Skyline von Rom mit italienischer Fahne
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Budgetstreit mit Italien

Kommission ebnet Weg für Defizitverfahren

Im schwelenden Budgetstreit mit Italien hat die EU-Kommission am Mittwoch den nächsten Schritt gemacht und die Einleitung eines Defizitverfahrens empfohlen. Für Italien bleibe die Tür zwar offen, so EU-Währungskommissar Pierre Moscovici – offen ist allerdings auch, ob Italien das drohende EU-Verfahren noch verhindern kann.

Für die EU-Kommission ist ein Defizitverfahren angesichts der sich weiter verschlechternden Finanzlage in der drittgrößten Volkswirtschaft der Euro-Zone gerechtfertigt. Am Zug sind nun die EU-Finanzminister. Diese könnten demnächst der Eröffnung des EU-Verfahrens zustimmen, das am Ende zu einer milliardenschweren Geldstrafe für Italien führen könnte.

Italiens Finanzlage war laut Moscovici im vergangenen Jahr „in zwei Bereichen problematisch“. Anstatt seine Gesamtverschuldung zu reduzieren, sei diese 2018 weiter gestiegen. Zudem habe Rom bei seinem strukturellen Haushaltsdefizit Empfehlungen der Euro-Partner nicht umgesetzt. Laut Vizekommissionspräsident Valdis Dombrovskis haben die EU-Mitgliedsstaaten nun zwei Wochen Zeit, „um unsere Analyse zu bestätigen“. Ein Richtungsentscheid könnte sich bereits Donnerstag und Freitag kommender Woche beim Treffen der EU-Finanzminister in Luxemburg abzeichnen.

 Pierre Moscovici
AP/Virginia Mayo
Moscovicis Haushaltsrüge für Italien zeichnete sich zuletzt verstärkt ab

Weitere Verschlechterung prognostiziert

Italiens Schuldenquote erreichte im Vorjahr 2018 mit rund 132 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) einen neuen Höchststand. Nur Griechenland hat mit rund 181 Prozent eine höhere Verschuldungsqote. Damit liegt Italien weit über der durch die Maastricht-Kriterien erlaubten Gesamtverschuldung von 60 Prozent des BIP. Mit der für dieses Jahr erwarteten Neuverschuldung von 2,5 Prozent liegt das Land indes unter der Maastricht-Grenze von drei Prozent – nach einem langen Gezerre hatte sich die italienische Regierung mit der EU-Kommission aber auf einen wieder außer Reichweite geratenen Zielwert von 2,04 Prozent geeinigt.

Grafik zur Entwicklung der Schulden in Italien
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: Eurostat

Die EU-Staaten haben zwei Wochen Zeit, um die Einschätzung der EU-Kommission zu prüfen. Stimmen sie damit überein, kann die Brüsseler Behörde das offizielle Strafverfahren einleiten. Damit wären konkrete Vorgaben und Auflagen für Italien verbunden, die Schulden zu senken. Ignoriert die Regierung diese weiterhin, können Geldstrafen folgen. Bisher wurden diese allerdings noch gegen kein Land in Europa verhängt.

Von Dauerstreit geprägte Koalition

Italien entkam Ende vorigen Jahres nur knapp einem EU-Strafverfahren. In Rom regiert seit Sommer 2018 eine Koalition aus der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung und der rechtspopulistischen Lega. Beide machten teure Wahlversprechen wie die Einführung eines Grundeinkommens und die Senkung des Pensionsantrittsalters.

Letzter Warnschuss für Italien

Die EU-Kommission will hart gegen Italien und seine ausufernde Staatsverschuldung durchgreifen. Sollte das Land die Ausgaben nicht drastisch senken, droht ein Defizitverfahren mit Milliardenstrafen.

