Ivan Golunov
AP/Dmitry Serebryakov
„Wir sind Iwan Golunow“

Mediensolidarität mit russischem Reporter

„Ich bin/wir sind Iwan Golunow“: Die führenden russischen Qualitätszeitungen „Kommersant“, „RBK“ und „Wedomosti“ sind am Montag erstmals mit dem gleichen Titelblatt erschienen, um gegen das Vorgehen der Polizei gegen den Investigativreporter Iwan Golunow zu protestieren. Golunow, der seit Samstag unter Hausarrest steht, werden Drogendelikte vorgeworfen. Unterstützer vermuten, dass der Reporter mundtot gemacht werden soll.

Abgesehen von der gleichen Schlagzeile veröffentlichten „Kommersant“, „RBK“ und „Wedomosti“ eine gemeinsame Erklärung der drei Redaktionen. Die Tageszeitungen begrüßten, dass ein Moskauer Bezirksgericht am Samstag keine Untersuchungshaft über den Journalisten verhängt hatte, brachten aber gleichzeitig „große Zweifel“ zum Ausdruck, dass die Ermittlungen gesetzeskonform gewesen seien.

„Wir schließen nicht aus, dass die Festnahme von Golunow mit seiner beruflichen Tätigkeit (als Investigativreporter, Anm.) zu tun hat“, hieß es in der Erklärung. Bereits in den Vormittagsstunden waren die drei Zeitungen in der russischen Hauptstadt gänzlich ausverkauft. Journalistenverbandsfunktionäre sprachen von Willkür und einer augenscheinlichen Racheaktion gegen die Arbeit Golunows.

Zeitungscover
APA/AFP/Yuri Kadobnov
„Ich bin/wir sind Iwan Golunow": „Kommersant“, „RBK“ und „Wedomosti“ schrieben mit dem Protest russische Mediengeschichte

Der am Donnerstag festgenommene Reporter hatte der Polizei tags darauf nach seiner Festnahme Folter vorgeworfen. Am Samstag wurde er vorübergehend in ein Moskauer Krankenhaus verlegt. Dort bestätigten Ärzte laut Polizei lediglich Kratzer auf dem Rücken und ein geschwollenes Auge.

Kreml: Causa wirft Fragen auf

Auch der Kreml reagierte am Montag bereits. „Wir verfolgen sehr genau, wie sich der Fall und all seine Nuancen entwickeln“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow gegenüber Medien. Auch der russische Präsident Wladimir Putin sei über den Fall informiert. Der Fall werfe Fragen auf und erfordere die umfassende Aufmerksamkeit der Generalstaatsanwaltschaft und anderer Abteilungen des Innenministeriums, „um mögliche Verletzungen oder deren Fehlen zu analysieren“.

Laut Polizei wurden in Golunows Rucksack knapp vier Gramm der psychoaktiven Designerdroge Mephedron sowie Kokain gefunden. Ein weiteres Päckchen mit Drogen und eine Waage seien in der Wohnung des 36-Jährigen entdeckt worden. Bei einer Verurteilung droht dem Journalisten eine lange Haftstrafe. Golunow und dessen Arbeitgeber wiesen die Vorwürfe zurück und werfen den Behörden vor, ihn für seine Recherchen bestrafen zu wollen. Er habe bereits mehrere Morddrohungen erhalten.

Mehr als 140.000 Menschen unterzeichnen Petition

Russlands oberster Drogenarzt Jewgeni Brjun teilte der Agentur Interfax nun mit, dass weder in den Fingernägeln noch in den Haaren des Journalisten Spuren eines Drogenmissbrauchs nachgewiesen werden konnten. Dass Drogen Menschen untergeschoben werden, um sie mittels eines Strafverfahrens mundtot zu machen, hat auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion eine lange Geschichte.

Ivan Golunov
AP/Dmitry Serebryakov
Golunow warf der Polizei nach seiner Festnahme Folter vor

Das in Lettland ansässige Onlinemedium Meduza.io, für das der Journalist in den letzten Jahren zahlreiche äußerst brisante Artikel insbesondere auch über Korruption hochrangiger Bürokraten, Polizisten und Geheimdienstler verfasst hatte, hatte zudem dazu aufgefordert, Golunow-Artikel in Sozialen Netzwerken zu publizieren. Eine Onlinepetition für die Freilassung des Reporters hatte bis Montagnachmittag mehr als 140.000 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner.

„Marsch für die Freiheit von Iwan Golunow“

Obwohl den Organisatoren und Teilnehmern Festnahme sowie Verwaltungsarrest drohen dürften, haben am Montag Kollegen des Journalisten überdies für den russischen Staatsfeiertag am 12. Juni zu einem „Marsch für die Freiheit von Iwan Golunow“ im Zentrum Moskaus aufgefordert. Es gilt als wahrscheinlich, dass dabei viele Teilnehmer mit hochgehaltenen Montag-Ausgaben von „Kommersant“, „RBK“ oder „Wedomosti“ mitmarschieren werden.

Somit dominiert die Causa auch Tage nach dem Bekanntwerden der Festnahme des 36-jährigen Journalisten weiterhin die russische Medienlandschaft. Journalistinnen und Journalisten hatten im Rahmen des äußerst eingeschränkten Demonstrationsrechts seit Freitag zudem in Moskau, St. Petersburg und anderen Städten Ein-Personen-Demonstrationen veranstaltet. Dutzende stellten sich etwa an, um vor der Moskauer Polizeizentrale ein paar Minuten lang als Einzelperson legal demonstrieren zu können.

Am Samstagabend versammelten sich überdies Hunderte Journalistinnen und Journalisten vor jenem Moskauer Bezirksgericht, das trotz eines diesbezüglichen Antrags der Anklage und trotz der Praxis beim inkriminierten Delikt keine Untersuchungshaft über Golunow verhängte und ihn überraschend lediglich unter Hausarrest stellte. Die liberale Öffentlichkeit Russlands feierte das als Zwischenerfolg.

Causa bringt Putin unter Druck

Am Freitag hatte der Fall gar eine programmatische Rede von Präsident Putin beim Petersburger Wirtschaftsforum in den Hintergrund rücken lassen. Am Samstag war Golunow mit deutlichem Vorsprung vor Putin die meisterwähnte Person im russischen Segment von Sozialen Netzwerken.

Seit den 90ern stehen regierungskritische, russische Journalistinnen und Journalisten im Land enorm unter Druck. Immer wieder gab es Berichte von Bedrohungen, körperlichen Attacken und Morden. Russland liegt in der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen auf Platz 149. Damit rangiert es noch hinter Mexiko, Simbabwe und Algerien. Für Putin kommt die ungewöhnliche Welle der Solidarität in den Medien zu einer heiklen Zeit – im Land stehen ihm zahlreiche Menschen wegen der Lebensbedingungen mit Unbehagen gegenüber.