Geldscheine übereinandergestapelt
ORF.at/Christian Öser
Wahlkampf nach „Ibiza“

Die Untiefen im Wahlkampf für die Parteien

Beim bevorstehenden Nationalratswahlkampf steht die Finanzierung des Wahlkampfs durch die Parteien im Scheinwerferlicht wie wohl noch nie. Strengere Regeln, um Missbrauch im Schatten des „Ibiza-Skandals“ zu verhindern, wird es vorher eher nicht mehr geben. Doch die Parteien müssen aufpassen, dass sie nicht auf frischer Tat ertappt werden. Nach 2017 steht die ÖVP wohl besonders unter Beobachtung.

Die Parteien würden merken, „dass das nicht geht“, so die Klagenfurter Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle. Es gebe eine „enorme Angst“, dass irgendein Kandidat oder eine Kandidatin über einen Verein den eigenen Wahlkampf sponsert, ohne das offenzulegen. Das sei gerade für eine Bundespartei gar nicht bis ins Letzte kontrollierbar.

Besonders im Fokus steht in der Frage die Volkspartei von Sebastian Kurz, sind sich Stainer-Hämmerle und der Politologe Peter Filzmaier gegenüber ORF.at einig. Die ÖVP habe 2017 die Wahlkampfkostenobergrenze von sieben Millionen stark überschritten, „fast ums Doppelte“, so beide unter Verweis auf die von der ÖVP selbst genannten rund 13 Millionen Gesamtkosten. „Der Glaube fällt schwer, dass das zufällig passiert ist“, so Filzmaier.

Mehrmals gegen Obergrenze verstoßen

Laut dem Politikwissenschaftler und Parteiengesetzexperten Hubert Sickinger hat die ÖVP seit Inkrafttreten der gesetzlichen Obergrenze wiederholt dagegen verstoßen – neben 2017 auch bei der Nationalratswahl 2013 sowie bei den Landtagswahlen in Niederösterreich (2013) und Oberösterreich (2015).

Dazu kommt, dass laut Filzmaier die ÖVP die Grauzonen des Gesetzes ausreize. Er nennt die Stückelung der Spenden, um die unmittelbare Meldung beim Rechnungshof zu vermeiden, eine Methode, derer sich NEOS, das ebenfalls Großspenden erhielt, etwa nicht bedient habe, so Stainer-Hämmerle.

Verzicht erst durch öffentliche Debatte?

Anders als die anderen Parteien hat die eben von Kurz übernommene ÖVP vor zwei Jahren interne Vorzugsstimmenwahlkämpfe ausgerufen und teils Außenseiterkandidaten unterstützt. Nun zeichnet sich ab, dass es bei der ÖVP entweder gar keine oder zumindest deutlich weniger dieser internen Wahlkämpfe geben soll. Neben Wien wollen jedenfalls auch Niederösterreich und mehrere andere darauf verzichten. Die anderen Landesgruppen überlegen noch.

Filzmaier betont: „Der Verdacht liegt nahe, dass man erst durch die öffentliche Debatte über die Wahlkampffinanzierung verzichtet hat.“ Es bestehe wohl das Risiko, dass die Transparenz bei den Wahlkampfkosten beim bevorstehenden Wahlkampf in Gefahr sei, „denn warum soll man sonst auf ein Modell verzichten, das erfolgreich ist?“, so Filzmaier.

ÖVP-Landesorganisationen gegen Vorzugsstimmenmodell

Das Vorzugsstimmenmodell war zuletzt eine der Wunderwaffen der Kurz-ÖVP. Bei der Wahl im September wird es dazu aber nicht kommen, machten die wichtigen ÖVP-Landesorganisationen jetzt klar.

Andere Parteien mit weniger Großspendern

Stainer-Hämmerle sieht die ÖVP in der Frage jedenfalls „unter Druck“, Kurz’ Image „sei schon etwas angekratzt“. Nur auf andere zu zeigen, werde da nicht ausreichen, glaubt die Politologin. Filzmaier und Stainer-Hämmerle betonen, SPÖ und FPÖ seien wohl weniger betroffen. Dabei hatten die Aussagen von Ex-FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache im „Ibiza-Video“ über Wege, die Obergrenze zu umgehen, die Frage der Parteien- und Wahlkampfkostenfinanzierung erst wieder zur innenpolitischen Causa prima gemacht. Beide Parteien, so die beiden Experten, hätten weniger Großspender als die ÖVP.

