Manuela Schwesig (SPD-Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern), Malu Dreyer (SPD-Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz) und der hessische SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel
picturedesk.com/dpa/Silas Stein
Übergangstrio statt Nahles

Die SPD sucht ihre Zukunft

„Machen Sie’s gut": Mit diesen Worten hat sich Andrea Nahles am Montag als Vorsitzende der SPD verabschiedet. Übergangsweise übernimmt nun ein Trio die Führung. Doch das Ringen um die personelle und inhaltliche Zukunft der Partei und den Fortbestand der Großen Koalition hat eben erst begonnen.

Die engere Parteiführung schlug dem Vorstand am Montag die Ministerpräsidentinnen von Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz, Manuela Schwesig und Malu Dreyer, sowie den hessischen SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel als Übergangsspitze vor. Die drei würden „kommissarisch die Führung“ der SPD übernehmen „und damit den Übergang organisieren“, schrieb Generalsekretär Lars Klingbeil auf Twitter.

Mit Vizekanzler Olaf Scholz und dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil hatten zuvor zwei mögliche Kandidaten für den Parteivorsitz abgewunken. Doch auch das nunmehrige Spitzentrio will nicht für den Parteivorsitz kandidieren, sondern lediglich den Übergangsprozess gestalten. Ein entscheidendes Datum dafür solle der 24. Juni sein. Bei einer Vorstandssitzung soll dann über das Verfahren und die Struktur zum künftigen Parteivorsitz beraten werden.

Nahles hatte ihren Rückzug nach nur 13 Monaten an der Spitze am Sonntag in einem kurzen Schreiben an die Parteimitglieder angekündigt. „Die Diskussion in der Fraktion und die vielen Rückmeldungen aus der Partei haben mir gezeigt, dass der zur Ausübung meiner Ämter notwendige Rückhalt nicht mehr da ist“, hieß es darin. Nahles wird auch ihr Bundestagsmandat niederlegen und sich damit komplett aus der Bundespolitik zurückziehen.

Die zurückgetretene SPD-Parteichefin Andrea Nahles
APA/AFP/Tobias Schwarz
Nahles zieht einen Schlussstrich unter ihre bundespolitische Karriere

Rufe nach Doppelspitze

Für ihre langfristige Nachfolge gibt es Rufe nach einer Doppelspitze. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller sagte mit Blick auf die Grünen: „Das ist etwas, womit die anderen offensichtlich ganz gut arbeiten können.“ Außenminister Heiko Maas schlug ebenfalls eine Doppelspitze vor – diese sollte per Urwahl durch die Mitglieder bestimmt werden. „Die Zeit der Hinterzimmer muss endlich vorbei sein“, zitierte ein Teilnehmer den Außenminister. „Wir brauchen eine neue Parteispitze, die eine möglichst breite Unterstützung unserer Mitglieder hat.“

Die Nahles-Nachfolge an der Fraktionsspitze soll kommissarisch der Kölner SPD-Abgeordnete und Fraktionsvize Rolf Mützenich übernehmen. Die ursprünglich für Dienstag geplante Neuwahl des Fraktionsvorsitzes wird nicht stattfinden. Die Niederlagen bei der Europawahl und der Regionalwahl im Bundesland Bremen am 26. Mai hatten die Diskussion über Nahles’ politische Zukunft befeuert. Die Sozialdemokraten hatten bei der Europawahl zweistellig verloren. In ihrer Hochburg Bremen wurden sie erstmals nach 73 Jahren von den Christdemokraten überholt.

Halbzeitbilanz ausständig

Mit dem Rückzug von Nahles wackelt auch die Große Koalition bedrohlich. Das Bündnis aus Union und SPD hat im Koalitionsvertrag vereinbart, eine Art Halbzeitbilanz zu ziehen – das war bereits ein Zugeständnis an Kräfte in der SPD, die von Anfang an gegen eine Neuauflage der Koalition waren. Im Koalitionsvertrag heißt es: „Zur Mitte der Legislaturperiode wird eine Bestandsaufnahme des Koalitionsvertrages erfolgen, inwieweit dessen Bestimmungen umgesetzt wurden oder aufgrund aktueller Entwicklungen neue Vorhaben vereinbart werden müssen.“

Wann genau die „Revisionsklausel“ greifen soll, ist noch unklar, bisher war von Herbst oder Jahresende die Rede. Möglicherweise wird die Zwischenbilanz angesichts des Erdbebens in der SPD aber vorgezogen. Sollten die Koalitionspartner dann feststellen, dass ihre Vorstellungen zu konträr ausfallen, könnte ihr Regierungsbündnis auch platzen.

