Mann mit futuristischem Gesicht
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Ian McEwan

Ein Android als moralisches Monster

London, anno 1982: Roboter Adam ist WG-Kollege, Haushaltshilfe und Sexspielzeug – und noch dazu individuell gestaltbar. Mit „Maschinen wie ich“ hat der britische Erfolgsautor Ian McEwan einen raffinierten und doch etwas zu glatt geratenen Thriller rund um künstliche Intelligenz (KI) geschrieben – mit einem moralischen Monster im Mittelpunkt.

„Machines Like Me And People Like You“ heißt McEwans neuer Roman im Original – und das bringt die Sache auch besser auf den Punkt. Denn präsentiert wird nicht eine menschelnde Maschine, sondern wieder einmal vor allem der menschelnde Mensch. Das Buch ist eher als Vexierbild angelegt, womit es, so viel sei vorab gesagt, gleich im doppelten Sinne typisch für McEwan ist: Nach erneuerbaren Energien und Sorgerecht ist es mit KI auch diesmal ein aktuelles Thema, das der mittlerweile 70-jährige Autor hier kenntnisreich ausleuchtet.

Und wie schon so oft in seiner Laufbahn legt er hier keinen (dystopischen oder utopischen) Großentwurf vor, sondern eine mitunter gruselige Versuchsanordnung, die nicht zuletzt der Ziselierung menschlicher Abgründe dient. Angesetzt ist das alles in, wie ein Kritiker es treffend nannte, „einer Art Retrozukunft“ im Jahr 1982, in der alles ziemlich anders gekommen ist.

Autor Ian McEwan
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Autor McEwan nimmt sich erneut eines aktuellen Themas an – der künstlichen Intelligenz

Lennon lebt – Turing ebenfalls

Großbritannien verliert den Falkland-Krieg, John F. Kennedy lebt und auch John Lennon, der mit den Beatles ein Album produziert hat, das – diesen Spaß erlaubt sich McEwan – wir wohl lieber nicht hören wollen. Vor allem wichtig ist aber, dass der Computerpionier Alan Turing sich nicht 1954 nach einer zwangsverordneten Hormonbehandlung das Leben genommen, sondern als angesehener Wissenschaftler die künstliche Intelligenz schon früh ganz nach oben befördert hat.

1982 cruisen also selbstfahrende Autos herum, die Spracherkennungssoftware ist allgegenwärtig und Roboter erledigen mehr oder weniger gelungen den Abtransport des Mülls. „Die Gegenwart ist ein unwahrscheinliches, unendlich fragiles Konstrukt. Es hätte anders kommen können“, sinniert ganz in diesem Sinne auch der Icherzähler Charlie – was, so banal die Einsicht ist, von McEwan als Hintergrundfolie des Buchs mit großer Fabulierlust in Szene gesetzt wird.

Adam, fesch, breitschultrig, individuell gestaltbar

Davor – auch ist typisch für ihn – präsentiert McEwan einen handwerklich wirklich fein gearbeiteten Plot mit Pageturner-Qualitäten: Charlie ist 32, ein ehemaliger Anthropologiestudent und echter Technikaficionado. Er zieht ein wenig planlos durchs Leben, hat gerade ein Erbe gemacht hat – und als die ersten 25 Androiden auf den Markt kommen, ist für den Nerd klar, wohin der Hase laufen soll.

Computerpionier Alan Turing 1928
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Computerpionier Turing ist in McEwans Roman noch am Leben

Die 13 „Eves“ sind leider schon ausverkauft, weswegen es ein „Adam“ wird. Dieser landet in Gestalt eines feschen, breitschultrigen Kerls mit südländischem Einschlag in seinem Wohnzimmer und wächst ihm dort schnell über den Kopf. Der digitale Genpool, den Charlie ihm gemeinsam mit seiner Nachbarin Miranda verpasst, hilft Charlie zwar, das Herz der insgeheim Angebeteten zu erobern, aber nicht zu viel mehr: Die geteilte Elternschaft, die damit beginnt, dass sie Persönlichkeitsparameter auf einer Skala von eins bis zehn auswählen, entpuppt sich letztlich nur bedingt als steuerbar – als Charlie den Ausschaltknopf drücken will, bricht Adam ihm kurzentschlossen die Hand.

Überhaupt entpuppt sich der Android als eine moderne frankensteinsche Wundertüte, zwischen echter Haushaltshilfe und gewinnbringendem Börsenspekulanten, Sexspielzeug und Dichter von 2.000 Haikus, dessen Schrecken vor allem davon ausgeht, dass er um Charlies Liebe zu Miranda wetteifert und seinen beiden „Haltern“ ihre Schwächen vor Augen führt. Adam ist nicht nur als angelernter Shakespeare-Experte ein echter Gedächtniskünstler, sondern als solcher auch in Kenntnis von brisanten Dokumenten, die nicht zuletzt dunkle Seiten von Mirandas Vergangenheit heraufbefördern.

Solide gearbeitet, aber schematisch

Hat ein Roboter tatsächlich Gefühle? Wie viel Ähnlichkeit braucht es, dass man ihn nicht nur als „Vibrator auf zwei Beinen“ wahrnimmt? Wie kontrollierbar darf oder muss KI sein? Ist ein Android als rationales, mathematisch-logisches Genie gar der bessere Mensch? In „Maschinen wie ich“ hat McEwan diese Fragenpalette rund um den „Traum vieler Jahrhunderte“ eingearbeitet, ohne allzu konstruiert zu wirken oder schulbuchartig zu dozieren.

Buchhinweis

Ian McEwan: „Maschinen wie ich“. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Diogenes Verlag, 416 Seiten, 25,70 Euro.

Trotzdem und auch trotz der Pageturner-Qualitäten will die Geschichte nicht so richtig anschlagen. Sie ist solide gearbeitet, aber zugleich irgendwie zu schematisch – und letzten Endes auch zu moralistisch: Mit Widersprüchen, Lügen oder Zweischneidigkeiten kann sich Adam nicht zurechtfinden – weshalb sich auch einige seiner Serie für den Freitod durch Abschalten entscheiden. Zu bitter etwa die Erkenntnis, dass Menschen Klimawandel vorantreiben und Hunger zulassen, zu unverständlich ihre Tendenz zu Grauzonen und Ambivalenzen.

Unverständnis gibt’s aber auch auf der anderen Seite: Die Eindeutigkeit einer sachkundigen Abhandlung beherrscht ein Adam zwar perfekt – was er aber nicht kann, ist den Tummelplatz des echten Lebens einzufangen. Der humanoide Übermensch, er menschelt letztlich doch zu wenig.