Bundeskanzler Sebastian Kurz
APA/Georg Hochmuth
Vor Misstrauensvotum

Zwei Szenarien für Sebastian Kurz

Nach der EU-Wahl ist für Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) vor dem Misstrauensantrag am Montag im Parlament. Kurz geht gestärkt aus der Wahl hervor, die FPÖ durch das „Ibiza-Video“ nicht so zerzaust wie erwartet – und die Sozialdemokratie steht seit Sonntagabend ohne Zug zum Tor da. Doch hört man die Opposition, dann fehlt das „Vertrauen“ in den Kanzler – und wackelt am Montag das Amt des Regierungschefs.

Blickt man auf die taktische Ausgangslage, dann könnte einer abgewählt werden. Der aber mit der Option auf zwei Boni dasteht: mit einem Kanzlerbonus, sollte er nicht abgewählt werden. Oder dem Bonus einer, so formulierte es ZIB-Innenpolitikchef Hans Bürger, „Opferrolle“, sollte Sebastian Kurz (ÖVP) nach dem Misstrauensantrag nicht mehr Bundeskanzler der von ihm nach dem „Ibiza-Skandal“ zusammengestellten Übergangsregierung aus ÖVP-Ministern und Experten sein.

Für den Politologen Peter Filzmaier gibt es, wie er gegenüber ORF.at festhält, schon einen Unterschied: Beim Opferstatus sei die Frage der Nachhaltigkeit bis September offen, denn: „‚Ich bin das arme Opfer‘ ist nicht hundert Tage ständig wiederholbar.“ Allerdings, so die Erkenntnis auch nach diesem Wahlabend, sei der Vorsprung der ÖVP einfach so groß, dass er „vielleicht so oder so nicht aufholbar ist“. Allerdings, fügt Filzmaier hinzu: „Wenn SPÖ und FPÖ Kurz nicht abberufen, winken sie ihn zum Wahlsieg womöglich einfach durch.“

Analyse von Politologe Filzmaier

Der Politologe Peter Filzmaier analysiert die Taktik der SPÖ.

Keine Abwahlstimmung in der Bevölkerung

Betrachtet man den Ausgang der Wahl, die ORF-Wahltagsbefragung und eine zuletzt in den Medien zitierte Umfrage des Instituts market, dann ist der Sturz des Kanzlers nicht populär. Bzw. hat der "Ibiza-Skandal2 bei der nun geschlagenen EU-Wahl nicht die Rolle gespielt, die manche erwartet haben. Kurz geht gestärkt aus dem Sonntag an der Urne hervor. Selbst ÖVP-Spitzenkandidat Othmar Karas betonte ja in der ORF-Runde der Spitzenkandidaten, dass das Krisenmanagement des Kanzlers im Finale des Wahlkampfs die entscheidenden Prozente gebracht habe. Nur 32 Prozent wollen laut market-Umfrage, die der „Standard“ am Samstag zitierte, einen Sturz des Kanzlers, 52 Prozent wollen laut dieser Umfrage (Sample: 800 Befragte), dass die Übergangsregierung unter Kurz weitermacht.

Laut der Wahltagsbefragung im Auftrag des ORF hat die Regierungskrise bei 74 Prozent der Wählerinnen und Wähler keine Rolle gespielt, von jenen, die bei der EU-Wahl ÖVP wählen wollten, sagten laut dieser Befragung 87 Prozent, dass die Krise der Regierung für die Wahlentscheidung keine Rolle gespielt habe.

SPÖ für Trennung von Wahlausgang und Misstrauensvotum

Die SPÖ, die nicht zuletzt den Druck der Funktionäre spürt, befindet sich nach der Wahl in einer heiklen Lage. Sie kann von der „Ibiza-Krise“ nicht profitieren, und insgesamt scheint keine der Parteien im Parlament, die den Misstrauensantrag gegen Kurz unterstützt, einen Plan B, also einen Kandidaten, der als plausibler Übergangskanzler die Regierungsgeschäfte führen könnte, vorlegen zu können.

SPÖ für Misstrauen gegen Regierung

Die SPÖ hat sich nach einer dreistündigen Präsidiumssitzung auf die Abwahl der gesamten Bundesregierung festgelegt.

