Demonstration in Hong Kong
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Nach Massenprotesten

Hongkong setzt Auslieferungsgesetz aus

Nach Massenprotesten hat Hongkongs Führung beschlossen, das umstrittene Auslieferungsgesetz vorerst auf Eis zu legen. „Die Regierung hat entschieden, das Gesetzesvorhaben auszusetzen“, sagte die pekingtreue Regierungschefin Carrie Lam am Samstag bei einer Pressekonferenz – und beugte sich damit nicht zuletzt auch dem Druck aus den eigenen Reihen.

Die Arbeit an dem Gesetz werde vorerst nicht fortgesetzt, da zunächst verschiedene „Meinungen angehört“ werden sollten, sagte Lam. Für eine Wiedervorlage des Gesetzes werde die Regierung keine Frist nennen. Das Auslieferungsgesetz sei notwendig gewesen, um Schlupflöcher zu schließen und zu verhindern, dass die Finanzmetropole Hongkong weiterhin ein Zufluchtsort für Kriminelle sei, sagte Lam weiter.

Sie räumte aber ein, dass die Regierung die Reaktion der Bevölkerung unterschätzt habe. „Ich bedaure zutiefst, dass die Defizite in unserer Arbeit und mehrere andere Faktoren zu erheblichen Kontroversen und Streitigkeiten in der Gesellschaft nach den relativ ruhigen Zeiten der vergangenen zwei Jahre geführt haben“, sagte Lam. Zudem gestand sie, dass die „Erklärung und Mitteilung“ des Gesetzesentwurfs nicht angemessen gewesen seien. Ihr größtes Ziel sei nun, in Hongkong wieder Frieden und Ordnung herzustellen, schrieb die BBC.

Carrie Lam
APA/AFP/Hector Retamal
Lam „bedauert zutiefst“, dass die „Defizite“ ihrer Arbeit zu Streitigkeiten geführt haben

Schlimmste politische Unruhen und Demos seit Jahrzehnten

Aus Protest gegen das Vorhaben, das Hongkongs Behörden erlauben würde, von China verdächtigte und gesuchte Personen an die Volksrepublik auszuliefern, hatte es in den vergangenen Tagen die schwersten politischen Unruhen seit der Übergabe der ehemaligen britischen Kronkolonie an China 1997 gegeben.

Am vergangenen Wochenende hatten nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen Hunderttausenden und einer Million Hongkonger gegen das Vorhaben der Regierung demonstriert. Danach war es am Mittwoch zu schweren Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstrierenden gekommen, die offiziell als „Aufruhr“ eingestuft wurden.

Die Sicherheitskräfte hatten Tränengas, Schlagstöcke, Wasserwerfer und Pfefferspray eingesetzt, um Tausende Demonstranten zu vertreiben, dabei wurden mindestens 70 Menschen verletzt. Nach Einschätzung von Beobachtern war es die größte Demonstration seit dem Protest gegen die blutige Niederschlagung der Demokratiebewegung in Peking vor drei Jahrzehnten am 4. Juni 1989.

Massenproteste in Hong Kong
Reuters/Tyrone Siu
Hunderttausende Menschen gingen vergangene Woche auf die Straße, um gegen das Vorhaben zu protestieren

Protestbewegung will weiter demonstrieren

Trotz der angekündigten Aussetzung hält die Protestbewegung an ihrer für Sonntag geplanten Großdemonstration fest. „Wir müssen der Regierung sagen, dass die Menschen in Hongkong nicht lockerlassen und wir mit unserem Protest nicht aufhören werden, bis das Gesetz zurückgezogen wird“, sagte Jimmy Sham von der Civil Human Rights Front (CHRF), der größten Protestgruppe, am Samstag vor Journalisten und Journalistinnen.

Jason Ng von der Berufsorganisation Progressive Lawyers sagte, Lams Ankündigung bleibe hinter den Forderungen der Demonstranten zurück. „Darüber hinaus hat sie sich geweigert, die Verantwortung für die exzessive Polizeigewalt gegen die Demonstranten zu übernehmen und dafür, die Gesellschaft zu spalten“, sagte Ng der Nachrichtenagentur AFP. Er gehe nicht davon aus, dass das Vorgehen der Regierung die Zivilgesellschaft besänftige. Es sei deshalb mit einer großen Beteiligung an dem Protestmarsch am Sonntag zu rechnen.

Gegenstimmen aus den eigenen Reihen

Durch die Proteste und Ausschreitungen hatte das nicht frei gewählte Parlament seine Beratungen über das Gesetz diese Woche schon verschieben müssen. Eigentlich sollte die pekingtreue Mehrheit das Gesetz am kommenden Donnerstag in dritter Lesung annehmen. Dafür wäre jetzt erst einmal eine zweite Lesung notwendig.

