Exponate der Ausstellung „I cannot hide my anger“ von Monica Bonvicini im Belvedere 21
Monica Bonvicini und Bildrecht Wien; Foto: Jens Ziehe
Stacheldraht

Die Kunst der Abgrenzung

Ihre Kunst ist widerständig und düster, kennt aber auch Humor: Die italienische Künstlerin Monica Bonvicini baut im Belvedere 21 einen meterhohen Wall mit Stacheldraht, der mit Migration ebenso viel zu tun hat wie mit feministischer Selbstermächtigung. Wiewohl ihre Werke eine kritische Haltung transportieren, will die Künstlerin nie belehren. Bonvicinis Kunst fesselt durch ihre Machart.

Als Bonvicini kürzlich für ihr Werk ausgezeichnet wurde, hielt die Künstlerin keine Dankesrede, sondern zückte die Spraydose. In schwarzen Graffitibuchstaben sprühte sie den Satz „I cannot hide my anger to spare you guilt“ („Ich kann meine Wut nicht verbergen, um Euch Schuldgefühle zu ersparen“) an die Wand. Diese Aktion war zwar mit der Preisjury abgesprochen, aber das Publikum war von der „zornigen“ Botschaft doch irritiert.

Mauer zwischen den Beinen

Bei dem Spruch handelt es sich um ein Zitat der US-Schriftstellerin und Bürgerrechtlerin Audrey Lorde. Sie prangerte in den 1960er und 1970er Jahren in Gedichten die Diskriminierung schwarzer Frauen an. „Ich fand diesen Satz stark. Endlich eine zornige Frau, die sich nicht davor fürchtet, als hysterisch oder verrückt zu gelten“, erklärt Bonvicini im Interview mit ORF.at anlässlich ihrer jetzigen Schau „I Cannot Hide My Anger“ im Belvedere 21.

Exponate der Ausstellung „I cannot hide my anger“ von Monica Bonvicini im Belvedere 21
Monica Bonvicini und Bildrecht Wien; Foto: Jens Ziehe
In Zeiten der Macho-Politik feiert der Marlboro Man ein Revival

Auch die 1965 in Oberitalien geborene Künstlerin ist eine, die sich wenig schert. Aus Bonvicinis Kunst spricht eine widerständige, oft als „rotzig“ titulierte Haltung. Die Feministin verwendet gerne Materialien, die für Dominanz stehen, etwa Ketten, schwarzes Leder und Panzerglas, das sie zuvor mit einem Hammer bearbeitet.

„Riot Grrrl“ der Kunst

Als eine Art „Riot Grrrl“ der Kunst hatte die 1986 zum Studium nach Berlin gezogene Italienerin bald Erfolg. Zunächst widmete sich Bonvicini der Malerei, aber nach Studienjahren in Kalifornien begann sie das Verhältnis von Architektur, Geschlecht und Macht zu interessieren.

Viel Aufsehen erregte Ende der 1990er Jahre ihr Video „Wallfuckin“, in dem sich eine nackte Frau wie zur Selbstbefriedigung an einer Mauer reibt. Mit Arbeiten wie dieser mokierte sich Bonvicini über den Machismo in der modernen Architektur. Ihre Kunst kam gut an: Bereits als 34-Jährige erhielt sie 1999 den Goldenen Löwen der Biennale von Venedig.

Klohäuschen mit Ausblick

Mit pointierten Arbeiten gelangen Bonvicini seither etliche Coups. So goss sie etwa den Boden einer Galerie mit Gips aus, in dem das Publikum bei jedem Schritt ein bisschen einbrach. Anlässlich der schicken Kunstmesse Art Basel installierte die Künstlerin im öffentlichen Raum das voll funktionsfähige Toilettenhäuschen mit dem Titel „Don’t Miss A Sec“.

Der Clou: Die Wände bestanden aus verspiegeltem Glas, und so konnte man auf der Muschel sitzend in aller Ruhe das hektische Messeklientel beobachten. Für Kunstkenner enthielt die originelle Idee eine zusätzliche Spitze, denn für ähnliche Spiegelglas-Pavillons (allerdings zur Kontemplation und nicht zum Pinkeln) wurde der Konzeptkünstler Dan Graham bekannt.

Verschlossen für Besucher

Wände und Mauern spielen seit nunmehr 20 Jahren eine fundamentale Rolle in Bonvicinis Kunst. „Das Thema Abgrenzung hat mich immer schon interessiert“, sagt die langjährige Professorin auf der Wiener Akademie der bildenden Künste, die nun in Berlin unterrichtet. Für ihre aktuelle Schau ließ sie die Mitte des ehemaligen Weltausstellungspavillons mit meterhohen Aluminiumwänden eingrenzen. Die Besucherinnen und Besucher können um diesen Wall nur herumgehen, sein Inneres bleibt ihnen verschlossen.

