Maut-Hinweisschild auf einer deutschen Autobahn
APA/dpa/Jens Büttner
Aus für Pkw-Maut

Deutschland muss „Klatsche“ verarbeiten

„Man muss Gerichtsurteile akzeptieren, aber man muss sie nicht verstehen“: So reagierte der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) am Dienstag auf das Verbot der deutschen Pkw-Maut durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) nach einer Klage aus Österreich. Seine Enttäuschung teilen nicht viele: In Österreich herrscht Erleichterung, deutsche Zeitungen sehen einen Sieg des Rechtsstaates.

Die Pkw-Maut war ein Prestigeprojekt der CSU, das von Ex-Verkehrsminister Alexander Dobrindt vorangetrieben worden war. Er hatte sich nach einigen Änderungen am Konzept siegessicher gezeigt und sich wiederholt über die „Ösi-Maut-Maulerei“ beschwert. Diese Kritik wiederholte er auch nach dem Urteil: „Ich habe so ein bisschen das Gefühl, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird“, sagte Dobrindt. Während in Österreich „der Zusammenhang von Entlastung auf der einen Seite und Maut auf der anderen Seite“ ganz offensichtlich als rechtskonform erachtet werde, stelle der EuGH genau diesen Zusammenhang für Deutschland infrage.

Dobrindt nannte das Urteil „eine bittere Entscheidung, die der EuGH heute getroffen hat, für die ich kein Verständnis habe, die aber zu akzeptieren ist“. Der EU-Generalanwalt habe die deutsche Pkw-Maut erst Anfang des Jahres ausdrücklich für rechtskonform erklärt. „Umso unverständlicher ist dieses Urteil.“ Dobrindt zeigte sich vor allem deshalb enttäuscht, weil das Urteil seiner Ansicht nach „einen Schlag gegen die langfristige Finanzierung der Infrastruktur bedeutet“.

Grafik zeigt die Pkw-Maut in Europa
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: dpa/ADAC

Die Maut sollte eigentlich ab Oktober 2020 erhoben werden und unterm Strich 500 Millionen Euro einbringen. Das Gesetz sah vor, dass nur ausländische Autofahrer für die Nutzung deutscher Autobahnen zahlen sollten. Für deutsche Pkw-Fahrer wäre die Abgabe zwar zunächst auch angefallen, aber sie hätten das Geld über eine geringere Kfz-Steuer wieder zurückbekommen.

EuGH sieht Diskriminierung

Letztlich hielt die von Anfang an umstrittene Ungleichbehandlung von deutschen und ausländischen Fahrern der Prüfung durch die Luxemburger Richter nicht stand. Die Infrastrukturabgabe in Verbindung mit der Entlastung bei der Kfz-Steuer diskriminiere die ausländischen Fahrzeughalter, entschied der EuGH. Denn auf diesen liege damit praktisch allein die „wirtschaftliche Last“ der Abgabe.

Die Richter sahen zudem Verstöße gegen die Grundsätze des freien Warenverkehrs und des freien Dienstleistungsverkehrs in der EU. Die geplanten Maßnahmen seien geeignet, den Zugang von Waren aus anderen Mitgliedstaaten auf den deutschen Markt zu behindern. Bei den Dienstleistungen könnten sich die Kosten erhöhen.

SPD spricht von „Schlappe“ für CSU

Aus Sicht des Koalitionspartners SPD ist die geplante Pkw-Maut damit vom Tisch. Der kommissarische Parteivorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel sprach von einer „Schlappe“ für Verkehrsminister Andreas Scheuer und die CSU. Die SPD haben immer gesagt, dass die Maut europarechtskonform sein müsse, die inländischen Autofahrer nicht zusätzlich belasten dürfe und zu Mehreinnahmen führen müsse, sagte Schäfer-Gümbel. Keines dieser Kriterien sei erfüllt worden – „und deswegen wird es in dieser Form auch keine Maut geben“.

