Boris Johnson
APA/AFP/Daniel Leal-Olivas
„Brexit-Lüge“

Boris Johnson muss vor Gericht

Der aussichtsreichste Kandidat für die Nachfolge der britischen Premierministerin Theresa May, der ehemalige Außenminister Boris Johnson, muss sich wegen mutmaßlicher Lügen zum Brexit vor Gericht verantworten. Johnson müsse sich zu Vorwürfen äußern, dass er wiederholt und wissentlich falsche Angaben zu den Kosten der britischen EU-Mitgliedschaft gemacht habe, hieß es am Mittwoch in einem Urteil des Amtsgerichts von Westminster.

Bei dem bevorstehenden Gerichtstermin handelt es sich um eine Voranhörung zu einem möglichen Prozess. Ein Termin dafür wurde nicht genannt. Nach der Anhörung werde entschieden, ob der Fall an ein Strafgericht abgegeben werde. Nur dort könne über die Anschuldigungen verhandelt werden, sagte Richterin Margot Coleman am Mittwoch.

Der private Kläger Marcus Ball wirft dem 54-jährigen Tory-Politiker vor, die Öffentlichkeit mit falschen Angaben beim Referendum 2016 und bei der Neuwahl 2017 in die Irre geleitet zu haben. Er beschuldigt Johnson, fälschlicherweise angegeben zu haben, Großbritannien zahle wöchentlich 350 Millionen Pfund (knapp 400 Mio. Euro) an die EU. Dieser Betrag war ein zentraler Punkt der Kampagne des Brexit-Lagers vor dem Referendum im Jahr 2016, bei dem eine knappe Mehrheit der Briten für ein Ausscheiden aus der Europäischen Union stimmte.

Boris Johnson
APA/AFP/Daniel Leal-Olivas
Boris Johnson geht am Vormittag aus dem Haus – und Journalisten sind dabei

Auch höchster Statistiker rügte Johnson

Johnsons Anwälte hatten die Vorwürfe als politisch motiviert zurückgewiesen. Der frühere Außenminister und Ex-Bürgermeister von London habe sich lediglich im Rahmen einer politischen Kampagne und nicht als Amtsträger geäußert.

Für seine Angaben hatte Johnson bereits in der Vergangenheit heftige Kritik einstecken müssen. So rügte der Chef der britischen Überwachungsbehörde für öffentliche Statistiken in einem öffentlichen Brief den exzentrischen Politiker: Es handle sich bei den 350 Millionen Pfund um einen Bruttobetrag, bei dem nicht in Betracht gezogen werde, dass Großbritannien auch Geld von der EU zurückerhalte. „Das ist ein klarer Missbrauch öffentlicher Statistiken“, hieß es damals in dem Schreiben.

Lösung zeichnet sich nicht ab

Johnson will May beerben, die in der vergangenen Woche ihren Rücktritt angekündigt hat. May will am 7. Juni ihr Amt als Parteichefin der Konservativen abgeben. Bis Ende Juli soll ein Nachfolger bestimmt werden. Dann will May auch die Regierungsgeschäfte abgeben. Ihr war es nicht gelungen, ihren mit der EU ausgehandelten Brexit-Vertrag durchs Parlament zu bringen.

Theresa May
Reuters/Hannah McKay
May am Freitag bei ihrer Ankündigung vor Journalisten und Journalistinnen

Johnson war im vergangenen Jahr aus Protest gegen den Brexit-Kurs von May von seinem Amt als Außenminister zurückgetreten. Großbritannien soll bis zum 31. Oktober aus der Staatengemeinschaft ausscheiden. Das von May mit Brüssel ausgehandelte Austrittsabkommen wurde aber vom über den Brexit-Kurs zerstrittenen Parlament bisher dreimal abgelehnt. Eine Lösung ist nicht in Sicht. Bleibt es dabei, droht ein abruptes Ende der Mitgliedschaft mit dramatischen Folgen.

Insgesamt hat sich schon ein knappes Dutzend Politiker für die Nachfolge beworben. Am Mittwoch kündigte Brexit-Staatssekretär James Cleverly in der Zeitung „Braintree and Witham Times“ an, sich um das Amt zu bewerben. Zu den weiteren Kandidaten zählen Außenminister Jeremy Hunt, Umweltminister Michael Gove, Innenminister Sajid Javid, Ex-Arbeitsministerin Esther McVey und Gesundheitsminister Matt Hancock. Auch die ehemalige Fraktionschefin der Torys im Unterhaus, Andrea Leadsom, bewirbt sich.