Menschen machen ein Picknick im Sagamihara-Park bei Tokio
APA/AFP/Kazuhiro Nogi
Japan

Subversive Picknicks als sanfter Ungehorsam

Tokio bietet Platz für rund zehn Millionen Menschen. Trotz der Menschenmassen, die täglich durch die Straßen der Megacity ziehen, gibt es kaum Orte für öffentlichen Raum. Eine kleine Bewegung will das ändern und beansprucht das Recht auf Picknicks. Mit Toast und Tee begehrt sie behutsam gegen das Korsett der Konventionen auf.

Der Tokyo Picnic Club versteht sich als Hommage an einen ähnlichen Londoner Club, der seit 1802 Picknicks veranstaltet. Er besteht aus kaum 100 Personen, im Vergleich zur Einwohnerzahl Tokios ein minimales Grüppchen. Seine Botschaft hat aber einen seriösen Hintergrund: Es geht darum, öffentlichen Raum zu beanspruchen – allerdings auf höfliche Art.

Die Drahtzieher des Clubs sind die Uniprofessorin Kaori Ito und der Architekt Hiroshi Ota. Sie brachten einen Karikaturenband mit ironischen Regeln für Picknicker heraus und formulierten „Picknickrechte“ für Tokios stressgeplagte Einwohnerinnen und Einwohner. Die Fläche an Parks pro Person in Tokio betrage nur 5,2 Quadratmeter, in New York hingegen mehr als 29. Zudem seien die Parks in der Stadt zu eng, sie hätten zu viele Verbotsschilder und begrenzte Zugangszeiten.

„Recht auf Picknick“

„Tokio hat nicht genug freien Raum, um in der dicht bebauten städtischen Lage Annehmlichkeiten zu bieten“, heißt es auf der Homepage des Clubs. Picknicks seien eine Form der Geselligkeit. Kaum jemand habe zu Hause den Platz, um Freunde einzuladen, oder gar private Gärten. Picknicks seien eine urbane Kulturtechnik, um öffentlichen Raum zu nutzen, und das „Recht auf Picknick“ sei daher ein Grundrecht der städtischen Bevölkerung.

Fußgänger in Shinjuku, Tokio
APA/AFP/Philippe Lopez
Viel Konsum, wenig Platz für Aufenthalt im öffentlichen Raum im Tokioter Shinjuku-Bezirk

Und so wird in regelmäßigen Abständen zum Picknick aufgerufen, auch wenn die hochbetriebsamen Bezirke Tokios für die Picknicker manchmal nur einen Grünstreifen hergeben, wie der „Guardian“ berichtet. Unter irritierten Blicken der Einkaufenden oder Kinogänger in den überfüllten Shoppingmeilen reklamieren sie kleine Refugien zumindest zeitweise für sich. Öffentlichen Raum zu nutzen sei in den Augen der japanischen Behörden ein rotes Tuch, so Ota zum „Guardian“. „Es ist falsch, total falsch.“ Entspanntes Sitzen in der Wiese wird so zu einem kleinen subversiven Akt.

In Tokio ist öffentliche Rebellion rar. Das war nicht immer so. Heuer wird etwa an die Proteste rund um die Shinjuku Station, dem heute weltgrößten Bahnhof, erinnert. Wo sich nun täglich drei Millionen Menschen an Malls, Neonschriften und Imbissbuden zu Bus und Bahn schieben, gab es vor 50 Jahren einen veritablen Jugendaufstand, ähnlich einer Occupy-Bewegung. 1968 fanden sich hier Tausende zu Protesten, Kunstaktionen und Happenings zusammen. Der westliche Ausgang der Station wurde monatelang zur „befreiten Zone“ erklärt, zu einem Ort der Begegnung und des Protests gegen Krieg.

Im Juli 1968 rückte schließlich die Bereitschaftspolizei mit Tränengas an. Um der Menge das Verweilen an Ort und Stelle verbieten zu können, wurde die terrassenartig angelegte Plaza am Stationsausgang zu einer Verkehrsfläche erklärt. Schnell war das Aufflammen von politischem Aktionismus erstickt – für den Architekten Ota ein Wendepunkt. Öffentliche Orte sollten für Konsum genutzt werden, nicht für politische Aktivität. „Man wandte sich der Idee der 70er und 80er Jahre zu, dass die Straßen dem Kommerz gehören.“

Das will der Tokyo Picnic Club zumindest kleinräumig ändern. Inzwischen gibt es auch andere Initiativen zur Rückeroberung von öffentlichem Raum, auch wenn sich dahinter keine Massenbewegung abzeichnet. Zumindest Tokios Fußgänger können sich immer weiter ausbreiten. Im teuren Nobelbezirk Ginza etwa herrschen sie jedes Wochenende, wenn aus der wichtigsten Shoppingmeile die Autos verbannt werden. Dann wird die Chuo-dori-Straße „Paradies der Fußgänger“ genannt.