EU-Figuren der Mitgliedsländer
Tobias Pehböck
Harter Postenpoker

Staaten feilschen um EU-Spitzenjobs

Die Suche nach neuem Personal für die EU-Spitze läuft auf Hochtouren. Am Donnerstag und Freitag feilschen die Regierungschefs in Brüssel darüber, wer Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Co. beerben soll. Ein rascher Vorschlag für ein Personalpaket wird angepeilt. Doch die Lage ist mehr als nur verfahren.

„Handlungsfähigkeit beweisen“: Gerade in den letzten Monaten hat sich die EU dieses Prinzip immer wieder auf die Fahnen geschrieben. Wohl auch deswegen soll es nun bei den Personalfragen schnell gehen. Zumindest wenn es nach dem Verhandlungsschirmherrn und Ratspräsidenten Donald Tusk geht. Er hoffe auf eine „Einigung am Donnerstag“, schrieb er am Mittwoch in einem Brief an die Staatschefs.

Doch dass es tatsächlich so rasch gehen könnte, wird derzeit in Brüssel angezweifelt. Aktuell hält man in Ratskreisen eine Einigung am Donnerstag eher für unwahrscheinlich, man geht davon aus, dass die Personalfrage auch am Freitag debattiert wird. Denn die Auswahl für die Topjobs gestaltet sich äußerst schwierig. „Die politischen Verhältnisse in Europa sind nicht so klar, dass man das einfach durchziehen kann“, summierte der deutsche Europastaatsminister Michael Roth die Gemengelage am Dienstag.

Einfluss, Geografie, Geschlecht

Seit der Europawahl Ende Mai ringen die EU-Staaten und das Europaparlament um die Besetzung der wichtigsten EU-Posten. Es geht um die Nachfolge für Juncker, EU-Ratspräsident Tusk, die Außenbeauftragte Federica Mogherini, Parlamentspräsident Antonio Tajani und den Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi.

Es sind wichtige Ämter, bei deren Besetzung zahlreiche Faktoren berücksichtigt werden sollten – etwa das Gleichgewicht zwischen Nord, Süd, Ost und West, zwischen großen und kleinen sowie mächtigen und weniger mächtigen Staaten. Auch die verschiedenen politischen Ausrichtungen wollen angemessen repräsentiert werden. Zudem soll zumindest in Ansätzen Geschlechtergerechtigkeit hergestellt werden (beim letzten Gipfel war seitens Tusk die Rede von „mindestens zwei, besser drei Frauen“).

Grafik zu EU-Topjobs
Grafik: ORF.at, Fotos: APA

Der Faktor Weber

Abseits davon erweist sich das Spitzenkandidatensystem als Spaltpilz. Das Parlament muss den Kommissionschef bestätigen. Dieses will aber nur jemanden wählen, der als Spitzenkandidat den EU-Wahlkampf bestritten hat. Den gewichtigsten Anspruch hätte damit Manfred Weber (CSU) von der Europäischen Volkspartei (EVP), der stärksten Fraktion. Doch Weber stößt bei vielen – etwa bei Frankreichs Präsident Emmanuel Macron – auf wenig Begeisterung und genießt auch im EU-Parlament nicht ungeteilten Rückhalt.

So haben die Sozialdemokraten im Europaparlament am Dienstag erneut bekräftigt, ihren Kandidaten Frans Timmermans in das Amt des Kommissionspräsidenten hieven zu wollen. Man wolle weiter versuchen, eine „progressive Allianz“ im Parlament gegen Weber zu schmieden. Ebenfalls nach wie vor nicht aus dem Spiel ist die EU-Wettbewerbskommissarin Margarete Vestager, die als Kompromisskandidatin zum Zug kommen könnte.

Margrethe Vestager
AP/Olivier Matthys
Margarete Vestager gilt angesichts der schwierigen Konstellation nach wie vor als Option

„Intensive 24 Stunden“

Letztlich müssen aber die Staats- und Regierungschefs den Kandidaten vorschlagen. Und die Leitungen auf diplomatischer Ebene dürften glühen: Bis Donnerstag will Ratspräsident Tusk noch persönlich mit allen Regierungschefs sprechen, ein Dutzend soll bereits abgearbeitet sein. „Intensive 24 Stunden“ mit „sehr intensiven Kontakten“ stünden bevor, hieß es aus EU-Kreisen.

