Landschaft bei Kresna, Bulgarien
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Bulgarien

Streit über Autobahn durch Naturjuwel

Die Kresna-Schlucht in Bulgarien ist ein Naturparadies. Umringt von Bergen tost dort der Fluss Struma und schneidet sich durch die Wildnis. Sie ist Heimat zahlreicher seltener Tier- und Pflanzenarten, zudem Durchzugsgebiet für Bären, Wölfe und Vögel. Doch eine mit EU-Geldern geförderte Autobahn gefährdet die Schlucht, warnen Umweltschützer.

Die geplante Straße soll Teil eines europäischen Prestigeprojekts werden: einer Route von Dresden bis Thessaloniki, die Wirtschaft, Tourismus und Entwicklung ankurbeln soll. Mit der Struma-Autobahn führen rund 170 Kilometer der transeuropäischen Strecke durch Westbulgarien – und vermutlich rollt der Verkehr aus der Hauptstadt Sofia gen Griechenland auch bald durch das Kresna-Naturschutzgebiet.

Doch Umweltschützer wollen mit aller Kraft verhindern, dass in der Klamm, in der es bereits eine Straße gibt, wieder gebaut wird. Immerhin gilt die Kresna-Schlucht als ein Juwel der Biodiversität: Mehr als 3.500 Arten leben dort. 92 sind von der EU geschützt, darunter Steinadler, Gänsegeier, Tigeriltisse sowie eine Vielzahl an gefährderten Schildkröten-, Vögel- und Fledermausarten. Außerdem gilt die Schlucht als Schmetterlingsbiotop.

Landschaft bei Kresna, Bulgarien
Save Cresna Gorge Coalition
Die Schlucht weist aufgrund ihrer Geologie und ihrer Lage zwischen Balkan und Mittelmeer besonderen Artenreichtum auf

Aufgrund dieser Artenvielfalt ist die Kresna-Schlucht seit Bulgariens EU-Beitritt als geschütztes Natura-2000-Gebiet ausgewiesen. Es unterliegt damit der Habitat-Direktive, die Europas Naturschätze auf Dauer bewahren soll. Ein Verbund von Umweltschützern kritisiert, dass der Autobahnbau einen Verstoß der EU-Regeln bedeuten könnte. Schäden an der Tierwelt ließen sich jetzt schon feststellen, so Desislawa Stojanowa von Friends of the Earth Bulgarien gegenüber ORF.at.

EU als Hauptfinancier

Die Umweltschützer fordern, dass Arbeiten in dem Gebiet noch verhindert werden. Sie sehen dabei auch die EU in der Pflicht. Brüssel ist hauptsächlicher Financier der Struma-Autobahn, seit 2008 zahlt sie in Tranchen Fördergeld für einzelne Bauabschnitte aus. Das Geld kommt vorrangig aus dem Kohäsionsfonds für wirtschaftsschwächere Länder und von der Europäischen Investitionsbank (EIB). Die EU sieht in der Autobahn eine wichtige Maßnahme zur Verbindung zwischen Süd und Nord sowie Bulgarien und seinen Nachbarstaaten.

Bis dato sind rund 600 Millionen Euro in das Projekt geflossen. Mit dem Geld wurden in den vergangenen elf Jahren vor allem die unstrittigen Abschnitte nördlich und südlich der Schlucht fertiggestellt. Der heikle Part – die Klamm selbst – wurde entgegen Abmachungen bis zum Schluss ausgespart. Doch nun könnte es schnell gehen, so Stojanowa. Es gebe zwar keine offizielle Information. Die Bauarbeiten könnten aber „schon in Wochen“ gestartet werden. Es drängt auch die Zeit: Die Autobahn muss bis 2023 fertig sein. Sonst verstößt Bulgarien gegen Förderrichtlinien und muss mit Rückzahlungen rechnen.

Demonstration in der Kresna-Schlucht
Friends of the Earth Europe/Ivan Donchev
Eine Protestaktion der Naturschutzverbände

Zwei Straßen – eine durch die Schlucht

Deswegen will die bulgarische Regierung den Bau jetzt vorantreiben. Ihr Plan ist ein Zweistraßenkonzept: Der südlich verlaufende Verkehr von Sofia in Richtung Griechenland soll künftig auf der existierenden Schnellstraße durch die Schlucht verlaufen. Für den Verkehr Richtung Norden soll östlich der Klamm eine neue Straße mit mehreren Tunneln und Viadukten errichtet werden. Auch Raststationen und Parkplätze sind geplant. In der Schlucht selbst seien Sanierungsmaßnahmen der bestehenden Straße vorgesehen.

