Boris Johnson
Reuters/Peter Nicholls
Tory-Stichwahl

Johnson mit Startschwierigkeiten

Boris Johnson gilt als haushoher Favorit bei der Wahl um die Nachfolge von Theresa May als künftiger Tory-Vorsitzender und britischer Premier. Doch nun, wo die Stichwahl gegen Außenminister Jeremy Hunt ansteht, scheint Johnson zu schwächeln. Tagelang war er untergetaucht. Nun gab er wieder Interviews, konnte dabei aber – wenig überraschend – keine klaren Brexit-Lösungen aus dem Hut zaubern. Und überschattet werden politische Fragen derzeit von einer privaten Angelegenheit.

Johnson hatte zuletzt einige Tage keine Interviews gegeben und auch eine TV-Konfrontation mit Hunt abgesagt. Dieser wiederum forderte ihn auf, kein „Feigling“ zu sein und sich Fragen zu stellen. „Sei ein Mann und zeige der Nation, dass du mit der intensiven Prüfung umgehen kannst, die mit dem schwierigsten Job im Land einhergeht“, sagte er.

Der Grund für Johnsons Untertauchen ist wohl ein öffentlich bekanntgewordenes Detail: In der Nacht auf Freitag riefen seine Nachbarn die Polizei, nachdem sich Johnson lautstark mit seiner Lebensgefährtin Carrie Symonds gestritten hatte.

Beziehungsstreit überschattet alles

Tagelang berichtete die britische Presse nur über den Streit – schließlich ist auch das Privatleben des ehemaligen Außenministers ein gefundenes Fressen für die Medien: Johnson ist mit der 31-jährigen PR-Expertin und ehemaligen Mitarbeiterin erst seit Kurzem liiert. Im Vorjahr trennte er sich von seiner Frau Marina Wheeler, mit der er vier Kinder hat. Dass er auch Vater eines weiteren Kindes ist, kam erst nach einem Gerichtsurteil, das Berichte darüber erlaubte, 2013 an die Öffentlichkeit.

Johnsons Popularität hat nach jüngsten Umfragewerten des Meinungsforschungsinstituts Survation stark gelitten. Vor dem Vorfall am Donnerstag hatten noch 36 Prozent aller befragten Wähler gesagt, sie hielten Johnson für den besseren Premierminister. 28 Prozent favorisierten Hunt in der Umfrage für die „Mail on Sunday“. Am Samstag führte dagegen Hunt mit 32 Prozent knapp vor Johnson mit 29 Prozent – und das obwohl er sich bei den Abstimmungen unter den Tory-Abgeordneten, wer in die Stichwahl gehen soll, immer haushoch durchgesetzt hatte.

Mit Foto und Interviews in der Offensive

Am Montag gingen Johnson und sein PR-Team dann in die Offensive: Mehreren Zeitungen erhielten ein Foto, das Johnson mit seiner Lebensgefährtin an einem Tisch in idyllischer Atmosphäre zeigte und das wohl eine versöhnende Aussprache darstellen sollte.

Am Montagabend gab er dann gleich einen ganzen Schwall Interviews, in denen er aber Aussagen zu den privaten Themen verweigerte. Er spreche nicht „über seine Familie und seine Liebsten“. Diese hineinzuziehen, sei nicht fair für sie. Auch die Antwort auf die Fragen, wann, wo und von wem das Foto mit Symonds aufgenommen wurde – und wie es in die Medien kam –, verweigerte Johnson. Zur Absage des TV-Duells blieb Johnson auch schweigsam.

39 Milliarden Pfund als Druckmittel

In politischen Fragen – allen voran zum Brexit – wiederholte er aber bekannte Standpunkte: Er wolle das Austrittsabkommen mit Brüssel nachverhandeln, was Brüssel freilich strikt ablehnt. Johnson glaubt dennoch, dass das möglich ist, weil sich auf beiden Seiten zuletzt viel geändert habe, spielte er im BBC-Interview wohl auf die neue Tory-Führung und die EU-Wahl an. Als Druckmittel verwies er wiederholt auf die vereinbarten Restzahlungen beim EU-Austritt von 39 Milliarden Pfund (43,64 Mrd. Euro) an die EU, die er zurückhalten will. „Ich denke, es sollte eine kreative Unklarheit herrschen, wann und wie dies bezahlt wird“, sagte er.

Keine „harte“ Irland-Grenze

Dennoch setze er auf die „Kooperation“ der EU. Großbritannien werde selbst bei einem „No Deal“-Brexit auf keinen Fall Grenzkontrollen und eine „harte Grenze“ zwischen Nordirland und Irland einrichten. „Natürlich hängt das nicht nur von uns ab“, sagte er weiter. „Das hängt auch von der anderen Seite ab. Es gibt ein sehr wichtiges Element: jenes der Gegenseitigkeit und der Kooperation.“ Die Frage der künftigen Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und der britischen Provinz Nordirland ist einer der Hauptstreitpunkte im Ringen um den Brexit.