ÖVP kritisiert SPÖ

ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer warf der SPÖ am Dienstag erneut „Umgehungskonstruktionen“ etwa mit Inseraten aus öffentlicher Hand vor und nannte als Beispiele den Pensionistenverband und den FSG, die sich nach Inkrafttreten des Parteiengesetzes formal von der Partei trennten. Spenden an sie müssen damit nicht an den Rechnungshof gemeldet werden. SPÖ-Parteichefin Pamela Rendi-Wagner wies die Vorwürfe ihrerseits umgehend zurück. Alles, was an die Partei gehe, finde sich auch im Rechenschaftsbericht. Zu einem Einsichtsrecht in die Parteifinanzen für den Rechnungshof zeigte sich die SPÖ-Chefin zurückhaltend. Sie ist laut eigenen Angaben aber optimistisch, dass es eine Einigung auf eine Reform des Parteiengesetzes diese oder nächste Woche geben wird.

Sickinger vermutet zwei Faktoren, warum die ÖVP heuer die 2017 noch so propagierten parteiinternen Vorzugstimmenwahlkämpfe zurückschrauben, wenn nicht gar stoppen will. Laut Sickinger geht es einerseits ums Geld. Denn Ausgaben jenseits von 15.000 Euro pro Kandidatin oder Kandidat für deren Wahlkampf werden in die Gesamtwahlkampfkosten der Partei eingerechnet. Und diese ist per Gesetz mit sieben Millionen nach oben gedeckelt.

Warten auf Rechnungshof

Die genauen Ausgaben der Parteien von 2017 sind bisher nicht bekannt. Der Rechnungshof will im Juli die geprüften Rechenschaftsberichte vorlegen. Laut eigenen Angaben gaben die ÖVP 13 Mio., die FPÖ 10,7 Mio., die SPÖ 7,4 Mio., NEOS 1,8 Mio. und JETZT 300.000 Euro aus. Gesetzlich erlaubt sind maximal sieben Millionen.

„Sang- und klanglos“

Vorzugsstimmenwahlkämpfe treiben laut Sickinger die Ausgaben einer Partei systematisch nach oben: Die Landesparteien müssten ihre Kandidaten pushen, auch Teilorganisationen die ihrigen. Und die Kandidaten selbst würden auch teils aufwändige Kampagnen fahren. Für alle Parteien wäre es wohl katastrophal, wenn diesbezüglich im Wahlkampf ein Fehlverhalten publik würde.

Und, so betont Sickinger, Kurz könne auch kein Interesse haben, dass jene Quereinsteigerinnen und -einsteiger, die er 2017 pushte, schon nach zwei Jahren wieder aus dem Nationalrat fielen. Die durch das Scheitern der ÖVP-FPÖ-Koalition ausgelöste vorgezogene Neuwahl kommt diesbezüglich schlicht zu früh. Diese Kurz-Vertrauten würden wohl teils „sang- und klanglos“ untergehen, weil sie nicht in der Parteistruktur verankert seien. Das Vertrauen in Kurz würde, so Sickinger, geschwächt, wenn er die von ihm geförderten Kandidaten von 2017 quasi „fallen“ lasse.

Die Letztentscheidung liegt laut Sickinger bei Kurz. Dieser ließ sich bei seiner Kür zum Parteiobmann ein Vetorecht bei den ÖVP-Landeswahllisten geben. In diesem Zusammenhang wird es interessant, welche Kandidatinnen und Kandidaten über die Bundesliste, sie ist alleinige Domäne von Kurz, abgesichert werden. Ähnlich wie Stainer-Hämmerle sieht auch Sickinger als weiteres Motiv die Sorge vor „Problembären“, also Kandidaten, die mit der Finanzierung eines Vorzugsstimmenwahlkampfs der Partei Probleme bereiten könnten.

Vorschläge, die anderen wehtun

Generell geht Stainer-Hämmerle davon aus, dass die Parteien diesen Wahlkampf sparsamer führen werden. Im Streit über die Wahlkampffinanzierung mache jede Partei solche Reformvorschläge, „die den jeweils anderen Parteien am meisten wehtun“, so Filzmaier. Stainer-Hämmerle wie Filzmaier sind überzeugt, dass darüber das wichtigere Thema der mangelnden Transparenz in der aktuellen Debatte zu kurz kommt.

RH-Präsidentin Kraker zur Praxis bei Parteispenden

Die Stückelung von Parteispenden sei zwar nicht gegen das Gesetz, aber sie widerspreche dem Geist des Gesetzes, denn er ziele auf Transparenz, sagt Rechnungshofpräsidentin Margit Kraker.

Stainer-Hämmerle plädiert jedenfalls dafür, es „lieber ordentlich, statt wieder husch-pfusch“ zu machen, wie 2012. Derselben Ansicht ist auch Sickinger, der darauf verweist, dass die heutigen Probleme daher rührten, dass es beim Beschluss des Parteiengesetzes 2012 keine Begutachtung gegeben habe. Filzmaier betont, das Übergangskabinett von Kanzler Brigitte Bierlein habe eigentlich eine „Chance mit Charme“ verpasst: Sie hätte dem Nationalrat einen Antrag zum Thema vorlegen können – dann hätten sich alle Parteien deklarieren müssen.