Zerstörtes Gebäude und Polizeiauto davor
AP/Hazem Ahmed
Bomben auf Flüchtlingslager

USA blockieren UNO-Erklärung zu Libyen

Über 50 Tote und etwa 130 weitere Verletzte – das war die blutige Bilanz nach dem Luftangriff auf ein Lager mit afrikanischen Flüchtlingen nahe der libyschen Hauptstadt Tripolis in der Nacht auf Mittwoch. Doch konnte sich der UNO-Sicherheitsrat nicht auf eine Verurteilung des Vorfalls einigen. Bei einer Dringlichkeitssitzung verweigerten die USA am Mittwoch (Ortszeit) in New York ihre Zustimmung.

US-Diplomaten begründeten die Blockade der von Großbritannien entworfenen gemeinsamen Erklärung damit, dass sie für eine Zustimmung kein grünes Licht der Regierung von Präsident Donald Trump erhalten hätten. Das Papier enthielt den Angaben zufolge einen Appell an die libyschen Konfliktparteien, ihre Kämpfe einzustellen.

Zudem seien in dem Entwurf neue politische Gespräche in dem nordafrikanischen Krisenstaat verlangt worden. Ein Schuldiger für den Angriff auf das Flüchtlingslager sei hingegen nicht genannt worden. Das zweistündige nicht öffentliche Treffen des Sicherheitsrats war von Peru einberufen worden, das derzeit den Vorsitz in dem Gremium innehat.

Mögliches Kriegsverbrechen

Die international anerkannte Regierung in Tripolis machte die Truppen des abtrünnigen Generals Chalifa Haftar für den Angriff auf das Lager in Tadschura nahe Tripolis verantwortlich. Diese weisen die Vorwürfe zurück. Der UNO-Sondergesandte für Libyen, Ghassan Salame, forderte eine unabhängige Untersuchung und sagte, der Luftangriff könnte ein Kriegsverbrechen darstellen.

Soldaten vor einem zerstörten Gebäude
APA/AFP/Mahmud Turkia
Das zerstörte Lager in Tadschura ist nach Angaben von UNO und NGOs ein Internierungslager

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres forderte eine unabhängige Untersuchung. Er sei „entrüstet“ und verurteile die Tat auf das Schärfste, teilte Guterres’ Sprecher Stephane Dujarric in New York mit. Er betonte, dass die UNO den Konfliktparteien die exakten Koordinaten des Lagers übermittelt habe. Die Schuldigen müssten ausfindig gemacht werden.

Guterres forderte alle Konfliktparteien auf, sich an geltendes humanitäres Recht zu halten. Zivilisten müssten mit allen Mitteln geschützt werden. Die Vereinten Nationen äußerten sich aber nicht dazu, wen sie für verantwortlich hielten. Auch Guterres’ Sprecher schloss auf Nachfrage nicht aus, dass es sich um ein Kriegsverbrechen handeln könnte. Laut UNO-Angaben hätten zudem Wachleute auf Migranten geschossen, die sich in Sicherheit bringen wollten.

Scharfe UNO-Kritik an Politik der EU

Der UNO-Sondergesandte für das Mittelmeer warf der EU vor, die Augen vor der Notlage der Migranten in Libyen zu verschließen. Im Mittelmeer aufgegriffene Flüchtlinge dürften nicht mehr in das Bürgerkriegsland gebracht werden, forderte Vincent Cochetel.

„In den europäischen Ländern herrscht eine gewisse Blindheit gegenüber der Lage von Migranten in Libyen, die sich seit Monaten verschlechtert“, sagte Cochetel. Die EU müsse ihre Politik überdenken und aufhören, die Menschen nach Libyen zurückzuschicken. Viele würden auf dem Weg in die Flüchtlingslager „verschwinden“, sagte Cochetel. Sie würden an „Geschäftsleute vermietet oder verkauft“. Teilweise würden sie von Schleppern gefangen gehalten, um von ihren Familien Lösegeld zu erpressen.

„Wirksamerer Verteilmechanismus“ gefordert

Bei seinem jüngsten Besuch in einem Flüchtlingslager habe er Fälle schwerer Mangelernährung gesehen, „Menschen, die nur noch aus Haut und Knochen bestehen“, berichtete Cochetel.

Die neue EU-Spitze müsse Druck auf die libysche Regierung und alle Konfliktparteien ausüben, eine Alternative zu „diesem System der willkürlichen Inhaftierung“ zu finden, forderte Cochetel. Zudem müsse die EU einen „wirksameren Verteilmechanismus“ für im Mittelmeer aufgegriffene Flüchtlinge erarbeiten, statt „von Boot zu Boot“ zu entscheiden.

US-Außenministerium: „Abscheuliche“ Attacke

Auch das US-Außenministerium verurteilte die Angriffe: Die Rede war von einer „abscheulichen“ Attacke auf das Flüchtlingslager. Der „tragische und unnötige“ Tod Dutzender Menschen mache die Notwendigkeit einer „Deeskalation der Kämpfe in Tripolis“ und der „Rückkehr zum politischen Prozess“ in dem Krisenstaat deutlich, sagte eine Sprecherin in Washington.

Das mit Flüchtlingen überfüllte Lager Tadschura ist nach Angaben von UNO und Menschenrechtsorganisationen ein Internierungslager. Dort seien mehr als 600 Menschen unterschiedlicher Nationalitäten untergebracht, hieß es. In dem getroffenen Lagerteil lebten rund 150 Männer aus verschiedenen afrikanischen Ländern, sagte Mabruk Abdel Hafis, der im Auftrag der Regierung in Tripolis mit Flüchtlingen arbeitet.

Haftars Armee wies Vorwürfe zurück

Haftars Miliz Libysche Nationale Armee (LNA) wies die Vorwürfe, für das Massaker verantwortlich zu sein, zurück und beschuldigte ihrerseits Regierungstruppen. Erst am Montag hatte die LNA schwere Angriffe auf Tripolis angekündigt. Haftar herrscht über weite Teile des Landes, die schwache international anerkannte Regierung von Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch dagegen besitzt kaum Einfluss über die Grenzen der Hauptstadt hinaus.

Im ölreichen Land herrscht acht Jahre nach dem Sturz des Langzeitmachthabers Muammar al-Gaddafi in weiten Teilen Anarchie. Im blutigen Machtkampf zwischen der international anerkannten Regierung in Tripolis und General Haftar mischen zahlreiche Länder mit. Regionale Milizen, Banden und Extremisten wie die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) nutzen das aus.

Regierung überlegt Schließung der Lager

Die libysche Einheitsregierung in Tripolis erwägt indes die Schließung der umstrittenen Flüchtlingslager in dem Bürgerkriegsland. Die Regierung prüfe derzeit, die Lager aus Sicherheitsgründen zu schließen und die Menschen freizulassen, teilte Innenminister Fathi Baschagha.

Es sei Aufgabe der Regierung, die Migranten in den Lagern zu schützen, teilte Baschagha mit. Allerdings liege es außerhalb der Möglichkeiten der Regierung, die Lager gegen Angriffe von Kampfflugzeugen zu schützen. Nach UNO-Schätzungen werden in den Flüchtlingslagern rund um die Hauptstadt Tripolis etwa 3.800 Geflüchtete gegen ihren Willen festgehalten.