wurden. Dazu zählt in erster Linie der Entschluss des ehemaligen Innenministers Herbert Kickl (FPÖ), der in letzter Sekunde eine Verordnung herausgegeben hatte, Asylwerberinnen und Asylwerbern für gemeinnützige Dienste nur 1,50 Euro in der Stunde zu zahlen. Kickl wurde von Van der Bellen am Mittwoch entlassen – eine bisher einzigartige Entscheidung eines Bundespräsidenten in der Zweiten Republik.

Spitzenbeamter Matzka über Kompetenzen der Übergangsminister

Matzka erklärt die nicht geringen Befugnisse österreichischer Ministerinnen und Minister und die Position des Vizekanzlers.

Verordnungen wie diese sind gültig, jedoch können sie von den neuen Ministern bzw. der neuen Ministerin laut Matzka aufgehoben werden – „weil der hat ja dieselben Kompetenzen wie der Minister, der diesen Akt gesetzt hat“, so der ehemalige Spitzenbeamte. NGOs wie Caritas, Diakonie und Volkshilfe und auch Vorarlbergs grüne Soziallandesrätin Katharina Wiesflecker plädierten bereits dafür, die Verordnung rückgängig zu machen. Sie sehen in der 1,50-Euro-Regelung eine Art Racheaktion des früheren Innenministers. Ratz meldete sich diesbezüglich noch nicht zu Wort.

„Don’t Smoke“ – gibt es noch Chancen?

Ein weiterer Punkt, der bis September auf die Übergangsregierung zukommen könnte, ist das gekippte Rauchverbot in der Gastronomie – ein Thema, das in der vorherigen Regierung der FPÖ wichtig war. Der Bundeskanzler sprach sich zwar immer dagegen aus, wies aber gleichzeitig stets darauf hin, in einer Regierung Kompromisse eingehen zu müssen. Deshalb wurde das Verbot, das unter anderem durch das „Don’t Smoke“-Volksbegehren von über 880.000 Österreicherinnen und Österreichern unterstützt wurde, schließlich gekippt.

In einer Resolution forderte der Vorstand der Ärztekammer Wien die Übergangsregierung schon jetzt auf, das Thema Nichtraucherschutz rasch wieder auf die Tagesordnung des Nationalrats zu setzen – und zwar noch vor der Neuwahl im September. Die Ärztekammer will „die unverzügliche Umsetzung eines umfassenden Nichtraucherschutzes in der Gastronomie in Österreich“. Hier zeichnet sich also zumindest der Versuch ab, die Initiative des Rauchverbots in Lokalen wiederzubeleben.

Ein weiteres großes Projekt der Freiheitlichen war die Verordnung der Teststrecken für 140 km/h auf der Autobahn. Auch hier könnte mit der Übergangsregierung noch einmal nachgehakt werden. Diesbezüglich waren der frühere Infrastrukturminister und jetzige designierte FPÖ-Chef Norbert Hofer und Umweltministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) in regem Kontakt, die Entscheidung wurde aber schließlich pro Teststrecke gefällt. Ob Hackl in puncto 140 km/h auf der Autobahn anderer Meinung ist als Hofer, bleibt abzuwarten.

Kurz: „Auf Personen aus meinem Team zurückgegriffen“

Dass Kurz dem Bundespräsidenten mit dem neuen Team ihm vertraute Personen vorgeschlagen und Van der Bellen diese angenommen hatte, gab der Kanzler offen zu. Er sagte dazu im Ö1-Morgenjournal: „Ja, es stimmt, ich habe hier auf Personen aus meinem Team zurückgegriffen. Das bedeutet nichts für die Zukunft. Das ist auch keine Einflussnahme. Die Minister sind ohnehin für ihre Ressorts verantwortlich und treffen auch ihre Personalentscheidungen für ihr engstes Team dort vollkommen frei.“

Kritik hagelte es diesbezüglich von der Opposition: Es handle sich beim Übergangsteam de facto um eine ÖVP-Alleinregierung ohne Mehrheit im Parlament, hieß es vonseiten der Oppositionsparteien – Audio dazu in oe1.ORF.at.

