Europäischer Gerichtshof in Luxemburg
AP/Geert Vanden Wijngaert
Österreich klagte

EuGH kippt deutsche Pkw-Maut

Die deutsche Pkw-Maut ist nicht mit EU-Recht vereinbar. Die geplante Abgabe sei diskriminierend, weil die wirtschaftliche Last praktisch ausschließlich auf Autofahrern aus anderen EU-Staaten liege, entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Dienstag und gab damit der Klage Österreichs recht.

Verkehrsminister Andreas Reichhardt zeigte sich in einer ersten Reaktion auf das Urteil zufrieden. Er gehe nun davon aus, dass Deutschland die Pläne vom Tisch nimmt oder die Maut stark ändert, sodass diese dann diskriminierungsfrei ist. „Wir unterstützen hier gerne mit Know-how, wenn das gewünscht ist“, sagte Reichhardt am Dienstag vor Journalisten.

Das Urteil des EuGH sei bemerkenswert und lasse an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig, so Reichhardt. Es seien alle Kritikpunkte Österreichs anerkannt worden. Es sei daher auch ein wichtiges Signal für andere Bereiche der EU. „Ich möchte mir nicht ausmalen, was das bedeutet hätte, hätte man hier ein Präjudiz geschaffen.“ Österreich hatte im Herbst 2017 gegen die deutsche Pkw-Maut geklagt, Verkehrsminister war damals Jörg Leichtfried (SPÖ).

Generalanwalt hatte andere Sicht

Das Urteil kam überraschend, da ein EuGH-Generalanwalt bei der Vorbereitung des Falls im Februar in einem Rechtsgutachten empfohlen hatte, die Klage abzulehnen. Die Richter und Richterinnen des höchsten europäischen Gerichts folgen der Meinung häufig.

Der EuGH begründete seine Entscheidung damit: Eine Infrastrukturabgabe in Verbindung mit der Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer, die den in Deutschland zugelassenen Fahrzeugbesitzern zugutekommt, stelle eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit dar und verstoße gegen die Grundsätze des freien Warenverkehrs und des freien Dienstleistungsverkehrs.

Behinderung bei Zugang zu deutschem Markt

Die von deutschen Fahrzeugbesitzern entrichtete Infrastrukturabgabe würde vollständig kompensiert, sodass die wirtschaftliche Last dieser Abgabe tatsächlich allein auf den Besitzern und Fahrern von in anderen EU-Staaten zugelassenen Fahrzeugen liege, so der EuGH weiter.

Hinsichtlich des freien Warenverkehrs stellte der Gerichtshof fest, dass die deutsche Pkw-Maut geeignet sei, den Zugang von Erzeugnissen aus anderen Mitgliedsstaaten zum deutschen Markt zu behindern. Auch stellt der Gerichtshof fest, dass die strittigen Maßnahmen geeignet seien, den Zugang von aus einem anderen EU-Staat stammenden Dienstleistungserbringern und -empfängern zum deutschen Markt zu behindern.

Dagegen entschieden die EU-Richter, dass die Modalitäten der Ausgestaltung und des Vollzugs der Infrastrukturabgabe entgegen dem Vorbringen Österreichs nicht diskriminierend seien. Dabei handelt es sich um die stichprobenartige Überwachung, die etwaige Untersagung der Weiterfahrt mit dem betreffenden Fahrzeug, die nachträgliche Erhebung der Infrastrukturabgabe, die mögliche Verhängung eines Bußgelds sowie die Zahlung einer Sicherheitsleistung.

Kapsch sieht keinen Verlust

Georg Kapsch, Chef von Kapsch TrafficCom, sagte Dienstagvormittag zu Beginn der Jahrespressekonferenz des börsennotierten Wiener Unternehmens, er könne zu dem EuGH-Urteil zur deutschen Pkw-Maut „im Moment gar nichts sagen“. Verluste würden dem Mautspezialisten, der gemeinsam mit der deutschen oeticket-Mutter CTS Eventim den Zuschlag für die Einhebung erhalten hatte, nicht entstehen.

