Ursula von der Leyen
AP/Markus Schreiber
EU-Gipfel

Von der Leyen als Kommissionschefin nominiert

Nach dreitägigen harten Verhandlungen haben sich die EU-Staats- und -Regierungschefs auf ein Paket für die Neubesetzung europäischer Spitzenposten geeinigt. Wie EU-Ratspräsident Donald Tusk am Dienstag beim EU-Gipfel in Brüssel mitteilte, wurde die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) als Nachfolgerin von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vorgeschlagen.

Darüber hinaus nominierten die Staats- und Regierungschefs den belgischen Regierungschef Charles Michel zum künftigen EU-Ratspräsidenten. Als EU-Außenbeauftragter wurde der spanische Außenminister Josep Borrell nominiert. Die Französin Christine Lagarde wurde zudem als künftige Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) nominiert. Sie ist bisher Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF).

Von der Leyen wäre die erste Frau an der Spitze der EU-Kommission – wenn auch das Europaparlament zustimme, sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk nach Gipfelende. Zudem habe von der Leyen angedeutet, die Spitzenkandidaten von Sozialdemokraten und Liberalen, Frans Timmermans und Margrethe Vestager, zu Vizepräsidenten der Kommission zu machen.

EU-Parlament wählt am Mittwoch Präsidenten

Unklarheit herrschte nach der Entscheidung über das Personalpaket für die künftigen EU-Spitzenpositionen über den neuen Präsidenten des Europaparlaments. Die Wahl steht bereits am Mittwoch um 9.00 Uhr im EU-Parlament auf der Agenda, wobei zunächst auch der bisherige Spitzenkandidat und Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP), der deutsche CSU-Politiker Manfred Weber, als möglicher Kandidat gehandelt wurde.

Weber habe am Dienstag bei einer EVP-Fraktionssitzung allerdings nicht nur sein Mandat als Spitzenkandidat zurückgelegt und damit den Weg für von der Leyen freigemacht – laut einem Sprecher werde er sich auch nicht um das Amt für den EU-Parlamentspräsidenten bewerben.

Von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin nominiert

Die EU-Staaten haben die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen offiziell als Präsidentin der Europäischen Kommission nominiert.

Vier Bewerber

Insgesamt vier Kandidaten bewerben sich am Mittwoch um das Amt des EU-Parlamentspräsidenten. Die sozialdemokratische Fraktion stellte am Dienstagabend den Italiener David-Maria Sassoli von der Mitte-Links-Partei Partito Democratico auf. Die europäischen Grünen hatten bereits am Montag die deutsche Europaabgeordnete Ska Keller vorgeschlagen.

Die Linksfraktion tritt mit der spanischen Abgeordneten Sira Rego von der Partei Izquierda Unida an. Auch Jan Zahradil aus der Tschechischen Republik, Vorsitzender der rechten EKR, bewirbt sich. Die christdemokratische Europäische Volkspartei ernannte keinen Kandidaten. Die Wahl soll am Mittwoch um 09.00 Uhr beginnen.

Tusk für Wechsel nach Hälfte von Legislatur

Nach einem Vorschlag der EU-Staats- und Regierungschefs sollen sich Sozialdemokraten und Konservative zur Mitte der Legislaturperiode im Amt des Parlamentspräsidenten abwechseln. Die ersten zweieinhalb Jahre sollten an die Sozialdemokraten gehen, die zweite an die EVP, sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk nach einem Sondergipfel in Brüssel.

In der zweiten Hälfte der Legislaturperiode könnte dann EVP-Fraktionschef Manfred Weber diesen Posten übernehmen. Weber gab am Dienstagabend offiziell sein Mandat als Spitzenkandidat der EVP zurück und verzichtete damit auf das Amt des Kommissionschefs.

Laut Geschäftsordnung benötigt ein Kandidat in den ersten drei Durchgängen die absolute Mehrheit der gültigen Stimmen. Erreicht das kein Bewerber, treten im vierten Durchgang die beiden bestplatzierten Kandidaten zur Stichwahl an. Zwischen den Wahlgängen können sich Kandidaten zurückziehen, um die Chancen eines anderen Bewerbers zu erhöhen – und um bestimmte Forderungen ihrer Fraktion durchzusetzen. Am Mittwoch ist auch die Wahl der 14 Vizepräsidenten des Parlaments geplant.

Merkel: Bei Abstimmung enthalten

Nach den Worten der deutschen Kanzlerin Angela Merkel müssen die europäischen Staats- und Regierungschefs unterdessen für ihr nun beschlossenes Spitzenpersonaltableau im Europaparlament noch werben. Noch mindestens drei Parteienfamilien müssen zusammenkommen, um die Kandidaten zu bestätigen, wie Merkel nach dem EU-Gipfel sagte.