In mehrstündigen Beratungen am Sonntagabend rang sich die SPÖ in ihrem Präsidium dazu durch, einen eigenen Misstrauensantrag gegen die gesamte Regierung einzubringen. Vehement bestritt Parteichefin Pamela Rendi-Wagner, in die von der ÖVP zuletzt behauptete „Koalition“ mit einer Kickl-FPÖ zu gehen. Nicht die SPÖ gehe Koalitionen ein, Kurz habe in den letzten zwei Jahren selber zwei Koalitionen gesprengt. Was die SPÖ freilich weiß: Stellt die Partei per Antrag die ganze Regierung infrage, ist ein Mitstimmen der Freiheitlichen wahrscheinlicher.

Als Grund für den Misstrauensantrag nannte Rendi-Wagner den Umstand, dass Kurz seiner Verantwortung nicht nachgekommen sei, eine stabile Übergangslösung mit einer Mehrheit im Parlament zu suchen. Das sei ein „Versäumnis, das hat es in der Geschichte der Zweiten Republik so noch nicht gegeben. Dieser Fehler darf nicht wieder begangen werden, es braucht eine stabile Lösung bis zur Neuwahl.“

FPÖ „ohne Vertrauen“, aber abwartend

Von der FPÖ hieß es am Sonntagabend mit den Worten von Harald Vilismky, der zwar nicht im Parlament sitzt, aber der als EU-Parlamentarier und -Generalsekretär nach der Wahl nicht ohne Gewicht sein kann: „Das Vertrauen zu Kurz ist nach den Vorgängen der letzten Woche weg.“ Aber es sei die Entscheidung der Parlamentarier, so Vilimsky, der versprach, man werde staatspolitische Verantwortung leben und „noch einmal alles in die Waagschale werfen und analysieren“.

Der designierte FPÖ-Obmann Norbert Hofer ließ am Sonntagabend offen, ob die FPÖ dem SPÖ-Antrag zustimmen wird. Er habe „eine klare Tendenz“, wolle aber den Verhandlungen im Parlamentsklub nicht vorgreifen. Diese Linie bestätigte Hofer auch in der ORF-Sendung „Im Zentrum“.

Runde der Spitzenkandidaten

Das Misstrauensvotum war auch ein Thema in der Runde der Spitzenkandidaten bei Matthias Schrom.

Kurz über die Anti-Kurz-Front

Kurz war am Wochenende jedenfalls auf allen Ebenen in die Offensive gegangen. Er rechne mit einer „Koalition“ aus SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner und Ex-Innenminister Herbert Kickl (FPÖ), um ihn loszuwerden („Kronen Zeitung“, Samstag-Ausgabe) und fügte im „Kurier“ zu dieser Konstellation hinzu, es sei „entlarvend“. Er rechne damit, dass „Rot und Blau dem Misstrauensantrag am Montag im Nationalrat zustimmen werden“, sagte Kurz auch am Sonntag bei seiner Stimmabgabe.

Kanzler Kurz im ZIB2-Interview

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) nahm am Freitag in einem Auftritt in der ZIB2 ausführlich zum drohenden Misstrauensvotum Stellung.

Offene Formalfragen

Wie die Abstimmung am Montag formal ablaufen könnte, war bis zuletzt Gegenstand taktischer Überlegungen. Die Liste JETZT hat sich jedenfalls auf ihren bereits eingebrachten Antrag festgelegt. Dieser richtet sich gegen den Bundeskanzler, nicht gegen die gesamte Regierung. Peter Pilz (JETZT) appellierte an die SPÖ, keinen Antrag gegen die gesamte Regierung einzubringen, weil sich dieser auch gegen den neuen Innenminister Eckart Ratz richten würde, der für die Untersuchungen der laufenden Causen „höchst geeignet“ sei.

Seit Sonntag ist nun klar, dass die SPÖ einen eigenen Antrag gegen die ganze Regierung einbringt. Spekulationen dazu besagten zuletzt, dass die Freiheitlichen eher einen Antrag gegen die gesamte Regierung unterstützen würden – weil man auf Außenministerin Karin Kneissl nicht gut zu sprechen sei, die man als Parteifreie wohl in die Regierung gebracht hatte, die sich aber geweigert hat, mit den FPÖ-Kollegen das Kabinett Kurz zu verlassen.

Als Option steht auch der Antrag auf eine geheime Misstrauensabstimmung im Raum, der aber wiederum von der ÖVP ausgehebelt werden könnte.