Menschenmenge im Gegenlicht
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Gesundheit

Wenn die Hitze zu Kopf steigt

Die Hitzewelle hat mittlerweile ganz Europa erfasst, von Tag zu Tag wird es heißer, in vielen Ländern sind bereits neue Rekorde aufgestellt worden. Doch die hohen Temperaturen können sich nicht nur negativ auf die Umwelt, sondern auch auf unsere Gesundheit auswirken – physisch wie psychisch. Ein Experte plädiert für eine Anpassung unseres Lebensrhythmus an die veränderten klimatischen Bedingungen.

Der Juni 2019 wird mit Temperaturen von über 37 Grad der wärmste in Österreichs Messgeschichte, so die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG). Auch die Zahl der Hitzetage nahm etwa in den Landeshauptstädten in den vergangenen Jahrzehnten um rund 50 Prozent zu. Zudem gibt es Anzeichen dafür, dass die Wetterlagen mittlerweile länger anhalten als früher – was wiederum längere Hitzewellen bedeuten würde.

Ein Trend, der sich voraussichtlich auch in Zukunft fortsetzen wird – und drastische Auswirkungen auf unsere Gesundheit mit sich bringt: „Die Häufigkeit von Hitzewellen wird von derzeit fünf auf 15 gegen Ende des Jahrhunderts ansteigen. Damit einher geht ein Anstieg der hitzebedingten Todesfälle“, warnt der Referent für Umweltmedizin der Wiener Ärztekammer, Piero Lercher.

Mehr Hitzetote als Verkehrstote in Österreich

Im Jahr 2018 starben in Österreich bei einem Rekord an Sommertagen mit mindestens 25 Grad 766 Personen. Das waren mehr als im Jahr 2017 (586), aber deutlich weniger als im Jahr 2015 (1.122), berichtete die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES). Zum Vergleich: Bei Verkehrsunfällen starben 2018 409 Menschen.

Die Berechnungen haben jedoch einen Haken: „Den“ Hitzetoten gibt es nicht, es gibt lediglich die medizinische Diagnose des Hitzeschlags. Allerdings gibt es den Ausdruck der „Hitze-assoziierten Übersterblichkeit“, wo Sterbedaten mit Wetterinformationen in Verbindung gebracht werden.

Menschen in der Wiener Innenstadt
ORF.at/Christian Öser
Gerade in den Innenstädten, etwa hier in Wien, erreichen die Temperaturen oft Höchstwerte

Hochbetrieb in Kliniken

In der Notfallaufnahme der Klinik Innsbruck herrscht derzeit wegen der Hitze Hochbetrieb – mehr dazu in tirol.ORF.at. Dass bei einer Hitzewelle mehr zu tun sei als sonst, bestätigte auch der Notarzt Roland Baumgartner. „In diesen Tagen gibt es viele Einsätze aufgrund der Austrocknung und Elektrolytentgleisungen – also Herzinfarkte und Schlaganfälle.“ Sehr häufig seien aber auch einfach Kreislaufschwächen, sagte Birgit Schuler vom Roten Kreuz Steiermark – mehr dazu in steiermark.ORF.at.

Der Grund dafür: Der Körper versucht seine Temperatur durch verstärkte Schweißproduktion zu senken. Durch das starke Schwitzen gehen Flüssigkeit, Mineralstoffe und Spurenelemente verloren. Um für Abkühlung zu sorgen, weiten sich zudem die Blutgefäße der Haut. Dadurch sinkt der Blutdruck, der Kreislauf wird geschwächt. Bei starker Hitze kann das dazu führen, dass das Gehirn nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt wird – dann stellen sich Schwindel, Kopfschmerzen, Mattigkeit und Konzentrationsstörungen ein.

Gefahr im Verkehr

Gerade beim Autofahren stellen Hitze und Flüssigkeitsmangel ein Sicherheitsrisiko dar, warnte der ÖAMTC: Die Konzentrationsstörungen könnten sich in Unachtsamkeit oder einer verlängerten Reaktionszeit äußern. Lenker und Lenkerinnen, die zu wenig trinken, machen demnach mehr Fehler.

„Reaktionsgeschwindigkeit und Koordinationsfähigkeit sinken bei Temperaturen von 30 Grad um ein Viertel, bei 35 Grad ist bereits mit einer Leistungseinbuße von 50 Prozent zu rechnen“, erläuterte Sonja Rustler, Präventionsexpertin der AUVA in einer Aussendung. Jährlich werden laut Statistik Austria etwa 250 Unfälle wegen Kreislauf- oder Herzproblemen registriert, darunter auch tödliche.