Heiko Maas (SPÖ)
APA/AFP/John Macdougall
Maas plädiert für eine durch Urabstimmung ernannte Doppelspitze

Noch gibt es Durchhalteparolen: „Die Bundeskanzlerin hat gestern gesagt, und ich zitiere es jetzt mal aus der Erinnerung, dass wir die Regierungsarbeit mit Ernsthaftigkeit und Verantwortungsbewusstsein fortsetzen werden, weil die großen Themen, die wir gemeinsam zu lösen haben, ja auf dem Tisch liegen“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag: „Und genau in diesem Geist und mit dieser Entschlossenheit arbeiten das Kanzleramt und die Ministerien, die wir hier die Ehre haben zu vertreten.“

Und Angela Merkel selbst bekräftigte am Montag erneut, weiter auf eine Zusammenarbeit mit der SPD zu setzen. „Ich habe nicht den Eindruck, dass daraus ein Signal der Instabilität einhergeht“, sagt sie mit Blick auf das neue Führungstrio. Der SPD-„Findungsprozess“ hindere die Große Koalition nicht an der Arbeit, sie stehe im Kontakt mit Vizekanzler Olaf Scholz. „Wir fühlen uns der Arbeit in der Koalition verpflichtet, wir wollen die Dinge, die wir miteinander abgemacht haben, umsetzen.“ Sie verwies etwa auf die anstehenden Bundestagsabstimmungen über das Fachkräfteeinwanderungsgesetz und das Gesetz zu einer erleichterten Abschiebung.

Kaum ein Lichtblik für die SPD

Ob Neuwahl oder nicht – die SPD scheint dereit in einer Lose-Lose-Situation. Bei einem vorgezogenen Urnengang dürften die Sozialdemokraten Umfragen zufolge eine schwere Schlappe erleiden. Das galt schon bisher unter SPD-Abgeordneten als wichtiger Grund für das Festhalten an dem ungeliebten Bündnis. Allerdings: Ohne harte zusätzliche Forderungen der SPD gilt eine Fortsetzung der Großen Koalition derzeit als schwer vorstellbar. Der ehemalige Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, machte den Fortbestand etwa von der Lösung wichtiger Probleme wie des Klimaschutzes abhängig.

Doch da dürfte die Union nicht mitspielen. CSU-Chef Markus Söder forderte die SPD am Montag auf, eine klare Entscheidung über ihren Verbleib in der Großen Koalition zu treffen. Die SPD müsse ein „klares Signal“ über ihren grundlegenden Kurs zur Koalition setzen – ob es ein Ja, ein „Ja, aber“ oder „gar ein Nein“ sei. Deutschland brauche eine stabile Regierung, und Europa brauche ein „starkes, stabiles“ Deutschland, fügte Söder hinzu.

Markus Söder
picturedesk.com/dpa/Sven Hoppe
Söder sieht keinen Grund, dem Koalitionspartner „jeden Tag entgegenzukommen“

Es „gäbe noch eine Menge gemeinsam zu schaffen“ – jedoch gebe es deswegen „keinen Rabatt“ für die SPD. Niemand in der Union komme auf die Idee, den Sozialdemokraten aufgrund ihrer derzeitigen Situation „jeden Tag entgegenzukommen“. Jeder Partner könne nur aus eigener Stärke heraus regieren, so Söder. „Wir sind entschlossen, Deutschland voranzubringen.“ Letztlich aber „steht und fällt es am Ende mit der SPD“.

Macht Merkel weiter?

Sollte die SPD aussteigen, wäre das nicht unbedingt das Ende der Kanzlerschaft Merkel. Denkbar wäre eine Minderheitsregierung, die die CDU-Spitzen mehrheitlich nach dem Platzen der „Jamaika“-Sondierungsgespräche, also jener mit FDP und Grünen, ausgeschlossen hatten. Nun könnte aber eine neue Konstellation entstehen. Dafür spräche, dass in der EU derzeit die Weichen für die kommenden fünf Jahre neu gestellt werden und sich Deutschland nicht erneut monatelange Entscheidungsunfähigkeit durch Neuwahlen und anschließende Koalitionsbildung leisten kann.

Dahingehend gingen auch die Warnungen von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer am Montag: Angesichts der internationalen Herausforderungen wäre es „alles andere als förderlich, wenn das Land jetzt in eine Regierungskrise oder in einen Dauerwahlkampf gehen würde“. Und: „Es gibt gute Gründe dafür, nicht leichtfertig eine Regierung zu beenden.“ Die CDU sei aber auch auf einen solchen Fall vorbereitet.