Die kleine Elsa salutiert
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Doku „Kleine Germanen“

Kind sein unter Neonazis

Der Dokumentarfilm „Kleine Germanen“ befasst sich damit, wie in völkisch-deutschnationalen Familien Kinder zu Demokratiefeinden erzogen werden. Dafür bekommt der Film im Netz viel Hass von rechts und Applaus von links. Wirklich gelungen ist er aber nicht, sagen Extremismusexpertinnen und Historiker.

Die kleine Elsa kriecht hinterm Sofa hervor, hebt die Spielzeugpistole und schießt auf ihren Opa. Sie trägt seine alte Wehrmachtsuniform, er, als Russe verkleidet, geht getroffen zu Boden. „Du hast es dem Bolschewiken ordentlich gezeigt!“ Zur Belohnung bekommt sie Opas SS-Abzeichen ans Revers. In wie Farbstiftzeichnungen anmutenden Animationen erzählt der Dokumentarfilm „Kleine Germanen“ Elsas Geschichte: Über ihre Radikalisierung, ihre Beziehung zum gleichgesinnten Thorsten, die Jagd auf Ausländer, später gemeinsame Kinder, die Ferienlager, das Gefängnis. Bis hin zur persönlichen Katastrophe.

Ihre Geschichte ist der rote Faden durch den Film, über den derzeit heftig debattiert wird. Es ist, so versichern die Regisseure Frank Geiger und Mohammad Farokhmanesh, trotz aller Klischees eine wahre Geschichte. Elsa lebt heute unter einem neuen Namen versteckt in Deutschland, sie ist eine Aussteigerin aus der Neonazi-Szene. Aber ihre Lebensgeschichte ist exemplarisch dafür, wie in manchen deutschnationalen Familien Kinder schon früh indoktriniert, gequält und systematisch mit rechten Ideologien erzogen werden.

Elsa und ihr Großvater sitzen auf einer Bank in den Bergen und beobachten die untergehende Sonne
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Bei einer Bergwanderung bekommt Elsa von ihrem Opa eingetrichtert, dass sie besser sei als die anderen

Bücherwand und Kätzchen

Der Film wird in Deutschland und demnächst auch in Österreich in Schulvorführungen gezeigt, der Verleih stellt den Lehrenden dafür Unterrichtsmaterial zur Verfügung. Genau so, nämlich an Schülerinnen und Schüler gerichtet, ist der Film auch gemeint: „Wir wollten aus der Kinderperspektive erzählen. Wie nehmen diese Kinder die Welt wahr? Mit den Animationen erreichen wir da auch Kinder“, sagte Regisseur Frank Geiger. Das geht teils aber ernstlich daneben: Eine bedrohliche Traumsequenz, in der die kleine Elsa mit einer „jüdischen“ Ratte kämpft, ist eine aktive Reproduktion antisemitischer Karikaturen, die im Film nicht aufgelöst wird.

Die Regisseure befragen Rechtsextremismusfachleute aus Deutschland und Österreich, die allerdings nur als Off-Stimmen vorkommen. Vor der Kamera berichtet ein österreichischer Aussteiger über seine Jugend. Den größten Wortanteil im Film haben aber rechtsextreme Ideologinnen und Ideologen: Da sitzen etwa die Medienstars der „Neuen Rechten“, Götz Kubitschek und Ellen Kositza, vor der Bücherwand auf ihrem Landgut und schwärmen vom ‚freien Spiel‘ ihrer Kinder, während draußen Kätzchen durch den Hof tollen. Sie sprechen von Werten, von Rückgrat, vom Spielen im Wald, und dass Kindererziehung heute so kompliziert geworden sei.

Die Opfer bekommen keine Stimme

Die Historikerin und Extremismusexpertin Kathrin Quatember sieht diese Sequenzen kritisch: „Die Selbstinszenierung und vor allem die romantisierenden Kindheitsschilderungen der Protagonistinnen und Protagonisten werden nicht ausreichend hinterfragt. Was hängen bleibt, ist die völkische Erlebniswelt mystisch-naturverbundener Bilder abseits der Ideologie.“ Sogar der rechtsextreme Identitäre Martin Sellner darf sich im Film zurückerinnern, wie er genossen hat, dass es daheim kein Taschengeld gab, sondern nur Belohnung für Leistungen, und wie er sich eines Tages die Erziehung seiner eigenen Kinder vorstellt.

Götz Kubitschek (links) und Ellen Kositza (rechts) in ihrem Haus in Schnellroda
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Die „Neuen Rechten“: Götz Kubitschek und Ellen Kositza

Opfer hingegen bekommen im Film fast keinen Raum, kritisiert Bernhard Weidinger, Historiker vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW). „Am Ende des Films bleibt als Hauptbotschaft, dass Rechtsextremismus böse sei, weil er Kindern physische und psychische Gewalt antue. So zutreffend das auch ist – die mindestens ebenso wichtige Botschaft, dass er auch und vor allem Menschen Gewalt antut, die er zu ‚anderen‘ und ‚Minderwertigen‘ erklärt, bleibt dagegen äußerst blass.“

Das Gute und das Böse

Grundsätzlich befasst sich „Kleine Germanen“ mit einem wichtigen Thema, das in Österreich genauso wie in Deutschland akut ist. Einrichtungen wie das „Soziale Friedenswerk“, das in Goisern Kindersommerlager und Familientheaternachmittage veranstaltet, schaffen Querverbindungen zwischen der alten Rechten und der „Neuen Rechten“. Wachsamkeit sei notwendig, sagt auch Quatember: „Völkisch-nationalistische Familien bauen eine ganz eigene und duale Welt auf. Die eigene Familie ist hier das Gute, Reine, Schöne, während die Welt draußen als Bedrohung dargestellt wird.“

Nach außen erscheinen diese Familien oft als besonders naturverbunden, wie auch der Film zeigt, im Gegensatz zum Bild der aggressiven Rechtsextremen, das in der Öffentlichkeit oft noch vorherrscht. Das mache das Erkennen oft schwierig, so Quatember: „Deswegen ist es vor allem notwendig, pädagogisches Personal zu sensibilisieren, über aktuelle Strömungen aufzuklären und sie aktiv, etwa durch die Vermittlung an Beratungseinrichtungen, zu unterstützen.“