Deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen
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Ringen um EU-Spitze

Positive Signale für von der Leyen

Mit fünfstündiger Verspätung hat der zweite Gipfeltag zu den EU-Topjobs in Brüssel begonnen. Zu groß waren die Differenzen, die Ratspräsident Donald Tusk mit bilateralen Gesprächen davor noch ausräumen wollte. Im Zuge dessen legte er einen neuen Personalplan vor: Darin schlägt Tusk die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen als EU-Kommissionschefin vor. Für sie gibt es erste positive Signale.

Am frühen Abend, als der Gipfel eine kurze Pause einlegte, zeigte sich EU-Ratspräsident Tusk zuversichtlich: „Wir kommen“ der Sache „immer näher“.

Der neue Personalplan von Tusk sickerte über Diplomaten durch, den er mit den Staats- und Regierungschefs auszuloten versuchte und beim Gipfel schließlich vorlegen wollte. Nach Angaben von Diplomaten könnte die französische Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, an die Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) rücken.

Weber nicht mehr im Rennen

Nicht mehr im Rennen um die Kommissionsspitze ist der als Spitzenkandidat der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) zur EU-Wahl angetretene deutsche CSU-Politiker Manfred Weber. Sein Sprecher bestätigte am Abend, dass Weber sein Mandat als Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei zurückgegeben habe. „Hier hat meine Reise im letzten September als Spitzenkandidat begonnen, hier endet sie“, sagt Weber laut seinem Sprecher dazu in einer EVP-Fraktionssitzung.

Charles Michel als Tusk-Nachfolger?

Das Amt des EU-Ratspräsidenten könnte an den belgischen Premierminister Charles Michel von den Liberalen gehen. Außenbeauftragter soll der spanische Sozialist und Außenminister Josep Borrell werden, hieß es aus Ratskreisen beim Gipfel.

Belgischer Premierminister Charles Michel
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Der Belgier Michel könnte Ratspräsident werden

Der frühere bulgarische Ministerpräsident Sergej Stanischew solle sich danach mit dem EVP-Fraktionschef Weber die fünfjährige Präsidentschaft im Europäischen Parlament teilen. Auch genannt wurde die spanische Sozialistin Iratxe Garcia Perez. Timmermans und EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager (Liberale) könnten nach diesem Vorschlag EU-Kommissionsvizes werden.

Auch Ungarn und Italien für von der Leyen

Der Tusk-Vorschlag habe offenbar auch die Unterstützung von Frankreich und Spanien, hieß es. Ob es von einer ausreichenden Mehrheit der 28 Staaten mitgetragen wird, ist aber noch offen. Auch die Visegrad-Länder Ungarn, Polen, Slowakei und Tschechien sollen einem Sprecher des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban zufolge von der Leyen unterstützen.

Auch Italien signalisierte offenbar Zustimmung. Ein EU-Diplomat sagte, aus Sicht von Regierungschef Giuseppe Conte spreche für von der Leyen unter anderem ihre Erfahrung als frühere Familienministerin – offenbar mit Blick auf in Italien hochgehaltene Familienwerte.

Auch Widerstand gegen Tusk-Paket

Im Europaparlament baut sich indes Widerstand gegen das diskutierte Personalpaket auf: „Sehr klares Nein, Mehrheit nicht bereit, den derzeitigen Deal über EU-Topjobs zu unterstützen“, twitterte die stellvertretende Vorsitzende der Sozialdemokraten im europäischen Parlament, Tanja Fajon. Der frühere EU-Parlamentspräsident und Sozialdemokrat Martin Schulz sieht in von der Leyen „die schwächste (deutsche, Anm.) Ministerin“. Kritik kam auch vom Leiter der SPÖ-EU-Delegation Andreas Schieder. Von der Leyen „weder Spitzenkandidatin noch überhaupt Kandidatin“ gewesen und daher und somit „ein schlechter Vorschlag“.

Auch die Grünen im EU-Parlament kritisieren die Debatte. „Dieses Verfahren ist grotesk“, sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Terry Reintke der Nachrichtenagentur Reuters. Anstatt die europäischen Wähler und Wählerinnen ernstzunehmen, verhandelten die Regierungschefs „in Hinterzimmern“ und beschädigten die europäische Demokratie. „Das Parlament wird dieses Paket auf keinen Fall blind absegnen“, kündigte er an.

Innerhalb der sozialdemokratischen Parteienfamilie (S&D) sei die Meinung „relativ einheitlich“ gewesen, so der SPÖ-Politiker im Anschluss an ein Treffen der Delegationsleiter. Der Vorschlag sei eine „totale Abkehr vom Spitzenkandidatensystem“, das von mehreren Europaparlamentsfraktionen unterstützt wurde, und habe „gar nichts mit den EU-Wahlen“ zu tun.

Die Idee der Spitzenkandidaten sei gewesen, dass die Europawahl einen wesentlichen Einfluss auf die Europäische Politik nach den Wahlen haben solle, einerseits auf das EU-Parlament, die Zusammensetzung der EU-Kommission und des EU-Kommissionspräsidenten. „Es kann nicht sein, dass das Europaparlament und der Wählerwille einfach ignoriert wird“, sagte der SPÖ-Europaabgeordnete.

Eine zweite, politische Dimension sei, dass damit den vier Visegrad-Staaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn, die in den letzten Tagen einen „fix und fertigen Kompromiss“ zerstört hätten, nachgegeben werde. Dieser hätte den niederländischen Sozialdemokraten Frans Timmermans als Kommissionspräsident und den EVP-Spitzenkandidaten Manfred Weber als Parlamentspräsident vorgesehen.

