EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani mit EU-Ratspräsident Donald Tusk
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Gespräche über Nacht

Heftiges Tauziehen um EU-Topjobs

In den Verhandlungen über die Besetzung der höchsten EU-Posten zeichnet sich nach stundenlangen Verhandlungen über Nacht offenbar eine Lösung ab. EU-Ratspräsident Donald Tusk führte Montagfrüh eine weitere Runde von Einzelgesprächen. Ihm könnte die bulgarische Konservative Kristalina Georgiewa nachfolgen, heißt es unter Berufung auf Diplomaten.

Für die bilateralen Gespräche war der Gipfel in der Nacht unterbrochen worden. Zwischenzeitlich wurde auch das Frühstück für „weitere Konsultationen“ unterbrochen, nun geht der Gipfel weiter. Bis Mittag soll Zeit für eine Einigung sein, so das Magazin „Politico“. Ob ein Durchbruch gelingt, sei völlig offen, sagte der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte noch in der Früh in Brüssel. EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger warnte vor einem Scheitern: Es wäre ein „falsches Zeichen“ für die EU, wenn keine Einigung gelinge.

Im Rahmen des EU-Sondergipfels hatte Tusk im Beichtstuhlverfahren über Nacht Vieraugengespräche mit den 28 EU-Staats- und -Regierungschefs geführt. Anschließend sprach er mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron. Später stießen die Verhandler der Sozialdemokraten und der Liberalen, der spanische Regierungschef Pedro Sanchez und der niederländische Premier Mark Rutte, dazu.

In den bilateralen Gesprächen mit den EU-Staats- und -Regierungschefs hatte Tusk auch neue Namen als Kandidaten für den EU-Kommissionspräsidenten getestet. Nach Informationen von Reuters aus mehreren EU-Delegationen fragt er nach der Akzeptanz von Georgiewa, bisher Geschäftsführerin der Weltbank-Institute IBRD und IDA, des irischen Ministerpräsidenten Leo Varadkar und des französischen EU-Brexit-Chefunterhändlers Michel Barnier. Die Reaktionen seien eher zurückhaltend gewesen, heißt es. Barnier und der belgische Premier Charles Michel sind mittlerweile als Außenbeauftragte im Gespräch.

Widerstand gegen Einigung auf Timmermanns

In der Europäischen Volkspartei (EVP) hatte sich großer Widerstand gegen die Berufung des Sozialdemokraten Frans Timmermans als neuer Kommissionschef und Nachfolger von Jean-Claude Juncker formiert. Zwischenzeitlich soll sich allerdings wieder eine Mehrheit für Timmermanns abzeichnen, EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber ist als Präsident des EU-Parlaments im Gespräch.

Tschechiens Premier Andrej Babis, der Slowakische Premier Peter Pellegrini und Maltas Premier Joseph Muscat
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Tschechiens Premier Andrej Babis, der slowakische Premier Peter Pellegrini und Maltas Premier Joseph Muscat (v. l. n. r.)

Widerstand gegen Merkel-Plan

Zu Beginn des Sondergipfels hatte Tusk ein mögliches Personalpaket vorgelegt: ein Sozialdemokrat als Kommissionschef, EVP-Politiker für die Ämter des Parlamentspräsidenten und der EU-Außenbeauftragten und ein Liberaler als neuer Ratspräsident. Die Kompromisslösung stieß umgehend auf Widerstand. In der französischen Delegation war von einer nicht vorhergesehenen Krise zwischen Merkel und der EVP die Rede.

Deutsche Kanzlerin Angela Merkel
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Merkels Osaka-Deal traf in Brüssel auf Widerstand

Merkel, Macron, Sanchez und Rutte hatten sich am Rande des G20-Gipfels im japanischen Osaka auf Timmermans als nächsten Kommissionschef verständigt. Der Grund war, dass Weber auf dem letzten EU-Gipfel keine Unterstützung bekommen hatte. „Die Vereinbarung ist tot“, hieß es am Sonntagabend aus EVP-Kreisen. Die EVP habe erklärt, „dass sie den Deal von Osaka nicht akzeptieren wird“.

Laut „Politico“ soll die Lösung mit Timmermans vom früheren Parlamentspräsidenten Martin Schulz eingefädelt worden sein. Schulz soll seine Idee nach dem ergebnislosen Gipfel Mitte Juni zuerst dem portugiesischen Premier Antonio Costa unterbreitet haben. Die Idee: Die Sozialisten, zu denen auch Schulz gehört, bekommen den Job des Kommissionspräsidenten, während Weber eine schmerzhafte Niederlage erspart bleibt.

Orban: „Historischer Fehler“ und „Demütigung“

Vor Gipfelbeginn hatte sich auch Widerstand der Osteuropäer gegen Timmermans aufgebaut. Polen, Tschechien und Ungarn äußerten sich kritisch zum Niederländer. Von Ungarn kam entschiedene Ablehnung. Das wäre „ein sehr schwerer, sogar historischer Fehler“, schrieb die ungarische Europaministerin Judit Varga an EVP-Präsident Joseph Daul. Damit würde die EVP als stärkste Kraft im Europaparlament ihren Anspruch auf die Führung an andere Parteien abgeben.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sitzt alleine am Besprechungstisch
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Der Gipfel wurde in der Nacht auf Montag für bilaterale Gespräche unterbrochen

Ungarns rechtspopulistischer Ministerpräsident Viktor Orban schrieb von einer „Demütigung“, wenn die wichtigste Position „an unseren größten Rivalen geht“. „Das wird zu unserer Selbstzerstörung führen“, schrieb Orban zudem. Er sprach von einem „sehr erheblichen oder sogar historischen Fehler“.

Auch der tschechische Ministerpräsident Andrej Babis stellte sich gegen Timmermans. „Diese Person ist nicht die richtige, um Europa zu einen“, so Babis. Die vier Visegrad-Staaten Polen, Slowakei, Ungarn und Tschechien hätten in der Vergangenheit das Gefühl gehabt, Timmermans sei dieser Region nicht besonders positiv gegenübergestanden, sagte Babis. Neben den Visegrad-Staaten sollen laut EU-Diplomaten auch Rumänien, Lettland, Irland und Kroatien Vorbehalte gegen Timmermans haben.

EU-Parlament gegen weitere Verschiebung

Für das EU-Parlament kommt eine nochmalige Verschiebung der Wahl seines Präsidenten aus Rücksicht auf das zähe Ringen der Staats- und Regierungschefs offenbar nicht infrage. Das Votum werde am 3. Juli stattfinden, so der scheidende Chef des Abgeordnetenhauses, Antonio Tajani, am Rande des Sondergipfels. Das Parlament hatte die für den 2. Juli angesetzte Wahl seiner neuen Führung vor einigen Tagen um einen Tag verschoben – in Erwartung eines langen Verhandlungsmarathons des Rats.

Die Wahl des Parlamentspräsidenten geschehe „unabhängig vom Rat und den Mitgliedsstaaten“, so Tajani nach einem Treffen der Staats- und Regierungschefs vor dem eigentlichen Beginn des Gipfels. Schon der Auftakt des Gipfels hatte sich um mehr als drei Stunden verzögert, weil einzelne Staats- und Regierungschefs in Vorgesprächen versuchten, ihre Differenzen auszuräumen. Bereits davor war der Beginn mehrfach verschoben worden. Auch eine mögliche Vertagung auf den 15. Juli war zwischenzeitlich im Gespräch.