Veronika Fillitz (ORF) zu von der Leyen als möglicher EU-Kommissionspräsidentin

ORF-Korrespondentin Veronika Fillitz berichtet aus Brüssel, wie es zur Entscheidung gekommen ist, dass die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen EU-Kommissionspräsidentin werden soll.

Zugleich zeigte sich Merkel erfreut, dass mit von der Leyen erstmals eine Frau die Chance habe, an die Spitze der Kommission zu rücken. Sie räumte ein, dass der Koalitionspartner SPD der Personalie von der Leyen nicht zugestimmt habe. Daher habe sie sich bei der Abstimmung im Rat enthalten müssen. Alle anderen 27 Ratsmitglieder hätten zugestimmt. Sie werde aber mit den Sozialdemokraten weitere Gespräche führen.

Merkel räumte zudem ein, dass das Prinzip der Spitzenkandidaten dieses Mal nicht funktioniert habe. Daher werde man nun gemeinsam mit dem Europaparlament überlegen müssen, welche Regeln dafür in Zukunft nötig seien, um eine solche „missliche Situation“ zu vermeiden. Sie wolle jedenfalls von diesem Prinzip nicht abrücken.

Macron sieht Personalpaket „sehr positiv“

Zugleich kritisierte Merkel mehrmals an die Adresse des französischen Präsidenten Emmanuel Macron gerichtet, es könne nicht angehen, von vornherein einem Kandidaten, konkret EVP-Spitzenkandidaten Weber, die Fähigkeiten für das Amt des Kommissionspräsidenten abzusprechen.

Macron bezeichnete das beim EU-Sondergipfel beschlossene Personalpaket in einer ersten Reaktion indes als „sehr positiv für Europa“. Der Kompromiss sei das Resultat der tiefen deutsch-französischen Verbundenheit. Jedenfalls sei Europa nicht gespalten, wie Macron nach dem Gipfel in Brüssel sagte.

Bierlein „zuversichtlich“

Auch Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein äußerte sich am Dienstagabend positiv über den Personalpaketvorschlag. Sie sprach nach Ende des dreitägigen Marathongipfels von einem „sehr, sehr guten Ergebnis“ und strich vor allem heraus, dass die Kommission erstmals von einer Frau geleitet werden soll.

Optimistisch äußerte sich die Kanzlerin, dass die Nominierung der deutschen CDU-Verteidigungsministerin trotz angekündigten Widerstands der europäischen Sozialdemokraten auch das EU-Parlament passieren wird. Sie sei „zuversichtlich“.

Kritik an von der Leyen aus EU-Parlament

Scharfe Kritik am Personalpaket kam zuvor aus dem EU-Parlament von den Sozialdemokraten und Grünen. „Sehr klares Nein, Mehrheit nicht bereit, den derzeitigen Deal über EU-Topjobs zu unterstützen“, twitterte etwa die stellvertretende Vorsitzende der Sozialdemokraten im europäischen Parlament, Tanja Fajon.

Der frühere EU-Parlamentspräsident und Sozialdemokrat Martin Schulz sieht in von der Leyen „die schwächste (deutsche, Anm.) Ministerin“. Kritik kam auch vom Leiter der SPÖ-EU-Delegation Andreas Schieder. Von der Leyen sei „weder Spitzenkandidatin noch überhaupt Kandidatin“ gewesen und somit „ein schlechter Vorschlag“.

„Europa verdient etwas Besseres“

„Dieses Verfahren ist grotesk“, sagte der stellvertretende grüne Fraktionsvorsitzende Terry Reintke der Nachrichtenagentur Reuters. Anstatt die europäischen Wähler und Wählerinnen ernstzunehmen, verhandelten die Regierungschefs „in Hinterzimmern“ und beschädigten die europäische Demokratie. Reintke zufolge werde das Parlament „dieses Paket auf keinen Fall blind absegnen“.

Geht es nach dem Grünen-Europaparlamentarier Sven Giegold, verdient Europa „etwas Besseres“. Demnach sei von der Leyen nicht nur keine Spitzenkandidatin – Giegold erinnerte via Twitter auch daran, dass gegen von der Leyen in Deutschland „noch ein Untersuchungsausschuss wegen nicht ordnungsgemäßer Vergabe von Beraterverträgen“ laufe.

Michel hofft auf neue Einigkeit in der EU

Nach dem heftigen Streit über die neue Führung der Europäischen Union will der designierte Ratschef Michel indes die Risse in der Gemeinschaft kitten. Die Mitgliedsstaaten müssten zusammenarbeiten, um das europäische Projekt zu sichern, sagte Michel nach seiner Nominierung zum Ratspräsidenten. „Wir wissen, dass immense Herausforderungen vor uns liegen“, fügte er hinzu. Nötig seien Dialog und gegenseitiger Respekt, auch für die Vielfalt in der EU.