Demonstration in Hongkong
AP/Vincent Yu
Gegen Auslieferungsgesetz

Eine Million auf Hongkongs Straßen

Ein Gesetzesvorhaben der prochinesischen Führung sorgt in Hongkong für die größte Massendemonstration seit drei Jahrzehnten. Schätzungen zufolge gingen am Sonntag mehr als eine Million Menschen gegen ein Gesetz auf die Straße, mit dem auch Auslieferungen an das chinesische Festland ermöglicht werden sollen.

Die Organisatoren hatten bereits im Vorfeld mit einem großen Zulauf gerechnet – die zunächst erwartete Teilnehmerzahl von rund 500.000 Menschen wurde nun offenbar mehr als verdoppelt. Berichten zufolge verlief die Massendemo zunächst weitgehend friedlich, es habe vereinzelt aber auch Zwischenfälle und Festnahmen gegeben. Die Polizei habe Pfefferspray eingesetzt. Nach Angaben der Polizei wurden 240.000 Demonstranten gezählt.

In der Nacht auf Montag (Ortszeit) gab es gewaltsame Auseinandersetzungen, als Hunderte Demonstrierende vor dem Parlament ein Nachtlager aufschlagen wollten. Die Polizei versuchte, das mit Schlagstöcken und Pfefferspray zu verhindern. Protestteilnehmer warfen Flaschen auf die Beamten und setzten Metallgitter gegen die Polizisten ein. Auf beiden Seiten schien es Verletzte zu geben.

Zusammenstoß zwischen Polizei und Demonstranten in Hong Kong
Reuters/Thomas Peter
Einige wollten vor dem Parlament ein Schlaflager errichten. Die Polizei reagierte mit Schlagstöcken und Pfefferspray.

Peking zog Zügel enger

Es handelt sich um die größte Teilnehmerzahl seit der Demonstration nach der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung am 4. Juni 1989 in Peking. Bei dem letzten ähnlichen Massenprotest hatten am 1. Juli 2003 mehr als eine halbe Million Menschen gegen geplante nationale Sicherheitsgesetze demonstriert, die danach zurückgezogen wurden.

Die frühere britische Kronkolonie wird seit der Rückgabe 1997 an China nach dem Grundsatz „ein Land, zwei Systeme“ als eigenes Territorium autonom regiert. Die sieben Millionen Einwohner der heutigen chinesischen Sonderverwaltungsregion genießen größere Freiheiten als die Menschen in der Volksrepublik, darunter das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie Presse- und Versammlungsfreiheit. Seit den Demonstrationen 2014 für mehr Demokratie, die Teile der Stadt wochenlang lahmlegten, zieht Peking aber die Zügel enger.

Hongkong: Größte Massendemo seit Jahrzehnten

Mit der größten Demonstration seit drei Jahrzehnten in Hongkong haben eine Million Menschen gegen Pläne der Regierung für Auslieferungen an China protestiert. (Videoquelle: EBU)

„Keine Auslieferung nach China“

Das geplante Gesetz sieht vor, dass Auslieferungen künftig in jegliche Rechtssysteme möglich sein sollen, mit denen nicht bereits Auslieferungsabkommen bestehen. Damit würde es den Behörden der sieben Millionen Einwohner zählenden Sonderverwaltungsregion Chinas auch erlauben, auf Ersuchen chinesischer Stellen Verdächtigte an die Volksrepublik auszuliefern.

Demonstration in Hongkong
AP
Die Demonstrierenden wollen Auslieferungen auf das chinesische Festland verhindern

Kritiker argumentieren, dass das Justizsystem in China nicht unabhängig sei, internationalen Standards nicht entspreche und politisch Andersdenkende verfolge. Auch werden Angeklagte zu 99 Prozent verurteilt. Es gibt Sorge, dass das Gesetz die Position Hongkongs als asiatische Wirtschafts- und Finanzmetropole untergräbt. Doch soll der nicht frei gewählte Legislativrat, in dem pekingtreue Abgeordnete die Mehrheit haben, das Gesetz am Mittwoch annehmen.

