In Brüssel geboren

Von der Leyen im Porträt

Für die bisherige deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen wird es auch eine Heimkehr sein, wenn sie den Chefposten in der EU übernimmt: Die heute 60-Jährige kam in Brüssel zur Welt und spricht – anders als viele ihrer Ministerkollegen – ebenso fließend Englisch wie Französisch.

Und noch etwas dürfte der CDU-Politikerin in ihrem neuen Job bekannt vorkommen: Wie bereits im Berliner Bendlerblock (Sitz des deutschen Verteidigungsministeriums, Anm.) wird sie auch im Berlaymont, dem Sitz der EU-Kommission in Brüssel, die erste Frau sein, die den Spitzenposten übernimmt – sofern das EU-Parlament zustimmt.

Auf eine Schonfrist kann sie jedoch nicht hoffen, stattdessen dürften von Anfang an ihre Fähigkeiten als Krisenmanagerin gefragt sein. Es gilt, einen ungeregelten Brexit zu verhindern, das Projekt Europa vor Populismus und Nationalismus zu retten und die Europäische Union inmitten erratischer Attacken von US-Präsident Donald Trump und eines erstarkenden Chinas ein Stück weit eigenständiger zu machen.

Immer wieder scharf kritisiert

Bereits das Amt der Verteidigungsministerin hatte von der Leyen in stürmischen Zeiten übernommen. Nur wenige Monate nach ihrem Amtsantritt im Dezember 2013 annektierte Russland die ukrainische Halbinsel Krim, was ein Vierteljahrhundert nach dem Ende des Kalten Krieges eine neue Eiszeit in den Beziehungen zwischen der NATO und der Führung in Moskau auslöste.

Hastig musste von der Leyen bei der nach jahrzehntelangen Sparrunden materiell und personell ausgezehrten Bundeswehr das Ruder herumreißen, um die Truppe mit vielen Milliarden wieder für die Landesverteidigung fit zu machen. Diese Aufgabe ist längst nicht erledigt, bis zuletzt musste die Ministerin sich immer wieder Kritik gefallen lassen, wenn Kampfjets nicht flogen, U-Boote nicht tauchten und Panzer nicht rollten.

Distanz zur Truppe

Zur Truppe pflegte die Ministerin lange Zeit ein eher distanziertes Verhältnis. Viele Soldaten nahmen ihr übel, dass sie der Bundeswehr 2017 in einem Interview ein „Haltungsproblem“ und „Führungsschwäche auf verschiedenen Ebenen“ vorwarf.

Auch beim konservativen Flügel der Union stieß von der Leyen mit ihren Positionen nicht immer auf Gegenliebe. Mit der Forderung nach einer verbindlichen Frauenquote, der Einführung des Elterngeldes und einem massiven Kindergartenausbau stellte sie tradierte Rollenbilder infrage, was sie besonders in den Augen vieler CDU-Politiker schlicht als Provokation erscheinen ließ.

Dass die Vertraute von Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel in der CDU bis heute nicht über eine eigene Machtbasis verfügt, gilt als eine ihrer Schwächen. Manche prophezeiten ihr ein baldiges Karriereende, als Merkel 2018 die Saarländerin Annegret Kramp-Karrenbauer und nicht von der Leyen zur CDU-Generalsekretärin machte.

Erst Ärztin, dann Politikerin

Als Tochter des niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht war von der Leyens Leben schon früh von der Politik bestimmt. Von 1977 bis 1980 studierte sie an der renommierten London School of Economics, aus Furcht vor dem Terror der RAF allerdings unter dem Pseudonym „Rose Ladson“. Ihr Medizinstudium schloss sie 1987 ab, sie bekam sieben Kinder und lebte einige Jahre in Kalifornien, wo ihr Mann Heiko an der Stanford-Universität unterrichtete. In die Politik kam von der Leyen, die als extrem diszipliniert und als harte Arbeiterin gilt, erst spät, mit 42 Jahren. Sie wurde 2005 zunächst Familien-, 2009 dann Arbeitsministerin.

2013 schließlich übernahm sie als erste Frau die Führung des Verteidigungsministeriums, ein Posten, der traditionell als Schleudersitz gilt. Von der Leyen feuerte etliche altgediente Spitzenbeamte und umgab sich mit klugen Beratern.

In einer Zeit, in der die EU über praktisch alle großen Themen wie Flüchtlinge und Finanzpolitik zutiefst zerstritten war, schob sie gemeinsam mit ihren Kollegen in Frankreich, Spanien und Italien eine vertiefte militärische Zusammenarbeit (PESCO) in der EU an. Ebenfalls mit Frankreich brachte sie auch Entwicklung und Bau eines gemeinsamen deutsch-französischen Kampfjets und eines Kampfpanzers auf den Weg, einige der größten europäischen Rüstungsprojekte überhaupt.