Ägyptens Ex-Präsident Mursi im Gefängnis
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Ägyptens Ex-Präsident

Mursi nach Gerichtsanhörung gestorben

Der frühere ägyptische Präsident Mohammed Mursi ist tot – bei einer Gerichtsanhörung am Montag ist er zusammengebrochen und später verstorben. Der erfolglose Kurzzeitregent saß seit seinem Sturz 2013 in Haft, einem Todesurteil war er entgangen. Die Muslimbruderschaft sieht hinter seinem plötzlichen Tod dennoch „Mord“.

Mursi habe 20 Minuten lang vor dem Richter gesprochen, sagte ein Justizvertreter. Dabei habe er sich sehr aufgeregt und sei in Ohnmacht gefallen. Mursi sei schnell ins Krankenhaus gebracht worden, dort aber gestorben. Einem Medienbericht zufolge ist Mursis Tod auf einen Herzinfarkt zurückzuführen. Mursi sei wegen einer Tumorerkrankung fortlaufend behandelt worden, berichtete das Staatsfernsehen am Dienstag unter Berufung auf Ärzte.

Eine Autopsie habe keine Anzeichen für jüngere Verletzungen ergeben, hieß es in einer Erklärung der Staatsanwaltschaft. Mursis Anwalt Abdel Monaim Abdel Maksud sagte der Nachrichtenagentur Reuters, Mursi sei während seiner Haft in schlechter gesundheitlicher Verfassung gewesen. „Wir haben mehrere Anträge auf Behandlung gestellt“, sagte er. „Einige wurden genehmigt, andere nicht.“ Am Dienstag sei er im Stadtteil Medinat Nasr im Osten der ägyptischen Hauptstadt im Beisein seiner Familie bestattet worden, sagte Maksud der Nachrichtenagentur AFP.

Vom Bauernsohn zum Akademiker und Präsidenten

Mursi wurde 67 Jahre alt. Mursi wurde 1951 in der Provinz Scharkia als Sohn eines Bauern geboren. Einen Teil seiner akademischen Laufbahn absolvierte er in den USA. Der Maschinenbauingenieur galt als eher bodenständig und gehörte dem konservativen Flügel der Muslimbruderschaft an.

Zum ersten frei gewählten Präsidenten in der Geschichte Ägyptens wurde er eher zufällig. Die Muslimbruderschaft schickte ihn 2012 erst in letzter Minute als Ersatzmann ins Rennen um die Nachfolge des 2011 gestürzten Präsidenten Hosni Mubarak, weil die Wahlkommission den Spitzenkandidaten Chairat al-Schater ausgeschlossen hatte. Die Ägypter verpassten Mursi daraufhin den Spitznamen „Ersatzreifen“.

Ägyptens Ex-Präsident Mursi
AP/Maya Alleruzzo
Mursi verspielte seine Chancen als erster frei gewählter Präsident Ägyptens

Kurze, konfliktreiche Präsidentschaft

Die Wahl im Juni 2012 gewann er nur knapp. Seine kurze Präsidentschaft war von Konflikten mit dem Militär, mit der Justiz und mit der Revolutionsjugend gekennzeichnet, die die Revolte gegen Mubarak getragen hatte. Mursi reagierte unnötig konfrontativ und verspielte den guten Willen jener Wählerschichten, die nicht islamistisch sind, ihn aber in der Stichwahl gegen den Kandidaten des alten Mubarak-Regimes unterstützt hatten.

Am Ende blieben er und seine – damals durchaus über Massenanhang verfügende – Muslimbruderschaft isoliert. Das Militär konnte sich auf eindrucksvolle Massendemonstrationen der Mursi-Gegner berufen, als es den Präsidenten am 3. Juli 2013 unter Führung des heutigen Staatschefs Abdel Fattah al-Sisi stürzte und gefangen nahm. Bei dem schlimmsten Massaker der jüngeren ägyptischen Geschichte starben damals mehr als 800 Mursi-Anhänger. Ein Jahr später wurde Sisi zum Staatsoberhaupt gewählt.

Muslimbruderschaft mittlerweile verboten

Die Muslimbruderschaft wurde 1928 von dem ägyptischen Volksschullehrer Hassan al-Banna (1906-1949) gegründet. Ihre Ziele sind bis heute die Umformung der Gesellschaft nach islamischen Moralvorstellungen und die Errichtung eines Staates, der auf den Prinzipien des islamischen Rechts („Scharia“) beruht. Sie hat Ableger in anderen arabischen Ländern.

In ihren Anfängen traten die Muslimbrüder militant auf, später schworen sie in Ägypten offiziell der Gewalt ab. Im Land blieben sie lange verboten und arbeiteten zum Teil, auch von der Regierung geduldet, im Untergrund. Der Sturz von Langzeitpräsident Mubarak eröffnete den Muslimbrüdern in Ägypten neue Möglichkeiten. Nach der Wahl Sisis wurde die Bruderschaft in Ägypten aber als Terrororganisation eingestuft und offiziell verboten. Bis auf wenige Ausnahmen sitzen ihre politischen Führer im Gefängnis.

Türkei würdigt „Märtyrer“

Auch Mursi war seit 2013 ein Dauergast auf den Anklagebanken. Die Liste der Anschuldigungen war lang: Mursi bekam unter anderem wegen Geheimnisverrats, Anstiftung zur Gewalt und Spionage langjährige Haftstrafen. In dem Prozess, in dem er im Mai 2015 zum Tode verurteilt wurde, ging es um Gefängnisausbrüche und Gewalt gegen Polizisten beim Aufstand gegen Mubarak 2011. Im November 2016 hob das ägyptische Kassationsgericht die Todesstrafe allerdings wieder auf und ordnete einen neuen Prozess an. Noch vor dem neuen Urteil starb Mursi nun.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, der enge Beziehungen zu Mursi unterhalten hatte, würdigte den früheren Präsidenten als einen „Märtyrer“. Mursis Nachfolger Sisi nannte er einen „Tyrannen“, der sich an die Macht geputscht habe. Der Westen habe dazu aber geschwiegen. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu sagte, Mursi sei bei dem Putsch zwar entmachtet worden, „aber die Erinnerung wird nicht ausgelöscht werden“.

Menschenrechtler: Plötzlicher Tod war vorhersehbar

Menschenrechtlern zufolge sei Mursis plötzlicher Tod vorhersehbar gewesen. Die ägyptische Regierung habe es unterlassen, ihm eine angemessene medizinische Versorgung zu gewähren, erklärte die Nahost-Direktorin der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW), Sarah Leah Whitson, am Montag auf Twitter.

2017 hatte HRW bereits in einem Bericht beklagt, Mursis Haftbedingungen könnten zu einer Verschlechterung seiner Gesundheit beigetragen haben. So seien ihm unter anderem über mehrere Jahre Besuche seiner Familie und seiner Anwälte untersagt worden. Auch Amnesty International forderte eine „unparteiische, gründliche und transparente Untersuchung der Umstände von Mursis Tod“.

Muslimbruderschaft sieht „Mord“

Die Muslimbruderschaft bezeichnet Mursis Tod gar als „Mord“. Die Bewegung rief die Ägypter auf, sich zu einem Massenbegräbnis zu versammeln. Auch vor ägyptischen Botschaften im Ausland sollten sich Menschen versammeln, erklärte die Organisation in einer Stellungnahme. Aus Angst vor Protesten erhöhte das ägyptische Innenministerium die Alarmbereitschaft.