Lam stand nach den Massenprotesten der vergangenen Tage ebenso in den eigenen Reihen stark unter Druck. Denn auch pekingtreue Abgeordnete forderten eine Verschiebung der Gesetzesinitiative. Gleichwohl ist die Aussetzung des Gesetzesvorhabens ein ungewöhnliches Zugeständnis der pekingtreuen Führung in Hongkong, die Forderungen von Demonstranten in den vergangenen Jahren erfolgreich zurückgewiesen hatte. Einen Rücktritt lehnte Lam allerdings ab.

Die chinesische Regierung begrüßte die Aussetzung des Gesetzes. „Wir unterstützen, respektieren und verstehen diese Entscheidung“, sagte ein Sprecher des Außenministeriums in Peking. Die Aussetzung sei ein Versuch, „den Ansichten der Gemeinschaft mehr Gehör zu schenken und so schnell wie möglich wieder Ruhe in der Gemeinschaft herzustellen“.

Glückwünsche aus Großbritannien

Rückendeckung bekommt Hongkong auch aus Großbritannien. Außenminister Jeremy Hunt beglückwünschte am Samstag per Twitter die Regierung in Hongkong dafür, dass sie auf die Besorgnis der „tapferen Bürger, die für ihre Rechte eintreten“, eingehe.

Großbritannien hatte im Jahr 1997 Hongkong an die Volksrepublik China zurückgegeben. Nach dem Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“ wird die Sonderwirtschaftszone Hongkong als eigenes Territorium autonom regiert. Anders als die Menschen in der Volksrepublik genießen die Hongkonger nach dem Grundgesetz der chinesischen Sonderverwaltungsregion das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie Presse- und Versammlungsfreiheit.

Kritik an Chinas Justizsystem

Kritiker warnen, Chinas Justiz sei nicht unabhängig und diene als Werkzeug der politischen Verfolgung. Auch drohten Folter und Misshandlungen. Das Justizsystem in China entspreche zudem nicht internationalen Standards und verfolge politisch Andersdenkende. Auch werden Angeklagte zu 99 Prozent verurteilt. Bisher hatte Hongkong von Auslieferungen Abstand genommen, weil das chinesische Justizsystem wenig transparent und die Verhängung der Todesstrafe weit verbreitet ist.

Hongkong setzt Auslieferungsgesetz aus

Die Regierung in Hongkong hat das umstrittene Gesetz für Auslieferungen an China vorläufig ausgesetzt. Nach den schweren Protesten der letzten Tage will die Regierung, dass zunächst wieder Ruhe einkehrt.

Menschenrechtsgruppen wiesen darauf hin, dass die zwei UNO-Konventionen für bürgerliche Rechte und gegen Folter, an die Hongkong gebunden sei, die Überstellung von Personen in Länder untersagten, wo Folter und Misshandlung drohten. Andere Länder wie die USA und Kanada äußerten ihre Sorge über das Gesetz. Sie befürchten, dass ihre Bürgerinnen und Bürger in Hongkong betroffen werden könnten. Laut Experten hätten auch Ausländer von Auslieferungen nach China betroffen sein können.

Die Kommission des US-Kongresses für Wirtschaft und Sicherheit in den Beziehungen zu China warnte bereits am Sonntag, das Gesetz könnte „eine ernste Gefahr für die nationale Sicherheit der USA und seine Wirtschaftsinteressen in Hongkong darstellen“. Es könne „Hongkongs Ruf als sicherer Ort für US-amerikanische und internationale Geschäfte schwinden lassen“. Auch gebe es ein größeres Risiko für US-Bürger und Hafenbesuche.

Demonstrant mit Regenschirm in Hong Kong
Reuters/James Pomfret
Bei den Protesten kamen Tränengas, Schlagstöcke, Wasserwerfer und Pfefferspray zum Einsatz

Sorge um Gefährdung des Sonderstatus Hongkongs

Hongkongs letzter britischer Gouverneur Chris Patten warnte vor einem „schrecklichen Schlag“ gegen Hongkongs Rechtsstaatlichkeit, Stabilität, Sicherheit und Position als internationaler Handelsplatz.

In dem asiatischen Finanzzentrum ging daher die Sorge um, dass die geplante Gesetzesänderung den Sonderstatus Hongkongs gefährden könnte und Investoren abschreckt. Hongkongs Regierung beteuerte zwar, dass China-Kritiker nicht ausgeliefert werden sollen. Viele Menschen in Hongkong trauten diesen Zusagen aber nicht.