Der deutsche Verkehrsminister Andreas Scheuer
Reuters/Matthias Rietschel
Verkehrsminister Scheuer räumt „einen herben Rückschlag“ ein

Dass die Pkw-Maut „in dieser Form leider vom Tisch“ sei, musste auch Scheuer einräumen. Allerdings bedeute das Urteil „keine Absage an die Nutzerfinanzierung, die in über 20 EU-Staaten gemacht wird“. Auch die EU-Kommission halte die Finanzierung des Straßenbaus durch Nutzerabgaben für das richtige Mittel, so Scheuer. Insofern sei das Urteil jetzt doch sehr überraschend und „ein herber Rückschlag“. Aber Fragen nach einem möglichen neuen Anlauf seien völlig verfrüht: „Jetzt stehen rechtliche, finanzielle Fragen im Vordergrund. Danach dann die politischen Fragen“, sagte der Verkehrsminister.

Zusatzeinnahmen waren bereits budgetiert

Es tage ab sofort eine Arbeitsgruppe, um Folgefragen zu klären. Denn das Geld aus der Maut sei schon im Bundeshaushalt 2020 eingeplant, beim Kraftfahrtbundesamt seien bereits Stellen geschaffen worden. Das Ministerium hatte sich aus der Maut Zusatzeinnahmen von einer halben Milliarde Euro jährlich versprochen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) machte jedoch gleich klar, dass das Urteil zu akzeptieren sei.

ORF-Korrespondenten über geplatzte Maut

Die ORF-Korrespondenten Peter Fritz und Birgit Schwarz erklären, warum das Gericht in diesem Fall nicht den Empfehlungen des Generalanwalts folgt und wie in Deutschland mit dem Urteil umgegangen wird.

Deutschland hatte mit der Einhebung der Maut ab Oktober 2020 bereits ein Konsortium beauftragt. Diesem gehören die oeTicket-Mutter CTS Eventim und der österreichische Mautsystemanbieter Kapsch TrafficCom an. Ein wirtschaftlicher Schaden entsteht den Unternehmen aber nicht. „Wir haben vertragliche Schutzbestimmungen. Es braucht niemand glauben, dass wir da einen Verlust einfahren“, sagte Kapsch-TrafficCom-Chef Georg Kapsch. An der Wiener Börse lag die Aktie dennoch 3,7 Prozent im Minus.

Erleichterung in Österreich

Abseits der Kapsch-Aktionäre zeigte sich in Österreich jedoch kaum jemand enttäuscht über das Kippen der Maut. Politiker aller Parteien sowie auch die Autofahrerclubs und die Arbeiterkammer jubelten darüber, dass die Benutzung deutscher Autobahnen für österreichische Autofahrer vorerst kostenlos bleibt. Verkehrsminister Andreas Reichhardt sagte, er gehe nun davon aus, dass Deutschland die Pläne vom Tisch nimmt oder die Maut massiv ändert, sodass diese dann diskriminierungsfrei ist. Auch in den Niederlande zeigte man sich erfreut über die Gerichtsentscheidung aus Luxemburg.

Durchwegs hämisch fielen die Kommentare in den deutschen Zeitungen aus. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“) etwa schrieb unter dem Titel „Peinliches Maut-Urteil für Deutschland“: „Dass Dobrindts Zaubertrick mit einem toten Kaninchen endet, war abzusehen. (…) Die deutsche Regelung war den Richtern in Luxemburg schlicht zu plump, um glaubwürdig zu sein.“ „Die Niederlage der Maut-Helden“, titelte das „Handelsblatt“: „Der Europäische Gerichtshof hat die Ausländermaut gestoppt und damit ein wichtiges Signal gesendet. Das Urteil ist eine Ohrfeige für die CSU.“ Der „Spiegel“ bedankte sich sogar für die „Klatsche“: „Wer hätte es gedacht? Es finden sich in der EU doch noch ein paar Leute, die aussprechen, was eigentlich jeder schon wusste: Die geplante deutsche Maut verstößt gegen Europarecht.“

„Gerichte bringen wieder Vernunft ins Spiel“

Vernichtend auch das Urteil der „Süddeutschen Zeitung“ („SZ“): „Alle wussten von Anfang an um die großen juristischen Risiken und den geringen fiskalischen Nutzen – oder sie konnten es wissen. Dennoch hat die CSU das Vorhaben stur vorangetrieben, um aus dem Ärger deutscher Autofahrer über die Straßengebühren in Österreich oder Frankreich politischen Nutzen zu schlagen. (…) Man hat sich schon zu sehr daran gewöhnt, dass Politik so funktioniert. Umso wichtiger, dass Gerichte gelegentlich wieder die Vernunft ins Spiel bringen.“