Plakat zeigt Greta Thunberg
ORF.at/Saskia Etschmaier
EU-Gipfel der Lähmung

Kein Kandidat, kein Klimaziel

Aus dem EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag ist einmal mehr ein Gipfel des Vertagens und Verschiebens geworden. Aufgrund einer Blockade von vier Staaten konnte kein verbindliches Ziel für Klimaneutralität bis 2050 beschlossen werden. Das Budget wird Thema für Ende des Jahres. Und auch die Entscheidung über die künftige EU-Führung landete auf der langen Bank. Kritiker meinen: Handlungsfähigkeit sieht anders aus.

In Brüssel ist es am Donnerstag wieder einmal spät geworden. Erst gegen zwei Uhr Früh traten EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und EU-Ratspräsident Donald Tusk an die Presse. Ersterer wie immer mit Scherzen im Gepäck: Er habe „mit großem Glück“ zur Kenntnis genommen, dass es sehr schwer ist, ihn zu ersetzen. In den Stunden davor hatten die Staats- und Regierungschefs darum gerungen, einen Nachfolge für Juncker und die vier anderen Topjobs der EU zu finden. Geholfen hat es nichts: Verkündet wurde nur ein Termin für den nächsten Gipfel am 30. Juni.

Doch das ist nicht das einzige Versäumnis. Noch bevor es überhaupt in die zähen Personalverhandlungen ging, mussten die Staats- und Regierungschefs eine Niederlage beim heiklen Klimathema einstecken: Wegen einer Blockade von Polen, Ungarn, Tschechien und Estland musste die EU ihre ambitionierte gemeinsame Vereinbarung für eine klimaneutrale Wirtschaft bis 2050 zu Grabe tragen.

Nur eine Fußnote

Dieses Ziel hätte den Klimaschutzbemühungen der EU eine klare Richtschnur geben sollen. Zudem hätte sie angesichts grüner Wahlerfolgte und Klimaproteste auch ein wichtiges Signal nach innen und außen gesendet. Doch aus der Vereinbarung wurde nichts, stattdessen hat man das Klimaziel zur Fußnote degradiert. „Für eine große Mehrheit der Mitgliedsstaaten muss die Klimaneutralität bis 2050 erreicht werden“, steht nun in dem Passus, der peinlicherweise in einer Erstversion der Erklärung auch noch vergessen wurde.

Wortführer der Blockade war Polen. Das Land ist extrem abhängig von Kohle, 80 Prozent des Stroms werden aus dieser gewonnen. Bevor Warschau dem Klimaziel zustimme, wolle man erst mit der EU über entsprechende Ausgleichsmaßnahmen sprechen, hieß es. Polen sei aufgrund des Kommunismus „50 Jahre hinterher“ und könnte den Umbau ansonsten nicht stemmen.

Die Krux mit der Einstimmigkeit

Für die Union wirft das erneut zahlreiche Fragen auf – etwa, wie man die EU-Länder im Osten der EU beim Klimaschutz effektiv an Bord holen soll. Aber auch das Prinzip der Einstimmigkeit musste angesichts dieses Beschluss wieder einmal heftige Kritik einstecken. „Einige wenige osteuropäische Staaten haben heute verhindert, dass der Stillstand beim europäischen Klimaschutz aufgebrochen wird“, monierte etwa Greenpeace.

In Brüssel gab man sich am Freitag zum Klimathema trotzdem erfreut. Laut der deutschen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sei das Endresultat „besser als erwartet“. In März sei noch nicht absehbar gewesen, dass es „eine so breite Mehrheit für die Klimaneutralität bis 2025“ geben werde. Einige Staaten müssten hingegen noch darüber nachdenken, was die Maßnahme für sie bedeute. Lob gab es auch von der deutschen Umweltministerin Svenja Schulze (SPD): Sie sah einen großen Schritt für den Kampf gegen den Klimawandel.

Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel, der niederländische Minister Mark Rutte und Österreichs Kanzlerin Brigitte Bierlein
APA/AFP/Emmanuel Dunand
Merkel und Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein beim Smalltalk. Der Gipfel war Bierleins Premiere auf dem Brüsseler Parkett.

Weniger zufrieden zeigte sich Österreichs Bundeskanzlerin Bierlein. „Beim Klimaschutz sind leider unsere Ziele, dass man sich auf Klimaneutralität bis 2050 einigt, nicht eingetroffen“, meinte sie. Sie hatte sich vor dem Gipfel dezidiert für das Ziel ausgesprochen. Dem dürfte dem Vernehmen nach aber ein Schwenk vorangegangen sein. Österreich soll Skepsis gegenüber 2050 als fixes Datum gehabt und sich für eine weichere Formulierung wie „Mitte des Jahrhunderts“ ausgesprochen haben. Medienberichten zufolge soll die Wirtschaftskammer (WKÖ) das forciert haben.

Hoffnungen verpufften rasch

Mit dem Scheitern beim Klima als Vorzeichen sind dann auch die Personalverhandlungen nicht gut verlaufen. Am Mittwoch hatte Tusk noch gehofft, dass das Personalpaket für die fünf wichtigsten Jobs der EU – Kommissionspräsident, Ratspräsident, Parlamentspräsident, Außenbeauftragter und Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) – noch bis Donnerstag geschnürt sein könnte. Doch diese Hoffnung war bereits vor dem Gipfel verpufft.

Wie Merkel sagte, konnte keiner der Spitzenkandidaten aus der EU-Wahl eine Mehrheit für sich beschaffen, um Kommissionschef zu werden – weder im Rat noch im Parlament. Auch nicht der deutsche Kandidat der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber (CSU), der als Spitzenkandidat der stärksten Fraktion das Amt für sich beansprucht. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mauert gegen das Spitzenkandidatensystem und Weber selbst – dieser sei zu unerfahren.

Macron will neue Namen

Nach den Gesprächen wollte auch Merkel ihre Unterstützung für Weber nicht mehr ausdrücklich betonen. Sie sagte, es gebe keinen Ausblick darauf, dass einer der Spitzenkandidaten noch eine Mehrheit bekommen könnte. Die Gespräche hätten gezeigt, dass neue Namen vorgeschlagen werden müssten, so Macron nach dem EU-Gipfel. Auch der geschäftsführende dänische Ministerpräsident Lars Lökke Rasmussen erwartet neue Namen.

EU-Gipfel: Keine Einigung über Personalfragen

Beim Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs in Brüssel gab es keine Einigung über die Besetzung der EU-Spitzenposten. Bis zu einem Sondergipfel Ende Juni soll weiter nach einer Lösung gesucht werden.

Mit diesem Machtpoker könnte auch das Spitzenkandidatensystem auf lange Sicht in der Versenkung verschwinden. Dieses war eigentlich dazu gedacht, die EU zu demokratisieren. Am Scheitern beteiligt wäre aber auch das Parlament, das sich in sich nicht einig wird. Die aktuelle Lage sorgte nach dem Gipfel auch für reichlich Kritik.

In der deutschen Presse war von „Proporzdenken“, „Intransparenz“ und „Postenschacher“ die Rede. Die Regierungschefs haben sich nun jedenfalls noch einige Tage Zeit verschafft. Dass es dadurch einfacher wird, glaubt allerdings keiner. Ein weiterer Aufschub wäre im Übrigen auch möglich: Abgesehen vom Parlamentspräsidenten müssen die Ämter erst bis Herbst besetzt werden.