Mann auf einem E-Scooter
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E-Scooter

Zwischen Rasanz, Rowdys und Regeln

Des einen Freud, des anderen Leid: Auf den Boom der E-Scooter dürfte der Sinnspruch zutreffen. Seit fast einem Jahr überfluten die E-Roller die Straßen österreichischer Städte. Hinzu kommen private Geräte. E-Scooter entwickelten sich zum neuen Akteur auf der Straße, auf den sich alle Verkehrsteilnehmer einstellen müssen. Sorgloser Gebrauch macht den Roller oftmals zum Sicherheitsrisiko.

In Berlin nahmen am Dienstag die ersten Verleihfirmen ihren Dienst auf. Wenige Tage zuvor war die offizielle Erlaubnis ergangen, dass E-Scooter in Deutschland als Kraftfahrzeug zugelassen werden. Berlin ist in Sachen E-Scooter ein Nachzügler: In Großstädten in Spanien, Frankreich, Belgien und Dänemark können sie längst gemietet werden. In mehreren österreichischen Städten gehören die E-Scooter seit rund einem Jahr flächendeckend zum Stadtbild.

Die Trendsportgeräte gelten rechtlich als Fahrräder, so lange sie nicht schneller als 25 km/h fahren können und die Leistung nicht mehr als 600 Watt beträgt. Eine Novelle der Straßenverkehrsordnung bestimmt seit Anfang Juni, dass für sie auch dieselben Regeln gelten wie für Fahrräder. Erlaubt ist der Gebrauch also auf der Fahrbahn und auf dem Fahrradstreifen, nicht aber auf dem Gehsteig, solange keine Ausnahmeregelungen vorgesehen sind. Kinder dürfen erst ab zwölf Jahren alleine mit dem E-Tretroller fahren.

Rund 6.000 in Wien

Man kann sie per App und Kreditkarte nach Anmeldung orten und mieten. Abends werden die Roller von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verleihfirmen eingesammelt und aufgeladen. Bei allen Anbietern der Leihscooter beträgt das Mindestalter 18 Jahre. Pro Anbieter sind in Wien maximal 1.500 E-Roller erlaubt, rund 6.000 sind es inzwischen insgesamt. Und die Zahl der Verleiher steigt kontinuierlich. Dazu kommen auch noch die privat gekauften Roller – auch hier boomt das Geschäft.

Neben Fußgängerinnen und Fußgängern, Autos und Fahrrädern wird so der Platz auf der Straße eng. In Wien wird das Radwegenetz kontinuierlich ausgebaut, derzeit gibt es rund 1.400 Kilometer befahrbare Strecke. Doch die Anzahl der Radwegnutzenden ist im vergangenen Jahr explodiert. Neben der Platzfrage stellen die riskant agierenden Scooter-Fahrerinnen und -Fahrer ein wachsendes Risiko dar. An waghalsigen Manövern mit den Rollern mangelt es nicht. Erst Anfang Juni rasten zwei Personen auf einem E-Scooter mit mehr als 70 Stundenkilometern durch den Wiener Gemeindebezirk Döbling. Das Paar ignorierte eine rote Ampel und ließ sich von der Polizei verfolgen. Wenig später wurden die beiden erneut zusammen auf einem Roller erwischt.

Mit Deklarationen gegen das Rowdytum

In Österreich ist bisher niemand bei einem Unfall mit einem E-Scooter umgekommen, in anderen Ländern schon. In Brüssel kam ein Mensch ums Leben, ebenso in Paris, wo rund 15.000 Leih-E-Scooter durch die Straßen kurven. Dort starb kürzlich ein 25-Jähriger nach einem Zusammenprall mit einem Lkw. Die Stadt erarbeitete wenige Tage danach einen Verhaltenskodex mit den Verleihfirmen. Diese verpflichteten sich, gegen das wilde Parken der Roller anzugehen. Im Gegenzug stellt Paris Stellplätze zur Verfügung. Sollte diese „Charta für gutes Fahren“ scheitern, will die Stadt die Roller zumindest vorläufig verbieten. Zuvor hatte Paris bereits Geldstrafen für Verkehrswidrigkeiten und wildes Parken eingeführt.

