Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro und Brasiliens Justizminister Sergio Moro
Reuters/Adriano Machado
Brisante Enthüllungen

Bolsonaro igelt sich ein

In Brasilien ist die Regierung des rechtspopulistischen Präsidenten Jair Bolsanoro schwer unter Druck geraten. Die Investigativplattform The Intercept veröffentlicht seit Sonntag Dokumente, die bei Ermittlungen gegen den früheren Staatschef Luis Inacio Lula da Silva eine Verschwörung der Staatsanwälte und des Richters Sergio Moro nahelegen. Bolsonaro stärkte Moro, mittlerweile Justizminister, demonstrativ den Rücken, entließ aber eine der moderaten Personen aus seinem Kabinett.

Regierungssekretär Carlos Alberto dos Santos Cruz sei seiner Ämter entbunden worden, hieß es am Donnerstag. Der General galt als eine der pragmatischen Kräfte innerhalb der Regierung. So warnte er etwa vor „Extremismus“ und „Fanatismus“ und stand im Dauerclinch mit Bolsonaros Sohn Carlos. Vor allem aber legte er sich regelmäßig mit Olavo de Carvalho an, der als Vordenker und ideologischer Einflüsterer des Präsidenten viel Einfluss hat.

Gleichzeitig mit der Entlassung igelte sich Bolsonaro angesichts der Vorwürfe ein und lobte seinen Justizminister Moro über den grünen Klee. Was dieser geleistet habe, sei unbezahlbar, er habe Geschichte geschrieben, meinte der Präsident in Hinblick auf die Aufarbeitung der Korruptionsaffäre „Lava Jato“ („Autowäsche“).

Schwere Verstöße bei Ermittlungen?

Die Vorgänge rund um den Staatskonzern Petrobras sind einer der größten politischen Skandale Brasiliens – doch seit Sonntag wird daran gezweifelt, ob beim großen Aufräumen danach alles mit rechten Dingen zuging. The Intercept, die Plattform von NSA-Skandal-Aufdecker Glenn Greenwald, berichtet von „schweren Rechtsverletzungen, unethischem Verhalten und systematischem Betrug“. Dem Bericht zufolge hatten selbst die Ermittler massive Zweifel daran, dass die Beweise ausreichten, um eine Schuld Lulas zu beweisen.

Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro und Brasiliens Justizminister Sergio Moro
AP/Eraldo Peres
Bolsonaro und Moro bei der Angelobung im Jänner

Offenbar gezielte Desavouierung von Lula und seiner Partei

Aus den Dokumenten, vor allem Nachrichten des Messengerdienstes Telegram geht hervor, dass sich Moro als Richter mit den ermittelnden Staatsanwälte beriet, wie man Lula am besten belasten könne. Zudem wurde besprochen, wie man eine Rückkehr von Lulas Arbeiterpartei Partido dos Trabalhadores (PT) an die Macht verhindern könne.

Moro verurteilte den Linkspolitiker Lula 2017 nach einem jahrelangen Korruptionsprozess zu einer Haftstrafe. Seit April 2018 sitzt der Staatschef der Jahre 2003 bis 2010 im Gefängnis. Der Oberste Gerichtshof hatte sein Strafmaß zuletzt von rund zwölf Jahren auf acht Jahre und zehn Monaten herabgesetzt.

Zweifel an Lulas Schuld auch bei Ermittlern

Ihm wird vorgeworfen, eine Luxuswohnung als Gegenleistung dafür akzeptiert zu haben, lukrative Aufträge des Staatskonzerns Petrobras an das Bauunternehmen OAS zu vergeben. Lula beteuerte immer seine Unschuld, auch Kommentatoren sahen viele offene Fragen bei der Anklage – und offenbar nicht nur diese: Laut The Intercept äußerte der Ermittlungschef Deltan Dallagnol wenige Tage vor Anklageerhebung wachsende Zweifel daran, dass die Wohnung tatsächlich Lula gehörte und irgendetwas mit Petrobras zu tun hatte.

Zwei Wochen nachdem Lulas Arbeiterpartei ihn im vergangenen August als ihren Spitzenkandidaten für die Präsidentschaftswahl ernannt hatte, schloss ein Gericht Lula, der zu diesem Zeitpunkt die Umfragen anführte, wegen seiner Inhaftierung von der Wahl aus. Brasiliens heutiger Präsident Bolsonaro hatte während des Wahlkampfes öffentlich erklärt, er hoffe, Lula werde „im Gefängnis verrotten“. Nach seiner Wahl holte er Richter Moro als Justizminister in sein Kabinett.