Die Osteuropäer gehörten wegen Timmermans kritischer Haltung gegenüber Ungarn und Polen in Justizfragen zu den erbittertsten Gegnern des derzeitigen Kommissionsvizes. Es sei „keine gute Idee“, jenen Mächten, die die „europäischen Grundrechte schrittweise zerstören“, nachzugeben, sagte Schieder.

„Wir wissen nicht, für welche Politik sie steht“, führte der Delegationsleiter als einen weiteren Vorbehalt gegenüber Von der Leyen an. Die Spitzenkandidaten habe man hingegen während des Europawahlkampfes kennengelernt. Sie sei auch keine EU-Kommissarin gewesen.

Jetzt gelte es dem Rat zu signalisieren, dass dieser Vorschlag „gröbere Widerstände“ im europäischen Parlament auslösen werde, kündigte Schieder an. Führende SPD-Politiker hatten sich bereits ablehnend gegenüber dem von EU-Ratspräsident Donald Tusk vorgeschlagenen Personalpaket geäußert. Tusk hatte neben Von der Leyen den liberalen belgischen Premier Charles Michel als EU-Ratspräsident ins Gespräch gebracht. Außenbeauftragter soll der spanische Sozialist und Außenminister Josep Borrell werden, hieß es am Dienstag aus Ratskreisen beim Gipfel in Brüssel.

Merkel-Macron-Plan abgelehnt

Tusks Plan ist ein Ausweg aus einer Sackgasse – denn zunächst spießte es sich an einer Personalie: So stellen sich wesentliche Teile der Europäische Volkspartei (EVP) und die Visegrad-Länder gegen eine Bestellung des Sozialdemokraten Frans Timmermans zum Präsidenten der EU-Kommission.

Der Plan, Timmermans das Amt des Kommissionschefs zu geben, war unter anderen von der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, also einer Konservativen, und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron ausgearbeitet worden. Auch am Mittwoch wurden wie bereits zuletzt deutliche Stimmen gegen den Niederländer geäußert: „Timmermans ist ein No-Go“, sagte etwa der tschechische Regierungschef Andrej Babis vor dem Sondergipfel: „Das sollte auch Deutschland zur Kenntnis nehmen.“

Der tschechische Regierungschef Andrej Babis
APA/AFP/Olivier Hoslet
Babis: „Timmermans ist ein No-Go“

„130 Mio. Einwohner können nicht übergangen werden“

Die Visegrad-Staaten hätten ihr Veto immer wieder deutlich gemacht, sagte Babis. „Ich verstehe nicht, warum die Premiers von Frankreich, Spanien, den Niederlanden und Deutschland 21 Stunden lang nicht verstanden haben, dass die Visegrad-Gruppe nur erreichen will, dass dieser Mann nicht Vorsitzender der EU-Kommission wird.“ Zusammen mit Italien, das Timmermans ebenfalls nicht wolle, hätten die Staaten 130 Millionen Einwohner und könnten nicht übergangen werden.

Orban kritisiert „Soros-Mann“ Timmermans

Auch der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban übte einmal mehr scharfe Kritik an Timmermans. Er sei ein „Soros-Mann“ und höre nicht auf Meinungen, die nicht seiner eigenen Ideologie entsprächen. Für Orban reiche die Unterstützung Timmermans’ für den ungarischstämmigen US-Börsenmilliardär George Soros aus, ihn nicht zum Kommissionspräsidenten zu wählen.

Neuer Kommissionspräsident braucht doppelte Mehrheit

Wer Nachfolger des amtierenden Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker werden will, braucht eine doppelte Mehrheit, um den Job zu bekommen: Erst müssen ihn die Staats- und Regierungschefs vorschlagen, dann muss das Europaparlament mehrheitlich zustimmen.

Für den Vorschlag der Staats- und Regierungschefs ist eine „verstärkte qualifizierte Mehrheit“ notwendig. Das sind mindestens 72 Prozent der 28 Mitgliedsstaaten, die gleichzeitig für wenigstens 65 Prozent der EU-Bevölkerung stehen. Mindestens müssen sich damit 21 Mitgliedsstaaten mit entsprechender Bevölkerung hinter einen Kandidaten stellen. Für eine Sperrminorität wären umgekehrt wenigstens acht EU-Länder nötig und mehr als 35 Prozent Bevölkerungsanteil.

Das EU-Parlament muss den vorgeschlagenen Kandidaten dann „mit der Mehrheit seiner Mitglieder“ wählen. Das sind bei 751 Abgeordneten 376. Wird der Kandidat oder die Kandidatin abgelehnt, müssen die Staats- und Regierungschefs dem Parlament „innerhalb eines Monats“ einen neuen Kandidaten vorschlagen. Danach stimmen die Abgeordneten erneut ab. Auch hier ist eine Mehrheit der Mandate im Parlament nötig.

Parlament wird Präsidenten wählen

Das EU-Parlament wird am Mittwoch wie geplant seinen neuen Präsidenten wählen. Die Abstimmung werde ungeachtet der Entscheidung auf dem EU-Gipfel über den EU-Kommissionspräsidenten stattfinden, sagte ein Parlamentssprecher in Straßburg. Die Bewerbungen für die Wahl müssen nach jetzigem Stand bis Dienstag um 22.00 Uhr eintreffen.