Eine Betreuerin reicht einer pflegebedürftigen, alten Frau ein Glas Wasser
ORF.at/Christian Öser
ÖVP-Vorstoß

Breite Ablehnung für Pflegeversicherung

Der Vorstoß der ÖVP, im Zuge einer Pflegereform eine Pflegeversicherung einzuführen, stößt bei anderen Parteien und Sozialpartnern nicht auf Gegenliebe. Weder der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB), der SPÖ-nahe Pensionistenverband, die Industriellenvereinigung noch der ehemalige Koalitionspartner FPÖ oder NEOS sind dafür. Einhelliger Tenor: Eine Pflegeversicherung werde zu weiteren finanziellen Belastungen führen.

In den meisten Stellungnahmen wird zudem zuerst ein Konzept zur Pflege gefordert, bevor über eine mögliche Umstellung der Finanzierung geredet werden könne. Die ÖVP hatte zuvor angekündigt, am Montag einen Sieben-Punkte-Plan zur Pflege vorstellen. Eine Pflegeversicherung soll dabei als fünfte Säule neben Kranken-, Pensions-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung als langfristige Finanzierung etabliert werden, heißt es. „Die Sicherung der Pflege wird in Österreich seit Jahren vor sich hergeschoben und nicht gelöst“, so ÖVP-Chef und Ex-Kanzler Sebastian Kurz.

Für den ehemaligen Koalitionspartner FPÖ ist der Vorschlag „enttäuschend“, sagte FPÖ-Chef und Klubobmann Norbert Hofer. Die Volkspartei verlasse damit den Pfad der Steuer- und Abgabenreform, denn eine zusätzliche Pflichtversicherung bedeute eine Mehrbelastung für „alle Steuerzahler und Sozialversicherten“. Hofer schlägt die Schaffung einer Bundesgenossenschaft für Pflege und Betreuung vor, für ein „nachhaltiges Pflegesicherungskonzept aus dem System“. Die 24-Stunden-Pflege müsse anders organisiert werden, derzeit würde vor allem Pflegepersonal aus osteuropäischen Staaten ausgenützt.

Laut ÖVP ist für die Pflegeversicherung eine Erhöhung der Steuer- und Abgabenquote nicht notwendig. Der Aufwand soll durch Steuersenkungen bzw. Bündelung bestehender Abgaben ausgeglichen werden. Im Pflegepaket der ÖVP sollen unter anderem Unterstützungsmaßnahmen für pflegende Angehörige, die Sicherung des Fachkräftebedarfs, Entbürokratisierung und Innovation im Pflegebereich enthalten sein. Details dazu sollen am Montag folgen.

SPÖ und NEOS wollen Gesamtkonzept

Ein umfassendes Pflegekonzept für staatlich finanzierte Pflege verlangte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner – das ÖVP-Modell einer Pflegeversicherung sei der falsche Weg. Das bereits fertige Paket der SPÖ mit einem Pflegefonds und bundesweit einheitlichen Pflegeservicestellen sei „sofort umsetzbar“ und würde sicherstellen, dass es Verlässlichkeit und Sicherheit bei der Pflegefinanzierung gebe, so Rendi-Wagner. Zudem brauche es einen bundesweit einheitlichen Pflegequalitätsrahmen.

Für NEOS ist der ÖVP-Vorschlag der Versuch, das Pferd von hinten zu zäumen. Es brauche zuerst ein fundiertes Pflegekonzept, so NEOS-Sozialsprecher Gerald Loacker, erst dann könne man seriös über die Finanzierung sprechen. Als Problem machte Loacker aus, dass die Struktur der Pflege in Österreich immer noch von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich hoch ist.

Der SPÖ-nahe Pensionistenverband sieht in einer Pflegeversicherung „keine Vorteile“. Eine würdevolle Pflege dürfe nicht von der Höhe der Versicherungsleistung abhängig sein, so Pensionistenverband-Generalsekretär Andreas Wohlmuth in einer Aussendung. Eine zusätzliche finanzielle Belastung der Menschen durch eine neue Pflegeversicherung lehne man ab. Darin seien sich alle Seniorenorganisationen einig.

ÖGB warnt vor zusätzlichen Belastungen

Auch der ÖGB fordert ein Gesamtkonzept. Seit zwei Jahren sei zu dem Thema nichts passiert, so ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian, der im ÖVP-Vorschlag „allgemeines Geschwurbel ohne Substanz“ ortet. Die Aussage, weiter im System sparen zu wollen, sehe er angesichts der Sozialversicherungen als eine „gefährliche Drohung“. Er schlug im Gegenzug die Einführung einer „Millionärssteuer“ vor, die für die Pflege zweckgebunden sei. Eine weitere Belastung der Arbeitskosten hält der ÖGB für genauso falsch, wie den Arbeitnehmern vorzuschreiben, dass sie sich für die Pflege privat versichern müssen.

Parteien präsentieren Vorschläge für Pflegefinanzierung

Ausgehend von der ÖVP haben die Parteien am Sonntag ihre Ideen präsentiert, wie die Pflege in Zukunft finanziert werden könnte.

Die ÖVP-Forderung, Pflege solle im besten Fall durch Angehörige passieren, bedeute, dass in der Familie vor allem Frauen für die Pflege zuständig seien. Damit würden veraltete Rollenbilder ebenso wie Probleme der Frauen am Arbeitsmarkt verstärkt, so Korinna Schumann, ÖGB-Vizepräsidentin und Frauenvorsitzende. Schumann fordert bessere Arbeitsbedingungen und hochwertige Ausbildungen in Pflegeberufen sowie faire Entlohnung, um das Image der Pflege zu verbessern.

Gewerkschaften für Steuer auf Vermögen und Erbe

Ablehnung zur Pflegeversicherung kam auch von den Gewerkschaften, die eine Belastung der Arbeitnehmer fürchten. Die Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier (GPA-djp), Barbara Teiber, sprach sich stattdessen für die Besteuerung „großer Erbschaften“ aus. Eine „Millionärssteuer“ kann sich auch Roman Hebenstreit, Vorsitzender der Dienstleistungsgewerkschaft vida, vorstellen, der darauf hinwies, dass die ÖVP vor Kurzem gegen die Erhöhung des Pflegegelds gestimmt hat.

IV fürchtet höhere Lohnnebenkosten

Gegen zusätzliche Belastungen durch höhere Lohnnebenkosten sprach sich ebenfalls die Industriellenvereinigung (IV) in einer Aussendung aus. Es brauche mehr Effizienz und Abstimmung im System statt dem Ruf nach neuen Einnahme- und Finanzierungsquellen, so die IV. Es müsse etwa zuerst sichergestellt werden, dass vorhandene Gelder dort ankommen, wo sie benötigt werden.

Die IV wies darauf hin, dass ein „nachhaltiges Pflegesystem“ die richtigen Anreize für die sachgerechte Inanspruchnahme von Pflegeleistungen wie Pflegeheimplätze und mobile Dienste sicherstellen müsse. Während aber das Pflegegeldwesen in Bundeskompetenz sei, liegen Pflegesachleistungen und deren Ausbau grundsätzlich in der Verantwortung der Länder. Daher sei das adäquate Zusammenspiel von Pflegegeld- und Pflegesachleistungen „unverzichtbar“.