Justizminister beklagt „kriminellen Angriff“

Moro selbst dementierte zunächst die Echtheit der bisher veröffentlichten Dokumente nicht, sondern setzte auf eine andere Verteidigungsstrategie: Er sprach von einem „kriminellen Angriff auf die Telefone der Ermittler“. Das Material sei „aus dem Zusammenhang gerissen“. Allerdings: Die Veröffentlichung von illegal beschafften Informationen ist in Brasilien nicht verboten, wenn das öffentliche Interesse groß genug ist. In späteren Interviews relativierte Moro dann seine ersten Wortmeldungen. Er könnte die Authentizität einiger Texte nicht bestätigen, er erinnere sich schlicht nicht mehr, ob die Nachrichten von ihm stammen.

Auch der Chef der Antikorruptionsstaatsanwaltschaft, Deltan Dallagnol, wies die Anschuldigungen zurück. Dass es Gespräche zwischen Staatsanwälten, Anwälten und Richtern gebe, sei normal, erklärte er. Allerdings wurden auch Dokumente veröffentlicht, in denen sich die Ermittler unterhalten, wie sie ein Interview Lulas in Haft verhindern können, weil sie fürchteten, das werde seine Popularität weiter steigern.

Späte Reaktion Bolsonaros

Nun wird spekuliert, ob sich Moro im Amt halten kann. Einerseits sei er weiterhin enorm populär, heißt es in Kommentaren brasilianischer Medien. Sein Ruf als unbestechlicher Aufdecker sei nun aber dahin, heißt es auch. Der Shootingstar könnte sich für Bolsonaro eher als Klotz am Bein erweisen. Der Präsident brauchte mehrere Tage, bis er zu den Vorwürfen Stellung bezog. Noch am Dienstag brach eine Pressekonferenz entnervt ab, als er eine Frage zur Affäre gestellt bekam. Wenig später teilte er mit, er habe mit Moro ein „entspanntes“ Gespräch geführt.

Schwere Zeiten für den Präsidenten

Wie lange die „Entspannung“ anhält, ist aber fraglich. Nächste Woche muss sich Moro im Senat wohl unangenehmen Fragen stellen. The Intercept hatte zudem angekündigt, noch weitere Dokumente zu enthüllen, bisher habe man nur einen kleinen Ausschnitt des Materials veröffentlicht. Nach den ersten großen Enthüllungen am Sonntag wurden in den vergangenen Tagen bereits weitere belastende Dokumente publiziert.

Aus der Justiz kamen bereits erste kritische Stimmen zu Moro, einen Rückschlag musste Bolsonaro dieser Tage auch im Parlament einstecken. Seine geplante Liberalisierung des Waffenrechts bekam keine Mehrheit. Und am Freitag legte ein Generalstreik das öffentliche Leben in vielen Städten Brasiliens lahm. Protestiert wurde gegen die geplante Pensionsreform – aber auch gegen Budgetkürzungen im Bildungsbereich und die stockende Wirtschaftsentwicklung. Die Vorwürfe gegen Moro mobilisierten vor allem die Anhänger Lulas, bei den Protesten mitzuwirken.

Lulas Anwälte hoffen auf Freilassung

Der große Knall könnte jedenfalls erfolgen, sollte Lula aus der Haft entlassen werden müssen. Seine Anwälte stellten umgehend einen Antrag auf eine Freilassung. Brasiliens Oberster Gerichtshof vertagte am Dienstag noch die Entscheidung, obwohl Lulas Antrag auf die Tagesordnung gesetzt worden war. Sie wollen aber am 25. Juni über einen weiteren Antrag von Lulas Anwälten verhandeln.

Wie groß seine Chancen sind, ist umstritten. Einige Experten verweisen darauf, dass er auch in zweiter Instanz verurteilt wurde – und ihm auch andere Korruptionsfälle angelastet wurden. Andere Experten räumen Lulas Antrag durchaus Chancen ein, damit würden alle Urteile Moros wohl hinfällig. Eine Freilassung hätte enorme Sprengkraft, weil dann auch die Legitimität der Präsidentschaftswahl infrage gestellt würde – mit vollkommen unklaren Folgen.

Unklar ist auch, wer The Intercept die hochexplosiven Dokumente zugespielt hat. Nicht ganz ausgeschlossen wird, dass eine Person, die ebenfalls im Zuge der „Autowäsche“-Affäre beschuldigt wurde, hinter dem Coup steht – und nun hofft, mit der Veröffentlichung die gesamte Aufarbeitung des Korruptionsskandals zu desavouieren.