Szene aus „High Life“
Polyfilm
„High Life“

Allein im All Richtung Urknall

Regisseurin Claire Denis („Chocolat“) hat mit der Science-Fiction-Dystopie „High Life“ ihren ersten englischsprachigen Film geschaffen. An Starpower mangelt es nicht: Robert Pattinson, Juliette Binoche und Lars Eidinger fliegen als Ausgestoßene durchs All.

Wenn Denis einen Science-Fiction-Film dreht und allerorten von „slow cinema“ die Rede ist, dann nennen Journalistinnen und Journalisten gerne Assoziationen wie Andrej Tarkowskis „Solaris“ (1972) und Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ (1968). Aber natürlich passt das nicht ganz. Bei aller Langsamkeit ist Denis schriller.

Die Story hat sie gemeinsam mit Jean-Pol Fargeau und Geoff Cox geschrieben. Sie ist simpel, lässt bewusst vieles offen und nimmt sich Zeit. Eine Gruppe von Menschen reist mit einem Raumschiff in Richtung eines Schwarzen Lochs, das dahingehend untersucht werden soll, ob man damit irgendwie Energie gewinnen könnte. Nur: Es ist ein One-Way-Ticket, und dessen sind sich alle bewusst.

Szene aus „High Life“
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Körnig und poetisch: das Medium Film in Claire Denis’ Interpretation. Hier im Bild: Hauptdarsteller Robert Pattinson.

Niedertracht, Wahn, Triebabfuhr

Denn der Trupp besteht ausschließlich aus Straftätern, die dadurch einer konventionellen Strafe auf der Erde entgehen konnten. Schon bald bereuen sie allesamt ihre Entscheidung. Vielleicht nicht alle. Nicht Dr. Dibs (Binoche), eine durchgeknallte Wissenschaftlerin, die auf dem Raumschiff ganz in ihrem Element ist und nach Lust und Laune übers Trinkwasser den Rest der Crew sediert und ihre Sex-, bzw. Fortpflanzungsexperimente durchführen kann.

Der Film kommt weitgehend ohne klassischen Spannungsbogen aus, gleich am Anfang wird gezeigt, wie sich das Schicksal der Crew entscheidet. Alle sind tot, außer Monte (Pattinson) und ein Baby. Was dazu führte, war ein Amalgam aus menschlicher Niedertracht, blindem Wahn und Triebabfuhr ohne Vernunftbremse. Und genau damit beschäftigt sich dann der Rest des Films.

Bunter Horrortrip in Zeitlupe

Denis überhastet dabei nichts. Langsam und mit Bedacht dreht sie die Stellschrauben des Wahnsinns und der Gewalt hoch. So wie alles ein wenig vernebelt ist wegen des Beruhigungsmittels von Dr. Dibs, so durchzieht den Film abwechselnd ein Rot- und ein Blauschleier. Großartig findet sich darin der Soundtrack von Tindersticks-Sänger Stuart A. Staples ein. Der Film ist ein bunter Horrortrip in Zeitlupe.

Psychische Gewalt, Verzweiflung, Morde, Vergewaltigungen, all das spielt sich fast beiläufig ab. Am Ende ist, wenn man so will, die sadistische Reproduktionsärztin erfolgreich, es gibt ein Baby – aber eben nur noch Monte, um sich darum zu kümmern. Das Mädchen wird älter, die beiden sind ein Team. Angeblich soll das Baby im Film die Tochter des besten Freundes von Pattinson sein und tatsächlich vor der Kamera die ersten Schritte gemacht haben – und damit die Überraschung des Schauspielers nicht gespielt sein.

Szene aus „High Life“
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Juliette Binoche als durchgeknallte Dr. Dibs: furchterregend; sie holt sich, was sie will

Die Natur des Menschen

Der Film stellt Fragen nach der menschlichen Natur und streift dabei auch philosophisch und kunstsinnig die Angst der Menschen, die Erde könnte eines nicht so fernen Tages unbewohnbar oder sonstwie ein höchst problematischer Lebensraum geworden sein. Hier ist es der Energiehunger, der nicht gestillt werden kann, der die Gesellschaft dazu treibt, wehrlose Delinquenten Richtung Schwarzes Loch zu schicken.

Szene aus „High Life“
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Lars Eidingers einzige Dialogzeile: „Lutsch meinen Schwanz – bitte!“

Lars Eidinger, im deutschen Sprachraum einer der renommiertesten Schauspieler, hat in dem Ganzen nur eine sehr kleine Rolle zugedacht bekommen. Er taucht am Rande immer wieder als Teil der Crew auf. Nur einmal wird ihm die Ehre einer Textzeile zuteil, und die fällt, nun ja, etwas hinter die Poesie des restlichen Films zurück: „Lutsch meinen Schwanz – bitte!“