Johnson sprach sich auch für eine Übergangsphase nach einem EU-Austritt seines Landes aus. Das zwischen der scheidenden Premierministerin May und der EU ausgehandelte Austrittsabkommen, das im britischen Unterhaus scheiterte, sieht ebenfalls eine solche Übergangsphase vor. Johnson hält das mehrfach im britischen Parlament gescheiterte Abkommen zwar für „tot“, die „hilfreichen“ Teile daraus will er allerdings beibehalten, sagte er in einer Talkradio-Sendung am Dienstag. Auch dieses Herausklauben von Rosinen hat die EU immer abgelehnt.

Handelsabkommen bis Ende Oktober

Johnson bekräftigte seine Entschlossenheit, den Brexit notfalls auch ohne Vereinbarung mit der EU durchzusetzen. „Mein Versprechen ist, aus der EU zu Halloween am 31. Oktober auszutreten“, sagte er. Und er zeigte sich sicher, die Zustimmung des Parlaments für seine Vorhaben zu erhalten – ließ dabei aber offen, wie er das erreichen will, nachdem sich in den vergangene Wochen keine Mehrheiten für irgendeinen konkreten Plan finden ließen.

Bis zum Austritt will er auch ein neues Handelsabkommen mit der EU zustande gebracht haben: Es wäre „sehr bizarr“, wenn die EU sich im Falle eines Austritts ohne Abkommen entscheiden sollte, Zölle auf Waren aus dem Vereinigten Königreich zu erheben, sagte er dem Radiosender LBC. Die EU sollte sich seinen Plänen anschließen und in einem solchen Fall auf Zölle verzichten. Solche Abgaben „wären nicht im Interesse ihrer Unternehmen, geschweige denn ihrer Verbraucher“, argumentierte Johnson. „Das wäre ein Rückfall in Napoleons Kontinentalsperre“, fügte er mit Verweis auf die historische Wirtschaftsblockade hinzu.

Reicht „Enthusiasmus“ zum Erfolg?

In anderen Interviews warb er für „Enthusiasmus“. Er habe noch nie eine solche gedrückte Stimmung bei einer Regierung gesehen, sagte der frühere Außenminister und Ex-Bürgermeister. Die Interviews stießen auf starke Kritik etwa bei Arbeitsministerin Amber Rudd. Sie forderte von Johnson, endlich Klartext bei seinen Brexit-Plänen zu reden. „Enthusiasmus und Optimismus reichen nicht“, sagte Rudd dem Sender BBC. Sie unterstützt den Gegenkandidaten Hunt.

Anekdoten nachgestreut

Da die Interviews möglicherweise nicht ganz wie gewünscht ankamen, setzten Johnsons PR-Leute gleich noch zwei andere Aktionen drauf. So wurde am Dienstag ein Video veröffentlicht, das ihn beim Redenschwingen und Politisieren bei einer Gartenparty zeigt. Die Aufnahmen sollen vom Wochenende stammen.

Boris Johnson unterhält sich mit Besucherinnen einer Gartenshow
AP/PA/Stefan Rousseau
Boris Johnson beim politischen Small Talk im Grünen

Und Johnson offenbarte im Talkradio, dass es sein Hobby sei, Busse aus hölzernen Weinkisten zu basteln. Und er male „die Insassen, die sich in dem wunderbaren Bus vergnügen“. Zwar erntete Johnson mit den Aussagen Spott und Unglauben, doch genau das hat ihm in seiner Vergangenheit auch nicht geschadet: Sämtliche peinlichen Szenen und Fettnäpfchen trugen im Gegenteil eher dazu bei, ihn prominenter und beliebter zu machen.

Nicht nur der Brexit als Gefahr

Noch bis zum 22. Juli können sich die etwa 160.000 Mitglieder der Konservativen Partei per Briefwahl entscheiden, ob sie Johnson oder Hunt als Nachfolger für May wollen. Der neue Parteichef und Premier hat dann gerade drei Monate Zeit, um das Brexit-Chaos zu lösen. Und das ist nicht der einzige Drahtseilakt: Eine Parlamentsmehrheit haben die Torys nur mit der nordirischen DUP. Sollten auch nur einige wenige Konservative Johnson den Rücken kehren, könnten Neuwahlen anstehen. Und angesichts der vernichtenden Ergebnisse bei der EU-Wahl und ebenso wenig rosig aussehenden Umfragewerten wäre das eine der kürzesten Amtszeiten eines britischen Premiers in der Geschichte.