Die Botschaft aus Brüssel platzt auch in eine heikle Phase in Rom. Ein Dauerstreit hat die Koalition praktisch lahmgelegt. Regierungschef Giuseppe Conte drohte unlängst mit seinem Rücktritt. Er rief die Regierungspartner zum Zusammenhalt auf, mahnte Zurückhaltung gegenüber der EU an und warnte vor Botschaften, die Verunsicherung auf den Märkten auslösen könnten. „Ich werde bis zum Schluss die größtmöglichen Anstrengungen unternehmen, um ein Verfahren abzuwenden, das dem Land sicherlich nicht guttun wird“, sagte Conte mit Blick auf die von der Kommission ausgesprochene Empfehlung.

Giuseppe Conte
APA/AFP/Manan Vatsyayana
Conte will mit „größtmöglicher Anstrengung“ das Defizitverfahren verhindern

„Italien darf nicht Risiko für Euro-Zone werden“

In den vergangenen Monaten hatten Italiens Budgetpläne zu Verunsicherung und Kurseinbrüchen auf den Märkten geführt. Gerät die drittgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone ernsthaft in Finanzierungsprobleme, könnte das Auswirkungen auf das ganze gemeinsame Währungsgebiet haben. Italien dürfe nicht zum Risiko für die Euro-Zone werden, wie EU-Haushaltskommissar Guenther Oettinger dazu sagte.

In dem nun empfohlenen Verfahren könnte Rom am Ende eine Geldbuße von bis zu 0,2 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung drohen. Das wären bis zu 3,5 Milliarden Euro. Möglich wäre auch, dass Italien Gelder aus den milliardenschweren EU-Strukturfonds gekürzt werden.

Kritik von Di Maio und Salvini

Kritik am drohenden Defizitverfahren kam unterdessen vom stellvertretenden italienische Regierungschef und Fünf-Sterne-Chef Luigi Di Maio. Ein Land mit sechs Millionen Arbeitslosen dürfe nicht dafür bestraft werden, dass es in Wachstum, Arbeitsplätze und Steuersenkungen investieren wolle, teilte Di Maio via Facebook mit.

Auch der italienische Innenminister und Lega-Chef Matteo Salvini verteidigte die italienische Schuldenpolitik. Die Italiener brauchten Arbeit, ansonsten würde die Verschuldung eben weiter steigen, sagte Salvini bei einem Auftritt in der Kleinstadt Ascoli Piceno.

Letztes laufendes Verfahren gegen Spanien

Allerdings hat es noch nie derartige Strafen gegeben, weswegen auch Italien aus Beobachtersicht durchaus mit einem blauen Auge davonkommen könne. Dasselbe gilt für Spanien, das sich in den vergangenen Jahren allerdings vom Sorgenkind zum Musterknaben gewandelt hat. Moscovici zufolge sei es aus diesem Grund an der Zeit, mit dem Verfahren gegen Spanien das letzte der seit der Finanzkrise vor rund zehn Jahren eröffneten Defizitverfahren einzustellen. Auch in diesem Fall gilt: Formell müssen die EU-Finanzminister diesem Schritt noch zustimmen.

Finanzkrise brachte für 24 Länder EU-Verfahren

Nach Angaben der Kommission lag die Neuverschuldung Spaniens 2018 mit 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erstmals seit mehr als zehn Jahren unter der von der EU geforderten Dreiprozentmarke. 2017 hatte das Land mit einem Defizit von etwas über drei Prozent als letzter EU-Staat den Absprung noch knapp verpasst.

Während der Finanzkrise und in den Jahren danach waren gegen 24 der damals 27 EU-Länder Verfahren wegen übermäßiger Neuverschuldung eingeleitet worden. Das Ende des letzten dieser Verfahren sei auch das Ende „eines langen und schmerzhaften Weges nicht nur für Spanien, sondern für die gesamte Europäische Union und die Euro-Zone“, unterstrich Moscovici.

Zum Höhepunkt der Finanz- und Schuldenkrise 2009 hatte Spanien innerhalb eines Jahres mehr als zehn Prozent seines BIP an neuen Verbindlichkeiten angehäuft. Für 2019 rechnet die Kommission derzeit mit 2,3 Prozent und für 2020 mit 2,0 Prozent neuer Schulden. Die Gesamtverschuldung Spaniens war mit 97,1 Prozent des BIP 2018 weiterhin eine der höchsten in der EU.