Misstrauensvotum gegen Kurz möglich

Abzuwarten ist außerdem, ob es einen Misstrauensantrag gegen Kurz geben wird und wer diesen unterstützen könnte. Jetzt kündigte ein Misstrauensvotum für Montag an. NEOS entschloss sich bereits dagegen, das Votum zu unterstützen. „Ich sehe diese Übergangsregierung als Verwaltungsregierung“, begründete NEOS-Vorsitzende Beate Meinl-Reisinger ihre Entscheidung. Von allen anderen Parteien gibt es derzeit noch keinen endgültigen Entschluss darüber, Kurz das Misstrauen auszusprechen oder nicht.

Bei der SPÖ äußerte sich am Donnerstag Julia Herr, Vorsitzende der Sozialistischen Jugend und bei der EU-Wahl auf Platz sechs der SPÖ-Liste, zum Votum. Für sie ist es „ganz klar“, dass der SPÖ-Klub im Nationalrat einen Misstrauensantrag gegen Kurz „unterstützen oder selbst einbringen muss“. Arbeiterkammer-Chefin Renate Anderl wiederum will sich noch nicht festlegen. Es würden dazu noch viele Gespräche anstehen. Als Sozialdemokratin sei sie aber extrem enttäuscht von Kurz. Das betreffe nicht nur dessen Verhalten in den vergangenen Tagen, sondern schon seit seinem Amtsantritt.

Die ÖVP werde die Abstimmung über den Misstrauensantrag gegen Kurz am Montag indes nicht verschieben, hieß es vom ÖVP-Klub. Theoretisch könnte sie das Votum nämlich um zwei Tage verzögern, womit Kurz in jedem Fall noch als Kanzler zum EU-Gipfel am Dienstag fahren könnte. „Wir haben noch nie eine Sondersitzung blockiert und werden das auch jetzt nicht machen“, so der ÖVP-Klub.

Van der Bellen: „Beim Redn kommen d’Leit zsam“

Ebenso nicht Stellung beziehen wollte Gewerkschaftschef Wolfgang Katzian. Der Wiener SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig sagte, wenn es kein Zugehen auf die Sozialdemokratie gebe, werde es schwierig, den Kurs von Kurz weiter zu unterstützen. SPÖ-Parteichefin Pamela Rendi-Wagner äußerte sich noch nicht eindeutig.

Van der Bellen forderte neuerlich alle Seiten zum Dialog auf. Beim Kongress des Europäischen Gewerkschaftsbunds in Wien am Donnerstag sagte das Staatsoberhaupt, „beim Redn kommen d’Leit zsam“. Diese „altmodische Ansicht sollten wir wiederbeleben“, angesichts der „ungewöhnlichen Situation“.

Opposition gönnt Kurz „nur“ Stellvertreter für Treffen

Kurz plante am Donnerstag noch einmal alle Parteichefs zu treffen. Doch diese erteilten ihm bis auf NEOS eine Absage. Jetzt, SPÖ und FPÖ schicken „nur“ Stellvertreter: Die Opposition spielt bei dem von Kurz einberufenen Gipfeltreffen der Parteiobleute nicht mit. SPÖ, FPÖ und Jetzt schicken zu der Unterredung am Nachmittag im Bundeskanzleramt einen Vizeklubobmann, einen Klubchef und einen einfachen Abgeordneten. Nur NEOS wird mit Partei- und Klubchefin Meinl-Reisinger vertreten sein.

Kurz hatte eigentlich Hofer, Rendi-Wagner, Meinl-Reisinger und Jetzt-Chefin Maria Stern geladen. Kommen werden jedoch der stellvertretende SPÖ-Klubchef Jörg Leichtfried, FPÖ-Klubobmann Walter Rosenkranz und der Jetzt-Abgeordnete Peter Pilz. „Ich gehe hin, weil wir dem Kanzler eine Freude machen wollten“, begründete Pilz süffisant dieses Oppositionsmanöver. Die SPÖ argumentierte damit, dass Rendi-Wagner schon zwei „substanzlose Scheingespräche absolviert“ habe.

Eine Unterredung mit den Landeshauptleuten setzte Kurz dann für Freitagvormittag an. Bei diesem Gespräch werde es darum gehen, wie ein Stillstand und eine politische Blockade vermieden bzw. die Handlungsfähigkeit Österreichs erhalten werden könne, heißt es aus dem Kanzleramt.