Die Krux: Dieser Plan ist gänzlich anders als jener, der beim Finanzierungs- und Projektstart auf dem Tisch lag. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung durch die Europäische Kommission hatte damals zur Vermeidung von Umweltschäden vorgeschlagen, die Schlucht entweder ganz zu umgehen oder einen Tunnel zu bauen. Dieser wäre mit 15 Kilometern Länge ein komplexes Projekt gewesen, hätte aber Schäden an der Oberfläche vermieden. Im Glauben, dass die bulgarische Regierung diesen Pfad weiter verfolgt, wurde Geld für die anderen Abschnitte und die Vorbereitung des Tunnelbaus freigegeben.

Plan für Tunnel wanderte in Schublade

Doch fast zehn Jahre später, im Jahr 2017, legte Bulgarien den Tunnelplan plötzlich ad acta. Basis für die Entscheidung war eine nationale Umweltverträglichkeitsprüfung, die nach einer Beschwerde von NGOs auch vom höchsten Gericht des Landes bestätigt wurde. Laut dieser hätten bei einem Tunnelbau unter anderem Erdbebengefahr und Wasserverschmutzung gedroht. Kritiker glauben hingegen, dass der Plan abgeblasen wurde, weil keine bulgarische Baufirma den Tunnel auch tatsächlich bauen hätte können – womit auch das Geld das Land verlassen hätte.

Landschaft bei Kresna, Bulgarien
Emilia Vacheva
Eine Östliche Smaragdeidechse, in der Schlucht fotografiert

Die Regierung weist das zurück. Sie sei zu dem Schluss gekommen, dass die oberirdische Autobahn in mehrfacher Hinsicht umweltfreundlicher und gesünder sei. Die Lösung sei eingehend geprüft worden und halte alle notwendigen EU- und nationalen Standards ein. Schutzmaßnahmen könnten die Auswirkungen auf die Natur reduzieren. Die Regierung argumentiert zudem damit, dass eine schnelle Erledigung Verkehrsunfälle vermeide. Aktuell fordere keine andere Strecke mehr Menschenleben.

Ein Drohnenflug über die geplante Route der neuen Straße

Sofia sieht keine Alternative

Laut der Regierung gibt es keine Alternative zu dieser Variante. Dass sowohl die Nord- als auch die Südstrecke östlich der Schlucht gebaut werden, kommt für die Regierung nicht infrage: Das sei teurer, unter anderem weil aufgrund von Höhenunterschieden nicht alle Spuren parallel verlaufen könnten und die Autobahn somit mehr Platz brauche. Ein Argument, das die Umweltschützer nicht gelten lassen wollen: Die Berechnung der Regierung würde Folgekosten für die lokale Wirtschaft und Wartungsarbeiten unterschätzen.

Für die NGOs ist nach wie vor der Tunnel die beste Option, gefolgt von einem Gesamtstraßenverlauf im Osten. Dieser würde sich zwar auch durch Natura-2000-Gebiet bewegen. Es gebe aber mehr Platz für Schutzmaßnahmen. Das sei in der Schlucht nicht der Fall. „Ich glaube es kommt darauf an, wie man baut“, so Stojanowa „Wenn sie wollen, können sie.“ Vom Plan der östlichen Straße würde auch die Bevölkerung des Ortes Kresna profitieren. Viele von ihnen würden fürchten, dass die nahe Autobahn das Land verbauen, die Luft verschlechtern und dem Umwelttourismus schaden könnte.

Landschaft bei Kresna, Bulgarien
Svetlana Mihova
Die Schlucht ist eine beliebte Rafting-Destination

EU will bei Förderantrag prüfen

Seitens der EU gibt man sich zurückhaltend. Die Kommission verweist auf ORF.at-Anfrage darauf, dass Bulgarien noch keinen Antrag auf Fördermittel für den Bau des heiklen Teilstücks eingereicht hat. Erst wenn dieser eintrifft, werde man prüfen, ob alle erforderlichen EU-Gesetze – inklusive jener zur Umwelt – eingehalten würden und der Abschnitt damit förderungswürdig sei.

Sollte Bulgarien den Bau ohne Antrag fortsetzen, werde man „die vollständige Einhaltung der EU-Umweltgesetze und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes genau beobachten“. Abgesehen davon sei Bulgarien ohnehin verpflichtet, angemessene Maßnahmen gegen den „Verfall ikonischer Stätten“ zu ergreifen.

Stojanowa und ihre Verbündeten hoffen jedenfalls darauf, dass die EU-Kommission sich einschaltet. Sie fordern, dass auf die Einhaltung der Umweltregeln gepocht wird. „Die Kommission hat den Einfluss, sie muss ihn nur nutzen.“ Das sei in der Vergangenheit bereits geschehen. Jedenfalls sei das Problem jetzt „auf dem Radar“, hofft sie. „Sie haben endlich verstanden, dass wir über bereits stattfindende Zerstörung sprechen.“ Nun gilt es, zu warten: „Wir werden sehen ob sie handeln.“