Einige Strafbestände wieder gestrichen

Neben Anwaltsverbänden und Menschenrechtsgruppen zeigten sich auch ausländische Handelskammern und Regierungen besorgt. Nachdem bereits am Donnerstag Tausende schwarz gekleidete Anwälte gegen das Gesetz protestierten, folgte für Sonntag der Aufruf zu einer Massendemo. Die Menschen riefen Slogans wie „Schafft das böse Gesetz ab“ und „Gegen Auslieferungen an China“. Die lauten und dicht gedrängten Menschenmengen erstreckten sich kilometerweit in den Straßen der chinesischen Sonderverwaltungszone.

Demonstration in Hongkong
APA/AFP/Dale de la Ray
Die Organisatoren erwarteten 500.000 Teilnehmen – nur wird die Zahl doppelt so hoch geschätzt

Demonstrierende forderten den Rücktritt der Regierungschefin Carrie Lam. Um der Kritik zu begegnen, hatte ihre Regierung noch Änderungen am Gesetz aufgenommen. So soll es nur um schwere Verbrechen gehen. Das Strafmaß muss bei sieben und nicht wie erst vorgesehen drei Jahren liegen. Während Straftatbestände wie Steuer- oder Wertpapiervergehen gestrichen wurden, blieben aber Bestechung und Geldwäsche.

„Schlimmstes Gesetz aller Zeiten“

„Es ist das schlimmste Gesetz aller Zeiten“, sagte Hera Poon, die ihre ganze Familie zur Demonstration mitgebracht hatte. „Wir alle wissen, dass China das Justizsystem in Hongkong erschüttert.“ Sie fürchtet politische Verfolgung durch China. „Wenn die Regierung nicht glücklich mit dir ist, klagt sie dich an und spricht dich schuldig.“ Ein anderer Teilnehmer, der sich schon nicht traute, seinen Namen zu sagen, sagte: „Dieses Gesetz tritt die fundamentalen Freiheiten in Hongkong mit Füßen.“

Amnesty International warnte, dass Ausgelieferten in China „Folter, Misshandlung und unfaire Verfahren“ drohten. Auch offizielle Zusicherungen, dass das Gesetz bei politischer Verfolgung nicht greife, ließ die Organisation nicht gelten. Chinas Behörden brächten regelmäßig legitim scheinende, unpolitische Anklagen vor, „um friedliche Aktivisten, Menschenrechtsverteidiger und solche, die die Regierungspolitik ablehnen, zu verfolgen und zu inhaftieren“. Es sei ein „machtvolles Werkzeug“, um Kritiker einzuschüchtern.

Menschenrechtsgruppen weisen auch darauf hin, dass die zwei UNO-Konventionen für bürgerliche Rechte und gegen Folter, an die Hongkong gebunden sei, die Überstellung von Personen in Länder untersagten, wo Folter und Misshandlung drohten. Andere Länder wie die USA und Kanada äußerten ihre Sorge über das Gesetz. Sie befürchten, dass ihre Bürger in Hongkong betroffen werden könnten.

„Geiseldiplomatie“

Die Kommission des US-Kongresses für Wirtschaft und Sicherheit in den Beziehungen zu China warnte, das Gesetz könnte „eine ernste Gefahr für die nationale Sicherheit der USA und seine Wirtschaftsinteressen in Hongkong darstellen“. Es könne „Hongkongs Ruf als sicherer Ort für US-amerikanische und internationale Geschäfte schwinden lassen“. Auch gebe es ein größeres Risiko für US-Bürger und Hafenbesuche.

Demonstration in Hongkong
APA/AFP/Philip Fong
Die Proteste verliefen weitgehend friedlich

Kanada ist besonders besorgt, weil es jüngst erleben musste, wie China zwei seiner Bürger – unter Spionagevorwürfen – festgesetzt hat. Diplomaten sehen „Geiseldiplomatie“ und Vergeltung nach der Festnahme der Finanzchefin und Tochter des Gründers des Telekomriesen Huawei, Meng Wanzhou, die unter Auflagen wieder frei ist und in Kanada gegen die Auslieferung in die USA kämpft. Ihr wird Bankbetrug bei der Verletzung der Sanktionen gegen den Iran angelastet.

Hongkongs letzter britischer Gouverneur Chris Patten warnte vor einem „schrecklichen Schlag“ gegen Hongkongs Rechtsstaatlichkeit, Stabilität, Sicherheit und Position als internationaler Handelsplatz.