E-Scooter
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Oft ein Ärgernis: Wildes Parken der E-Scooter. Für viele Menschen stellen sie eine Stolperfalle dar.

Auch in Wien gibt es seit Dienstag einen Verhaltenskodex. Die Verleiher Bird, Circ, Hive, Lime, Tier und Wind unterschrieben zusammen mit dem Verkehrsministerium, der Polizei und der Allgemeinen Unfallversicherung (AUVA) eine entsprechende Deklaration. Die Unternehmen verpflichteten sich, die Benutzerinnen und Benutzer umfassend über die Sicherheit aufzuklären. Dafür werden an den E-Scootern QR-Codes aufgeklebt, beim Einscannen erhalten die Nutzer rechtliche und Sicherheitshinweise.

Zahl der Unfälle steigt rasant

Auch in Österreich werden Benutzer, die sich nicht an die Vorschriften halten, informiert und auch bestraft. Die Polizei gehe „repressiv und präventiv vor“, immer wieder gebe es Schwerpunktkontrollen, sagte Michael Takacs von der Wiener Polizei. Die meisten Strafen würden ausgesprochen, weil rote Ampeln missachtet würden. Oftmals seien sie auch verbotenerweise zu zweit unterwegs, das sei „vor allem bei Touristen beliebt“, so Takacs. Fahren auf dem Gehsteig oder Missachten von Einbahnen gehöre ebenso zu den Vergehen. Statistiken liegen aber noch nicht vor.

Wissenswertes

Für Lenkerinnen und Lenker von E-Scootern gilt ein Verbot, ohne Freisprecheinrichtung zu telefonieren. Der Alkoholgrenzwert von 0,8 Promille darf nicht überschritten werden. E-Scooter müssen mit einer wirksamen Bremsvorrichtung und Rückstrahlern bzw. Rückstrahlfolien ausgestattet sein. Bei Dunkelheit und schlechter Sicht sind auch Vorder- und Rücklicht verpflichtend. Die Roller dürfen nur auf dem Gehsteig abgestellt werden, wenn er zumindest 2,5 Meter breit ist.

Ob die Polizei der wachsenden Scooter-Flut so beikommen kann, ist fraglich. Je mehr Angebot es gibt, desto stärker nehmen Unfälle zu. Das Ausmaß zeigte eine der wenigen Studie zu dem Thema am Beispiel USA. Dort gab es 2018, als die ersten Verleihservices starteten, laut der Verbraucherorganisation Consumer Reports rund 1.500 teils schwere Verletzungen mit E-Scootern. Laut dem Kuratorium für Verkehrssicherheit (KfV) gab es im Raum Wien allein im letzten Quartal 2018 rund 200 Unfälle.

Keine Helmpflicht

Kommt es zu einem Unfall, ist der Fahrer oder die Fahrerin ohne Knautschzone praktisch ausgeliefert. „Bei den E-Scootern ist das Hauptproblem, dass die Fahrer eine relativ instabile Körperposition haben", so Christopher Spering von der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Das Gefährt habe einen tief liegenden Schwerpunkt, der Körper einen erhöhten. In Kombination mit der Geschwindigkeit ergebe sich „ein sehr hohes Verletzungspotenzial“. Besonders Kopf und Halswirbelsäule seien gefährdet.

Spering empfiehlt, so wie Autofahrerclubs und viele andere Institutionen, dringend das Tragen eines Helms. Ein Sturz bei 25 km/h ist laut KfV mit einem Sturz kopfüber von einem 2,5 Meter hohen Baum auf Beton vergleichbar. Doch eine Helmpflicht besteht in Österreich für erwachsene E-Scooter-Nutzer ebenso wenig wie für Radfahrer. Hierzulande tragen laut einer Erhebung des ÖAMTC nur 38 Prozent der Radfahrer einen Helm. Bei Nutzern von E-Scootern sind es nur zehn Prozent.