Ivan Golunov
AP/Alexander Zemlianichenko
Keine Anklage

Russischer Enthüllungsjournalist kommt frei

Wenige Tage nach seiner Festnahme und nach einer Welle internationalen Protests kommt der russische Enthüllungsjournalist Iwan Golunow überraschend auf freien Fuß. Alle Anschuldigungen gegen ihn würden fallengelassen, sagte Innenminister Wladimir Kolokolzew am Dienstag der Agentur Interfax zufolge.

Es gebe nach den Ermittlungen keinen Hinweis auf eine Straftat des 36-Jährigen. Zwei ranghohe Polizeibeamte sollen nach Angaben des Innenministeriums wegen seiner Festnahme entlassen werden. Golunow, der für das unabhängige Investigativportal Meduza arbeitete, war am Donnerstag in Moskau festgenommen worden. Nach Angaben der Polizei wurden in seinem Rucksack und in seiner Wohnung „große Mengen“ Drogen gefunden. Golunow gab an, diese seien ihm untergeschoben worden.

Die Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) verwies auf Ungereimtheiten bei der Festnahme: So musste der Journalist im Polizeiauto warten, während Beamte seine Wohnung und seine Habseligkeiten durchsuchten. Nach zweitägiger Gefangenschaft wurden von Notärzten eine Gehirnerschütterung, Rippenbrüche sowie mehrere blaue Flecken und Hämatome an Golunow festgestellt.

Polizisten nehmen einen Demonstranten fest
APA/AFP
Schon in der Vorwoche wurde gegen das Vorgehen der Polizei demonstriert

Revanche für Enthüllungen?

Auch Golunows Arbeitgeber Meduza und sein Anwalt wiesen die Anschuldigung zurück. Meduza-Geschäftsführerin Galina Timtschenko bezeichnete Golunow als einen der „bekanntesten Investigativjournalisten Russlands“. Es bestehe „Grund zu der Annahme, dass er wegen seiner journalistischen Arbeit verfolgt wird“. Der 36-Jährige recherchierte zuletzt über Korruption unter hochrangigen Verwaltungsbeamten in Moskau. Meduza erklärte, Golunow habe bereits mehrere Morddrohungen erhalten.

Am Samstag ordnete ein Haftrichter zwei Monate Hausarrest an, nachdem die Staatsanwaltschaft zuvor gefordert hatte, Golunow in Untersuchungshaft zu nehmen. Gegen seine Festnahme und die drohende Haft hatten zahlreiche russische und internationale Kolleginnen und Kollegen und Journalistenorganisationen protestiert. Für Mittwoch war im Stadtzentrum von Moskau ein Solidaritätsmarsch für Golunow geplant. Eine Petition für seine Freilassung haben schon mehr als 170.000 Menschen unterzeichnet.

Zeitungscover
APA/AFP/Yuri Kadobnov
„RBK“, „Kommersant“ und „Wedomosti“ warteten am Montag mit einem identen Cover auf

Die führenden russischen Qualitätszeitungen „Kommersant“, „RBK“ und „Wedomosti“ waren am Montag erstmals mit dem gleichen Titelblatt erschienen, um gegen das Vorgehen der Polizei gegen Golunow zu protestieren. „Wir sind Iwan Golunow“ hieß es auf den Coverseiten. Zur Unterstützung der Arbeit Golunows soll es ungeachtet der Freilassung am 16. Juni eine Kundgebung in Moskau geben.

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hatte sich am Montag nur vage zum Fall Golunow geäußert. Der Fall werfe „viele Fragen auf“, sagte der Sprecher von Präsident Wladimir Putin. Am Dienstag rief der Kreml dazu auf, das Ergebnis der juristischen Prüfung des Falls abzuwarten. Der geplante Solidaritätsmarsch für Golunow dürfe zudem nicht die „festliche Stimmung“ am Nationalfeiertag am Mittwoch beeinträchtigen.

Pressefreiheit unter Druck

Seit den 90ern stehen regierungskritische, russische Journalistinnen und Journalisten im Land enorm unter Druck. Immer wieder gab es Berichte von Bedrohungen, körperlichen Attacken und Morden. Russland liegt in der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen auf Platz 149. Damit rangiert es noch hinter Mexiko, Simbabwe und Algerien. Für Putin kommt die ungewöhnliche Welle der Solidarität in den Medien zu einer heiklen Zeit – im Land stehen ihm zahlreiche Menschen wegen der Lebensbedingungen mit Unbehagen gegenüber.