Britische Premierministerin Theresa May
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Nur ein Brief

Mays Abschied in Stille

Die britische Premierministerin Theresa May ist am Freitag als Parteivorsitzende der konservativen Torys zurückgetreten. May wird für die Zeit der Regelung ihrer Nachfolge bis voraussichtlich Ende Juli als Regierungschefin im Amt bleiben, sich aber nicht weiter um den Austritt Großbritanniens aus der EU kümmern, teilte ihr Sprecher in London mit.

Der Rücktritt vom Parteivorsitz erfolgte durch die Übergabe eines persönlichen Schreibens, eines Briefes, von May an ihre Partei. Ein öffentlicher Auftritt der scheidenden Premierministerin war nicht geplant.

Gleichzeitig mit dem Rückzug beginnt die Ausschreibung für einen Nachfolger. Der Sieger bzw. die Siegerin des mehrstufigen Prozesses soll bis Ende Juli feststehen – und wird May dann auch an der Regierungsspitze ablösen. Das Feld der Bewerber ist groß und schillernd. Rund ein Dutzend Kandidaten und Kandidatinnen haben bisher ihren Hut in den Ring geworfen. Am Montag werden die Nominierungen für Mays Nachfolge entgegengenommen.

Britische Premierministerin Theresa May
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May bei ihrem letzten EU-Auftritt auf dem Gipfel am Dienstag nach der EU-Wahl

Auch Kabinettsmitglieder rittern um Nachfolge

Die besten Chancen werden Ex-Außenminister Boris Johnson eingeräumt. Der umstrittene Politiker und ehemalige Londoner Bürgermeister ist als Chefdiplomat in viele Fettnäpfchen getreten. Ihm wird aber zugetraut, enttäuschte Brexit-Wähler, die sich von den Konservativen abgewendet haben, zurückzugewinnen. Er gilt als Erzfeind von May und hat ihr auch das Leben als Premierministerin und Tory-Chefin schwergemacht.

Auch der sehr gut vernetzte Umweltminister Michael Gove hat viele Unterstützer. Brexit-Staatssekretär James Cleverly will sich ebenfalls bewerben. Zu den weiteren Kandidaten und Kandidatinnen zählen Außenminister Jeremy Hunt, Innenminister Sajid Javid, Ex-Arbeitsministerin Esther McVey und Gesundheitsminister Matt Hancock. Auch die ehemalige Fraktionschefin der Torys im Unterhaus, Andrea Leadsom, sowie der ehemalige Brexit-Minister Dominic Raab bewerben sich.

Johnson doch nicht vor Gericht

Für Johnson gab es am Freitag gute Nachricht: Er muss sich wegen möglicherweise wissentlich falscher Aussagen vor dem Brexit-Referendum doch nicht vor Gericht verantworten. Auf Antrag seines Anwalts wies der High Court in London eine gerichtliche Vorladung zurück. Damit ist eine Hürde für Johnsons Bewerbung um das Amt des Premierministers beseitigt.

Bildcombo zeigt: Angela Leadsom, Boris Johnson, Jeremy Hunt, Michael Gove; Sajid Javid und Dominic Raab
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Andrea Leadsom, Boris Johnson, Jeremy Hunt, Michael Gove, Sajid Javid, Dominic Raab (v. l. n. r.)

Eine Bezirksrichterin hatte Ende Mai beschlossen, Johnson zu Vorwürfen des Fehlverhaltens im Amt anzuhören. Sie hatte erklärt, eine Vorladung Johnsons zu einer gerichtlichen Voranhörung sei der Sache angemessen. Nach der Anhörung werde entschieden, ob der Fall vor ein Strafgericht komme. Nur dort könne über die Anschuldigungen verhandelt werden.

Hinter der Klage steht der Geschäftsmann Marcus Ball. Er wirft dem konservativen Politiker vor, die Öffentlichkeit mit falschen Angaben beim Referendum 2016 und bei der Neuwahl 2017 in die Irre geleitet zu haben. Er beschuldigt Johnson, fälschlicherweise angegeben zu haben, Großbritannien zahle wöchentlich 350 Millionen Pfund (knapp 400 Mio. Euro) an die EU. Dieser Betrag war ein zentraler Punkt der Kampagne des Brexit-Lagers vor dem Referendum im Jahr 2016, bei dem eine knappe Mehrheit der Briten für ein Ausscheiden aus der Europäischen Union stimmte.

Theresa May
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May Ende Mai bei der Ankündigung ihres Rückzugs vor Journalisten und Journalistinnen

Riesige Aufgaben nach May-Abgang

Auf Mays Nachfolger bzw. Nachfolgerin kommt eine schwere Aufgabe zu. Er oder sie soll Partei und Parlament einen. May hatte es nicht geschafft, das Parlament auf einen gemeinsamen Brexit-Kurs einzuschwören. Sie war mit ihrem Brexit-Deal dreimal im Unterhaus durchgefallen. Einige der Bewerber wollen nun das gescheiterte Abkommen mit Brüssel nachverhandeln und im Zweifel auch ohne Deal austreten. Die Frist für den EU-Austritt wurde inzwischen zweimal verlängert. Sie endet nun am 31. Oktober.

ORF-Korrespondentin Cornelia Primosch aus London

Wer hat die besten Chancen auf die Nachfolge von May? Und wie kann die Aufgabe, das britische Parlaments doch noch zu einem geregelten Brexit zu bewegen, gelöst werden?

Die Konservativen stehen seit der Europawahl Ende Mai stark unter Druck von rechts. Die neue Brexit-Partei von Nigel Farage hatte es mit knapp 32 Prozent der Stimmen aus dem Stand zur stärksten Kraft geschafft. Die Torys wurden abgestraft und kamen nur noch auf rund neun Prozent.

Trump lobt Johnson

Bei der Nachwahl im ostenglischen Wahlkreis Peterborough setzte sich am Donnerstag die Labour-Kandidatin Lisa Forbes knapp gegen den Kandidaten der Brexit-Partei, Mike Greene, durch. Die Farage-Partei hatte sich dort den ersten Sitz im britischen Parlament erhofft. Am Ende lag Forbes mit 683 Stimmen Vorsprung vor Greene, wie die Agentur PA berichtete.

Bei seinem Staatsbesuch in dieser Woche hatte sich US-Präsident Donald Trump bereits mit mehreren der möglichen Nachfolgern Mays getroffen. Er bescheinigte – entgegen allen diplomatischen Gepflogenheiten – Johnson ausgezeichnete Fähigkeiten für das Amt des Partei- und Regierungschefs. Die USA und Großbritannien streben ein großes Handelsabkommen nach dem EU-Austritt Londons an.