Szene des Films „They Shall Not Grow Old“
2018 Warner Bros. Entertainment Inc.
Filmprojekt in 3-D

Peter Jackson färbt Ersten Weltkrieg ein

Ein Jahrhundert alt sind die filmischen Dokumente aus dem Ersten Weltkrieg, jetzt kommen sie ins Kino: „They Shall Not Grow Old“ zeichnet die Fronterfahrung junger Soldaten im Ersten Weltkrieg nach, in bemerkenswerter Unmittelbarkeit. Das Material stammt aus dem britischen Imperial War Museum, kompiliert wurde es von „Herr der Ringe“-Regisseur Peter Jackson.

„Die Erfahrung hat mich zum Mann gemacht“, sagt einer. „Man hat gelernt, auf sich selbst zu achten.“ Das klingt anfangs noch ernsthaft, aber bewältigbar, was die Männer erzählen, die den Ersten Weltkrieg überlebt haben: Die Kriegsbegeisterung war groß 1914, wer sich nicht ohnehin freiwillig meldete, wurde von seiner Umgebung dazu gedrängt. Dass von diesem Krieg eine Million junger Briten nicht mehr zurückkehren würde, steht als Erkenntnis am Ende von „They Shall Not Grow Old“.

Das Projekt war enorm: 2014 war das Imperial War Museum an Jackson herangetreten mit der Frage, ob er mit Material aus den Museumsarchiven einen Film über den Ersten Weltkrieg machen würde, mit selbst gewähltem Schwerpunkt. 2.200 Stunden Filmmaterial standen zur Verfügung, in sehr unterschiedlichem Zustand.

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Szene des Films „They Shall Not Grow Old“
2018 Warner Bros. Entertainment Inc.
Szene des Films „They Shall Not Grow Old“
2018 Warner Bros. Entertainment Inc.
Szene des Films „They Shall Not Grow Old“
2018 Warner Bros. Entertainment Inc.
Szene des Films „They Shall Not Grow Old“
2018 Warner Bros. Entertainment Inc.
Szene des Films „They Shall Not Grow Old“
2018 Warner Bros. Entertainment Inc.
Szene des Films „They Shall Not Grow Old“
2018 Warner Bros. Entertainment Inc.

Der Erste Weltkrieg live und in Farbe

Jackson nahm die Herausforderung an: Sein eigener Großvater war in diesem Krieg an der Front gewesen, und der Enkelsohn wollte dessen Erfahrung nachvollziehen. „Wir wollten den Krieg so zeigen, wie er für die Soldaten war“, sagte Jackson, und ein solches Unterfangen muss unweigerlich scheitern. Doch was dem Film dennoch gelingt, ist groß.

Jacksons Anspruch war es, die im Feld gedrehten Bilder mit digitalen Restaurierungs- und Tricktechniken möglichst nah an die Gegenwart heranzuholen: „Ich will diese Soldaten in die heutige Welt holen, damit sie kein Schwarz-Weiß-Klischee mehr sind. Die haben den Krieg nicht in Schwarz-Weiß gesehen, die haben den Krieg in Farbe erlebt.“

Genau hundert Jahre nach Unterzeichnung des Friedensvertrags von Versailles am 28. Juni 1919 kam der Film nun ins Kino. Dass es ausgerechnet Jackson ist, dessen Kriegsinszenierungen in den „Herr der Ringe“- und „Hobbit“-Verfilmungen zur Unterhaltung dienten, ist von feiner Ironie – es ist übrigens genau jener Stellungskrieg, den J. R. R. Tolkien 1916 knapp überlebt hatte.

3-D muss nicht sein

Das für den Film ausgewählte Material wurde eingescannt und mit Computertechnik restauriert, eine Praxis, die bei der Restaurierung von altem Filmmaterial üblich ist. Dabei werden offensichtliche Fehler, etwa Streifen, Kratzer und Verunreinigungen digital entfernt. Außerdem glätteten die Technikteams die grobe Körnung des Filmmaterials, und glichen Über- und Unterbelichtungen aus.

Zusätzlich wurde ein künstlicher 3-D-Effekt eingefügt, und in der entscheidenden Filmsequenz der eigentlichen Kampfhandlungen und der Leiden in den Schützengräben an der Front wurde den Filmen noch zusätzlich Farbe ergänzt. Das Ergebnis ist allerdings, trotz realer Uniformen und Bildern der tatsächlichen Schauplätze als Vorlage, eher vergleichbar mit der Farbigkeit kolorierter Postkarten. Das ergibt eine größere Deutlichkeit bei Szenen, in denen Details sonst grau in grau verschwimmen würden; der 3-D-Effekt bleibt aber ein nutzloser Trick.

Fette Ratten, mörderischer Schlamm

Die Marketingbehauptung, das Material sehe durch die Nachbearbeitung aus „wie heute gedreht“, ist allerdings falsch. Viel unmittelbarer ist die Tonebene: Teils mit Hilfe von Lippenleserinnen wurde das stumme Originalmaterial vertont, vor allem aber die überwältigende Geräuschkulisse mit zeitgenössischem Kriegsgerät nachinszeniert: Kanonengedonner, Geschepper, Getrampel, Gestöhn und Geschrei, jener Schlachtenlärm, der in seiner ohrenbetäubenden Brutalität erst deutlich wird, als endlich Waffenruhe herrscht und eine mächtige Stille an seine Stelle tritt.

All das ist jedoch Illustration für die eigentliche Sensation: In den Archiven der BBC gab es Interviews mit Hunderten Kriegsveteranen unterschiedlichster Ränge und Herkunft, die unverstellt von ihren Erfahrungen berichten, von der anfänglichen Abenteuerlust, der Gleichgültigkeit der Behörden bei zu jungen Rekruten, von der Ernüchterung bei der Ankunft an der Front, von den Gerüchen, den zerfetzten Kameraden, der Sympathie zu deutschen Kriegsgefangenen, dem mörderischen Schlamm, den fetten Ratten.

Ein Antikriegsfilm von der Front

Diese Stimmen sind alles, was der Film an Erklärung liefert. Es sind die Soldaten selbst, die Geschichte von unten berichten. Keine Historiker greifen ordnend von oben ein – ein Oral-History-Projekt, das in seiner Wucht beispielhaft ist. „They Shall Not Grow Old“ hat als Kinofilm vor allem dadurch seine Daseinsnotwendigkeit, weil diesen Männern zwei Stunden lang zuzuhören so aufschlussreich ist: In der vielstimmigen Wucht ihrer Erzählungen ergibt sich ein Panorama, das den Ersten Weltkrieg als Trauma einer Generation aufschlüsselt.