SPÖ-Parteichefin Pamela Rendi-Wagner
APA/Roland Schlager
Misstrauensantrag gegen Kurz

SPÖ in strategischem Dilemma

Die Unklarheit, welchen Ausgang der Misstrauensantrag gegen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) nimmt, wird mit großer Wahrscheinlichkeit bis Montagmittag anhalten. Sowohl SPÖ als auch FPÖ wollen sich erst unmittelbar vor Beginn der Debatte um 13.00 Uhr festlegen. SPÖ-Parteichefin Pamela Rendi-Wagner steht vor einem strategischen Dilemma.

Über 180 Misstrauensanträge wurden bisher in der Zweiten Republik von der Opposition eingebracht, erfolgreich war keiner – unter stabilen politischen Verhältnissen findet sich keine Mehrheit für eine Zustimmung. Nach dem „Ibiza-Skandal“ und dem Regierungsende für die FPÖ sind die Vorzeichen andere: Um den Kanzler zu stürzen, müsste der Antrag von einer einfachen Mehrheit der Abgeordneten unterstützt werden. Zudem ist die Anwesenheit der Hälfte der Parlamentarier – mindestens 92 der insgesamt 183 – erforderlich.

Die kleinste Oppositionspartei JETZT hat sich am Freitag auf ihren bereits zu Wochenbeginn formulierten Misstrauensantrag gegen Kurz festgelegt. Andere Varianten, wie einen Misstrauensantrag gegen die gesamte Regierung, lehne man ab, sagte JETZT-Gründer Peter Pilz. Sollte es von der SPÖ andere Anträge oder Vorschläge geben, „dann werden wir sie natürlich ernsthaft diskutieren“, sagte Pilz. Aber: „Misstrauensantrag gegen Kurz, bitte nicht gegen Eckart Ratz.“ Denn der neue Innenminister und Nachfolger von Herbert Kickl (FPÖ), so Pilz, sei ein Glücksfall für das Amt.

Staatsräson oder Parteiinteressen?

Die SPÖ feilt seit Tagen an ihrer Strategie, die Für und Wider wurden vielfach durchexerziert. Was gegen einen Misstrauensantrag spricht, ist die Gefahr, gegen die „Staatsräson“ zu handeln und die wiederholten Appelle von Bundespräsident Alexander Van der Bellen, aufeinander zuzugehen und Kompromisse zu schließen, zu ignorieren. Vor allem aber wird davor gewarnt, dass Kurz zum Märtyrer stilisiert werden könnte. Und schließlich, sagte ein Parteiinsider gegenüber ORF.at, kursiere noch folgendes Bonmot: „Störe deinen Feind nie, wenn er gerade Fehler macht.“

Anderseits könne man dem Kanzler durch eine Ablöse die politische Bühne nehmen und ihn daran hindern, sich öffentlich zu positionieren und Österreich in einer De-facto-Alleinregierung nach innen und außen zu vertreten. Zudem käme es bei vielen Wählerinnen und Wählern der SPÖ wohl ganz schlecht an, sollte Rendi-Wagner die Chance auslassen, Kurz zu stürzen. Auch parteiintern erhöhte sich laufend der Druck, diese Gelegenheit wahrzunehmen.

Grafik zeigt Sitzverteilung im Parlament
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Hieß es nach einem Treffen von Kurz mit den neun Landeshauptleuten zu Mittag vonseiten der SPÖ-Teilnehmer noch, die Entscheidung sei offen, deklarierte sich der burgenländische Landeschef Hans Peter Doskozil später klar. „Das hat ein Stadium erreicht, wo wir nicht mehr zurück können“, sagte Doskozil zur „Presse“ und den Bundesländerzeitungen. „Und das Stimmungsbild bei uns – von den kleinsten Funktionären bis zu den Parteispitzen – ist, den Misstrauensantrag mitzutragen.“

SPÖ-Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda relativierte die Aussagen Doskozils aber wenig später wieder. „Wir werden das am Montag entscheiden“, so Drozda. „Da geht es nicht um Befindlichkeiten, sondern um objektive Gegebenheiten.“ Fakt sei, dass Kurz in 24 Monaten zwei Regierungen gesprengt habe und nun über keine parlamentarische Mehrheit mehr verfüge. Trotzdem habe er abseits der medialen Inszenierung keine Gespräche gesucht.