Einen besonderen Stellenwert wird wohl ein geplantes Treffen zwischen Tusk, Macron und der deutschen Kanzlerin Angela Merkel haben. Das Tandem Deutschland – Frankreich wird auch in der Personalfrage einmal mehr zum heiklen Faktor. Paris tritt vehement gegen das Spitzenkandidatensystem ein. Merkel hat sich zwar hinter Weber gestellt, sollte der Bayer allerdings keine Mehrheit finden, dürfte Deutschland aber einen anderen Posten für sich beanspruchen. Als heißer Kandidat dafür gilt das Amt des EZB-Chefs.

Mit Jens Weidmann, dem Präsidenten der Deutschen Bundesbank, soll es auch bereits einen eigenen Kandidaten geben. Weidmann selbst wollte sich dazu zwar nicht konkret äußern, er hat allerdings vor Kurzem unterstrichen, dass auch Deutschland Anspruch darauf habe, bei der Wahl des EZB-Chefs zum Zug zu kommen. Angesichts der Krisenerfahrung der letzten Dekade gilt die Besetzung des EZB-Chefpostens als besonders heikle Angelegenheit.

Präsident der Deutschen Bundesbank Jens Weidmann
APA/AFP/dpa/Arne Dedert
Weidmann könnte EZB-Chef werden – er genießt auch bei der CDU Rückhalt

Berlin will Lösung bis Juli

„Ich bleibe vorsichtig optimistisch“, schrieb Tusk in seiner Einladung an die EU-Staats- und Regierungschefs am Mittwoch. Alle, mit denen er gesprochen habe, seien entschlossen für eine schnelle Entscheidung. Merkel hingegen sagte unmittelbar vor dem Gipfel: „Wir haben noch ein paar Tage Zeit“, sagte die CDU-Politikerin. Falls man sich in der Nacht zum Freitag nicht verständigen sollte, wäre das „nicht so sehr bedrohlich“. Man werde aber bis zur konstituierenden Sitzung des neuen Europaparlaments am 2. Juli eine Lösung finden, versicherte Merkel. „Wie immer muss man Schritt für Schritt vorgehen.“

An diesem Tag wird der Parlamentspräsident gewählt und damit der erste wichtige Posten definitiv vergeben. An wen dieser gehen könnte, ist ebenfalls offen. Am Mittwoch hat sich jedenfalls Jan Zahradil, Vorsitzender der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR), beworben. Aber auch die Grünen mischen offenbar selbstbewusst bei der Postenfrage mit – wohl auch deswegen wurde zuletzt die deutsche Grüne Ska Keller als mögliche Kandidatin für die Parlamentspräsidentschaft gehandelt. Abseits dieses Amtes sind alle anderen bis zum Herbst neu zu besetzen.

Bierlein mit Premiere in Brüssel

Am Donnerstag wird übrigens auch Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein zum ersten Mal das Brüsseler Parkett betreten. Noch am Mittwoch steckten Bierlein und Außenminister Alexander Schallenberg gemeinsam mit dem EU-Hauptausschuss im Parlament ab, welche Haltung die Bundesregierung in Sachen der Bestellung des Kommissionspräsidenten vertreten solle.

Bierlein betonte, bei der Verteilung der Topposten seien Gender-Gerechtigkeit, Transparenz sowie eine ausgewogene geografische Verteilung wichtig. Laut den EU-Verträgen sei unter anderem auch das Ergebnis der EU-Wahl zu berücksichtigen; die Wahlbeteiligung sei hoch gewesen. Daher brauche es „Fingerspitzengefühl“ und „Kompromissbereitschaft“ unter den Mitgliedsstaaten.

Sie gehe „ergebnisoffen“ in ihren ersten EU-Gipfel und werde unter ihren Amtskollegen den Dialog suchen. Sollten sich mehrheitsfähige Personalvorschläge von Tusk „auftun, werden wir uns anschließen“, sagte Bierlein. Dem Vernehmen nach hat sie bereits mit Tusk telefoniert. Auch ein Treffen mit Merkel soll noch vor dem Abend auf der Agenda stehen.