Folgen der Hitze: Von Aggression bis Depression

Untersuchungen belegen, dass die Hitze jedoch nicht nur auf den Körper, sondern auch auf die Psyche einen erheblichen Einfluss hat. Der US-amerikanische Psychologe Craig Anderson erforscht seit Jahren die „Heat Hypothesis“ – jene Vermutung, die nahelegt, dass Hitze zu einem gesteigerten aggressiven Verhalten führt. In einer Metaanalyse konnte er belegen, dass ab 32 Grad mehr Fälle von häuslicher Gewalt sowie Beleidigung und Körperverletzung auftreten. Zudem bestätigte sich, dass Hitze Probanden anfälliger für negative Gedanken werden lässt und sie dadurch launenhaft sowie potenziell feindseliger werden.

Starke Hitze in der Stadt

Die starke Hitze derzeit ist besonders für all jene unangenehm, die in großen, zubetonierten Städten leben. „Magazin 1“ hat sich angeschaut, wie man in einer Stadt (ökologisch) abkühlen kann.

Die psychischen Auswirkungen der hohen Temperaturen untersuchten auch Wiener Experten und Expertinnen. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie in dem 2017 erschienen Buch „Klimawandel und Gesundheit“. „Während einer Hitzewelle kommt es vor allem bei älteren oder geschwächten Menschen zu einer deutlichen Zunahme von Ängsten und Depressionen, das zeigen unsere aktuellen Studien. Diese Menschen können der Hitze nicht mehr entfliehen und fürchten sich schon vor der nächsten Hitzewelle“, meinte etwa Mitautor und Umweltmediziner Hans-Peter Hutter.

Wenn der „Schönwettereffekt“ ins Negative kippt

Dass die Hitze vor allem Menschen mit Belastungsstörungen und Depressionen zu schaffen macht, merkt man auch bei den Psychosozialen Diensten (PSD) in Wien. „Schönes Wetter, Helligkeit und Sonne haben eigentlich einen stimmungsaufhellenden, positiven Effekt. Durch die Hitze wird dieser aber entweder nivelliert oder kippt ins Negative“, sagte Josef Schörghofer, Leiter der psychosozialen Information des PSD, gegenüber ORF.at.

Hitzewelle

Von einer Hitzewelle wird gesprochen, wenn die Temperaturen an zumindest drei aufeinanderfolgenden Tagen auf über 30 Grad steigen.

Während bei den PSD früher im Sommer immer ein Rückgang bei den Anfragen feststellbar war, gehe es nun in den heißen Monaten kontinuierlich weiter, erzählte Schörghofer. Vor allem komme es bei den steigenden Temperaturen zu einer Häufung der Fälle von Menschen mit Schlafstörungen.

Gerade betagtere Personen würden zudem oft vergessen, ausreichend Flüssigkeit zu sich zu nehmen. Bei diesen führe die Dehydrierung dann oft auch zu Verwirrtheitszuständen und Desorientierung. Ein weiteres Problem sei auch der Alkoholismus. „Alkoholgefährdete greifen bei der Hitze schneller zu einem Bier als zu einem antialkoholischen Getränk“, so Schörghofer.

Frau liegt auf einer Parkbank
APA/AFP/Gabriel Bouys
Eine Siesta wie hier in Madrid bald auch in Österreich? Im Sinne der Gesundheitserhaltung nur zu empfehlen, meint ein Experte

Siesta in Österreich?

Betroffen von der Hitzewelle seien aber auch Menschen mit Angst- oder Panikstörungen. Menschen, die daran leiden, hätten häufig das Gefühl, einen Herzinfarkt zu erleiden oder plötzlich keine Luft mehr zu bekommen. „Durch die Hitze fühlen sich ohnehin viele Menschen unruhig und unwohl, merken leichte Kreislaufprobleme. Die meisten werde diese auf die Hitze zurückführen und sich nicht weiter darum kümmern. Jemand, der Panikerfahrung hat, kann das aber nicht. Denn bei der geringsten Abweichung von der Norm setzt eine Angstkette ein, und das Gehirn schlägt sofort Alarm“, erklärte Schörghofer. Durch die Hitze würde es bei Betroffenen demnach verstärkt zu Panikattacken kommen.

Im Sinne der Gesundheitserhaltung müsse man zu Kulturen blicken, die bereits seit ihrer Entstehung mit hohen Temperaturen zu kämpfen haben – etwa zu den südlichen Ländern Europas. Als Vorbild auch für Österreich nennt Schörghofer Spanien und die Siesta. Er plädiert: „Wir sollten unseren Lebensrhythmus überdenken und hinterfragen, ob er noch zum heutigen Klima passt.“