Wenig Chancen für geheime Abstimmung

Bei SPÖ und JETZT wird auch über die Beantragung einer geheimen Abstimmung nachgedacht – so könnten sich die Mandatare fern jeden Klubzwangs deklarieren. Die ÖVP-Fraktion könnte das allerdings leicht unterbinden, im „Bundesgesetz über die Geschäftsordnung des Nationalrates“ heißt es: „Wenn wenigstens 20 Abgeordnete vor Eingang in das Abstimmungsverfahren schriftlich die Durchführung einer namentlichen Abstimmung verlangen, ist diesem Verlangen ohne Weiteres stattzugeben. Sofern nicht eine namentliche Abstimmung verlangt ist, kann der Nationalrat auf Vorschlag des Präsidenten oder auf Antrag von 20 Abgeordneten eine geheime Abstimmung beschließen.“

Kampf um die Kanzlerschaft

Kanzler Kurz (ÖVP) ringt momentan darum, dass keine Mehrheit für ein Misstrauensvotum gegen ihn im Parlament zustande kommt. Er hat dazu die Landeshauptleute eingeladen.

Politikwissenschaftler Peter Filzmaier riet in der ZIB2 am Donnerstag dazu, alle Überlegungen „auf die ursprünglichste Frage zu reduzieren: Vertraut man dem Bundeskanzler, ja oder nein?“ Man sollte nicht nur gegen den Antrag stimmen, „weil das staatspolitisch nicht verantwortbar ist, denn wann darf man dann für einen Misstrauensantrag sein? Dass ein solcher nur in turbulenten Zeiten in einer dramatischen Situation zustande kommt und die Chance hat eine Mehrheit zu finden, das ist ja klar. In ruhigen Zeiten wird es diesen Antrag ja gar nicht geben.“

Norbert Hofer
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Hofer muss seine Partei bis Montag auf eine Linie bringen

Alleine könnte die SPÖ Kurz nicht zu Fall bringen, notwendig wären zusätzlich die Stimmen der FPÖ. Und auch die ist uneins: Soll man sich hinter den unlängst noch eng verbundenen Ex-Koalitionspartner stellen? Oder doch Revanche an dem erzwungenen Aus des Innenministers nehmen? „Kurz kann sich kein Vertrauen erwarten“, sagte Parteichef Norbert Hofer am Donnerstag. „Misstrauen gegenüber der ÖVP und Bundeskanzler Kurz sei verständlich und logisch“, hielt auch sein Vorgänger Heinz-Christian Strache fest.

„Kurz muss weg“-Rufe bei FPÖ-Wahlkampffinish

Und Kickl blieb seiner Rolle als Scharfmacher durchgängig treu: Er warf „der alten ÖVP“ via Facebook vor, dass es ihr in Wahrheit darum gegangen sei, die Führung im Innenministerium zurückzuerobern. Beim EU-Wahlkampffinish der FPÖ auf dem Wiener Viktor-Adler-Markt am Freitag wurde Kickl unter „Kurz muss weg“-Rufen von seiner Anhängerschaft umjubelt.

Aller vermeintlichen Entschlossenheit zum Trotz legte sich die FPÖ bis dato nicht fest, ob sie gegen Kurz stimmen oder ihn stützen oder womöglich vor der Abstimmung aus dem Nationalrat ausziehen will. In diesem Fall würden die Stimmen der NEOS-Abgeordneten ausreichen, um den Misstrauensantrag gegen Kurz abzuschmettern. NEOS ist die einzige Oppositionspartei, die sich klar positioniert und sich gegen das Votum ausgesprochen hat.

Bundeskanzler Kurz
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Kurz gegenüber dem „Standard“: „Es war absehbar, dass es mit der FPÖ herausfordernd ist“

Aus SPÖ-Insiderkeisen hieß es gegenüber ORF.at, dass dieser Tage die Kanäle zur FPÖ aus pragmatischen Gründen wiederbelebt würden – man wolle sich bis Montag auf eine gemeinsame Vorgehensweise verständigen. Genau davor warnte Kurz angesichts der Entscheidung über seine politische Zukunft: „Wenn ich eine Koalition sehe, die sich hier bildet, dann ist es eine Koalition aus Pamela Rendi-Wagner und Herbert Kickl“, sagte der Kanzler im „Standard“ (Samstag-Ausgabe). Von offizieller Seite dementierte die SPÖ allerdings entschieden, dass es Kontakte zur FPÖ gebe. Man werde erst, wie auch von Drozda angekündigt, am Montag die Vorgehensweise entscheiden.

Kurz: „Wunsch, Chaos nicht größer werden zu lassen“

Kurz gibt sich nach außen jedenfalls gelassen: Sollten SPÖ und FPÖ ihn abwählen, dann sei das zur Kenntnis zu nehmen. Er habe aber „das starke Gefühl, dass es in der Bevölkerung nicht den Wunsch gibt, Chaos und Unsicherheit in Österreich größer werden zu lassen. Ich habe vielmehr das Gefühl, das die Menschen zu Recht wollen, dass aus einer Krise einer Partei, nämlich der Freiheitlichen Partei, nicht die Krise eines Staates wird.“