„Wir müssen uns das Urteil anschauen, es können Auflagen drinnen sein, die wir noch nicht kennen. Wir haben vertragliche Schutzbestimmungen. Es braucht niemand glauben, dass wir da einen Verlust einfahren“, so der Kapsch-TrafficCom-Chef vor Journalisten.

Österreich klagte 2017

Österreich hatte vor dem EuGH eine Vertragsverletzungsklage erhoben, weil es die Regelung aufgrund der Entlastung deutscher Fahrzeughalter für diskriminierend hält. In dem Verfahren wurde Österreich von den Niederlanden unterstützt.

Es handelte sich um einen der seltenen Fälle, in denen ein EU-Staat gegen einen anderen ein Verfahren wegen der Verletzung von EU-Recht eingeleitet hat. Der Streit zwischen Österreich und Deutschland betraf einen Grundsatz der Europäischen Union: ein Verbot von Diskriminierung von Unionsbürgerinnen und -bürgern.

Deutsche hätten de facto nichts gezahlt

Alle Besitzer und Besitzerinnen von in Deutschland zugelassenen Autos sollten in Deutschland eine Jahresmaut zahlen. Die Infrastrukturabgabe, wie die Maut offiziell heißt, sollte für die Nutzung von deutschen Autobahnen und Bundesstraßen erhoben werden. Die Preise wären von der Größe des Motors und der Umweltfreundlichkeit des Fahrzeugs abhängig gewesen. Maximal sollten 130 Euro fällig sein. Deutsche Autofahrer und -fahrerinnen sollten aber zugleich bei der Kfz-Steuer entlastet werden.

Ausländische Autofahrer und Autofahrerinnen hätten den deutschen Mautplänen zufolge zahlen müssen, wenn sie auf deutschen Autobahnen unterwegs sind. Sie hätten dabei unter Vignetten für zehn Tage, zwei Monate oder ein Jahr wählen können. Für sie war aber keine Entlastung vorgesehen – de facto hätten Deutsche also nicht die Maut zahlen müssen, alle anderen schon.

Herzensprojekt der bayrischen CSU

Die Mautgesetze in Deutschland waren bereits 2015 beschlossen worden, werden aber bisher nicht angewendet. Die EU-Kommission hatte Mitte 2015 zunächst auch ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet, es aber nach Änderungen der Mautregeln wieder eingestellt. Die Pkw-Maut gilt als Herzensprojekt der bayrischen CSU. Die Schwesterpartei der Kanzlerinnenpartei CDU hatte das Projekt in der vorigen Großen Koalition mit der SPD durchgesetzt.

Als Bedingung wurde dafür aber fixiert, dass kein Inländer und keine Inländerin zusätzlich belastet werden dürfe. Darauf pochte nicht zuletzt auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die 2013 im TV-Wahlkampfduell gesagt hatte: „Mit mir wird es keine Pkw-Maut geben.“ Nach einem Kompromiss mit der EU-Kommission wurden 2017 noch einige Änderungen am Mautmodell eingefügt.

Der deutsche Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) strebte den Start der Maut nun für Oktober 2020 an. Nach Abzug der Systemkosten sollten 500 Millionen Euro pro Jahr für Straßeninvestitionen übrig bleiben. An den Prognosen des Ministeriums gibt es aber weiterhin Zweifel.

Jubel über Urteil in Österreich

Die Freude in Österreich ist groß: Der SPÖ-Delegationsleiter im Europaparlament, Andreas Schieder, sagte: „Der EuGH wird heute zum Airbag für die europäischen AutofahrerInnen.“ Ex-Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ) sagte, er sei froh, dass die EuGH-Richter der Argumentation Österreichs gefolgt seien. NEOS jubelte über das „klare Zeichen für ein offenes Europa ohne Grenzen“. Die Autofahrerclubs ARBÖ und ÖAMTC reagierten ebenfalls erleichtert. Auch der autokritische Verkehrsclub VCÖ zeigte sich über das Urteil erfreut, „weil das deutsche Mautmodell der europäischen Idee widersprochen hätte“.