Andrea Nahles
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Nach EU-Wahl-Niederlage

SPD-Chefin Nahles kündigt Rücktritt an

Eine Woche nach dem historischen Debakel der SPD bei der Europawahl hat Andrea Nahles ihren Rücktritt als Partei- und Fraktionschefin angekündigt. Wer ihr nachfolgt, ist noch unklar – als Übergangsparteichefin ist Malu Dreyer im Gespräch. Neben der Zukunft der Partei steht auch die der Regierungskoalition auf dem Spiel.

„Die Diskussion in der Fraktion und die vielen Rückmeldungen aus der Partei haben mir gezeigt, dass der zur Ausübung meiner Ämter notwendige Rückhalt nicht mehr da ist“, schrieb Nahles am Sonntag an alle SPD-Mitglieder. Nahles übernimmt damit die Verantwortung für das schlechte Abschneiden der SPD bei den Europawahlen und den Bürgerschaftswahlen in Bremen.

Am Montag werde sie daher im Parteivorstand ihren Rücktritt als SPD-Chefin und am Dienstag in der Fraktion ihren Rücktritt als Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion erklären, teilte sie zudem mit. Damit wolle sie die Möglichkeit eröffnen, dass in beiden Funktionen die Nachfolge geordnet geregelt werden könne, so Nahles.

Komplettrückzug aus der Politik

Einer Fraktionssprecherin zufolge wolle Nahles auch ihr Bundestagsmandat niederlegen. Der Zeitpunkt stehe aber noch nicht fest. Die 48-Jährige war vor der Vorstandsklausur ihrer Partei unter Druck geraten, die am Montag vor allem über die „Strategiefähigkeit der Partei“ beraten will. In jüngsten Umfragen kam die SPD nur noch auf zwölf Prozent. Das ist der niedrigste jemals auf Bundesebene gemessene Wert.

Andrea Nahles
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Nahles wird auch aus dem deutschen Bundestag ausscheiden

Mützenich übernimmt kommissarisch

Nahles’ Posten wird kommissarisch von SPD-Fraktionsvize Rolf Mützenich übernommen. Das sagte der 59-Jährige dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Montag-Ausgabe). „Ich habe das schon häufiger als Vertretung für Andrea Nahles getan.“ Als Dienstältester im Vorstand sei das ein völlig normaler Vorgang.

Die SPD müsse sich jetzt die Zeit nehmen, zunächst die inhaltlichen Fragen zu klären, bevor es um die Frage gehe, wer den Fraktions- und den Parteivorsitz übernimmt. Er hielte es zudem für eine gute Lösung, wenn Ministerpräsidentin Dreyer kommissarisch die Parteiführung übernehmen würde, fügte er hinzu.

Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner warnte ebenfalls vor Schnellschüssen. „Die Entscheidung (…) verdient allergrößten Respekt, insbesondere wenn man weiß, mit welcher Leidenschaft sie immer wieder Verantwortung für ihre Partei übernommen hat“, sagte Stegner der dpa.

Scholz bedauert Rücktritt

Vizekanzler Olaf Scholz bedauerte Nahles’ Rücktritt. „Das Land und die SPD haben Andrea Nahles viel zu verdanken“, sagte der Finanzminister. In schwierigen Zeiten habe sie die Verantwortung übernommen und den Erneuerungsprozess in der Partei begonnen. „Die SPD befindet sich nicht erst seit der Europawahl in einer schwierigen Lage – wichtig ist daher, dass wir zusammenbleiben und die nächsten Schritte gemeinsam gehen“, erklärte der stellvertretende SPD-Vorsitzende. Zu seinen möglichen Ambitionen als möglicher Nachfolger von Nahles äußerte sich Scholz nicht.

Die SPD hatte bei der Europawahl vor einer Woche nur 15,8 Prozent der Stimmen erreicht – das war ihr bisher schlechtestes Ergebnis bei einer bundesweiten Abstimmung. Sie landete zudem erstmals als drittstärkste Kraft hinter den Grünen. Zugleich wurde sie bei der Landtagswahl in Bremen zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg nicht stärkste Kraft.

CDU will Koalition fortsetzen

Die CDU-Spitze setzt trotz Nahles’ Rückzugs auf die Fortsetzung der Großen Koalition. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) will „die Regierungsarbeit fortsetzen, mit aller Ernsthaftigkeit und Verantwortungsbewusstsein“. Die Kanzlerin würdigte zudem die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Nahles. Ähnlich argumentierte auch CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer: „Ich gehe davon aus, dass die SPD die jetzt anstehenden Personalentscheidungen zügig trifft und die Handlungsfähigkeit der Großen Koalition nicht beeinträchtigt wird.“ Dies sei nicht die Stunde für parteitaktische Überlegungen.

Angela Merkel und Andrea Nahles
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Nahles und Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel: Die CDU will die Große Koalition fortsetzen

Die Union stehe für Verlässlichkeit und Handlungsfähigkeit Deutschlands und wolle ihren Beitrag zu einer „stabilen und funktionierenden Regierungsarbeit leisten“, sagte Kramp-Karrenbauer. „Wir stehen weiter zur Großen Koalition.“ Kramp-Karrenbauer würdigte Nahles als „charakterstarke, aufrichtige und verlässliche“ Gesprächspartnerin. Sie nehme den Rücktritt mit Respekt zur Kenntnis.

Die Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, Alice Weidel, sah die Große Koalition in Deutschland indes vor dem Zerfall. „Nicht nur die SPD befindet sich in Auflösung, auch die GroKo (Große Koalition, Anm.) wandelt nur noch als Untoter über die politische Bühne“, sagte Weidel der dpa. „Tag für Tag fallen mehr und mehr Glieder von ihr ab.“