Exponate der Ausstellung „I cannot hide my anger“ von Monica Bonvicini im Belvedere 21
Monica Bonvicini und Bildrecht Wien; Foto: Jens Ziehe
Stell dir vor, du gehst in eine Ausstellung und kommst nicht rein: Bonvicinis verschlossener Pavillon der Ausgrenzung

Die leicht schimmernden Wände erinnern an Grenzwälle, denn sie tragen oben Stacheldrahtspiralen der rasiermesserscharfen Drahtsorte „NATO“. Sofort kommen einem Hotspots von Grenzkonflikten in den Sinn, wie die Regionen zwischen den USA und Mexiko, Israel und Palästina sowie die Außengrenzen der „Festung Europa“.

Düsteres Stockbett

Bonvicinis Kunst bezieht sich einerseits auf gesellschaftliche Probleme, andererseits zeigt sie auch blinde Flecken des Kunstbetriebs auf. Im Belvedere 21 sei ihr über die Jahre aufgefallen, dass männliche Kollegen gerne das Zentrum der Halle besetzten, um von dort in die Höhe zu bauen. Genau dieser Bereich bleibt nun aber verschlossen; lediglich von der Balustrade des ersten Stocks aus kann das Publikum hinunter- beziehungsweise hineinblicken und nichts sehen außer dem Staub, der sich zwischenzeitlich angesammelt hat. Das Putzpersonal kann während der Schau nur die Arbeiten reinigen, die Bonvicini zusätzlich zeigt.

Zum Stacheldraht passt die düstere Skulptur „Double Trouble“, die wie ein Stockbett aussieht. Anstelle von Matratzen liegen jedoch Spiegel in dem schwarzen Stahlgerüst. Solche Schlafstätten stehen für die primitive Massenunterbringung vieler Menschen, etwa im Flüchtlingslager. Ein durch Bonvicinis Spiegelbett gezogener schwarzer Gürtel gemahnt an Gewalt wie die Fixierung agitierter Patienten. Der „doppelte Ärger“ im Titel bezieht sich auf die Situation von Menschen, die unfreiwillig ihre Heimat verlassen müssen: Sie sind nicht mehr dort, wo sie herstammen, aber auch noch nicht richtig da, wo sie gelandet sind.

Ausstellungshinweis

„Monica Bonvicini. I Can’t Hide My Anger“ ist bis 27. Oktober im Belvedere 21 zu sehen, mittwochs bis sonntags 11.00 bis 18.00 Uhr, freitags 11.00 bis 21.00 Uhr.

Hitzeruinen und Eisschollen

Ein Faktor, der in der Zukunft noch mehr Migration von Süd nach Nord auslösen könnte, ist der Klimawandel. „Was passiert, wenn in 20 Jahren die Menschen nicht mehr in bestimmten Teilen Afrikas leben können?“, fragt sich Bonvicini, die der globalen Erwärmung und ihren Folgen eine Reihe von Bildern gewidmet hat. Dafür griff die Künstlerin nach langer Pause wieder zum Pinsel.

Exponate der Ausstellung „I cannot hide my anger“ von Monica Bonvicini im Belvedere 21
Monica Bonvicini und Bildrecht Wien; Foto: Jens Ziehe
Ausgrenzen und Einsperren: Ein Stockbett mit Gürtel zum Fixieren

Als Vorlage für ihre neue Serie dienten Zeitungsfotos von Katastrophenszenarios, die mit der Klimaerwärmung zu tun haben. Das Bild in der Schau zeigt ein Haus, das während der trockenheitsbedingten Waldbrände 2016 in Kalifornien zerstört wurde.

Ein Eisberg mitten in Oslo

Ähnliche Bilder installierte die Künstlerin letztes Jahr auch als Mini-Billboard am Wiener Graben. Zu diesem temporären Klima-Memorial kam es durch die Einladung von Kunst im öffentlichen Raum Wien (KÖR). Allerdings liefen die meisten Passanten einfach vorbei und bemerkten das Katastrophensujet über ihren Köpfen gar nicht. Viel Aufmerksamkeit zog und zieht hingegen das Projekt „She Lies“ auf sich, das Bonvicini 2007 vor dem Opernhaus in Oslo realisieren konnte.

Auf einer Plattform im Wasser schwimmt dort ein künstlicher Eisbergs, konstruiert aus Glas und Stahl. Inspiriert wurde Bonvicini durch das 1823 entstandene Gemälde „Das Eismeer“ des Romantikers Caspar David Friedrich. Dieses Bild wurde auch „Gescheiterte Hoffnung“ genannt, was rund 100 Jahre vor erfolglosen Klimagipfeln prophetisch klingt.

Der mit dem Glimmstengel

Einen echten Kerl, dem weder Hitze noch Kälte etwas anhaben können, hat Bonvicini auf ihrem Aluminiumwall abgebildet: Der „Marlboro Man“ reitet von globalen Krisen unbehelligt weiter, selbst das Rauchverbot tut seiner Unabhängigkeit keinen Abbruch.

Die Künstlerin hat diese Symbolfigur amerikanischer Freiheit schon früher oft verwendet, zum Beispiel besitzt das Museum of Modern Art in New York eine Collage dieses Motivs von Bonvicini aus dem Jahr 1995. In Zeiten von Donald Trump und anderen Macho-Politikern findet sie, dass diese Figur reif für eine Revision ist. Finden wir den Kuhtreiber mit dem Glimmstengel heute immer noch so cool?