ÖVP-Chef Sebastian Kurz bei einer Pressekonferenz in Berlin
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EU-Gespräche in Berlin

Kurz sagt von der Leyen Unterstützung zu

ÖVP-Obmann und Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz ist am Donnerstag in Berlin mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und der CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer zusammengekommen. Fokus der Gespräche war die Zukunft der EU nach der Designierung von Ursula von der Leyen zur EU-Kommissionspräsidentin. Kurz sagte von der Leyen die Unterstützung der ÖVP im Europaparlament zu.

Von der Leyen werde die Aufgabe an der Kommissionsspitze „ausgezeichnet erfüllen“, sagte er. Ein „bisschen überrascht“ sei er, „dass gerade die deutschen Sozialdemokraten gegen eine deutsche Kommissionspräsidentin sind“. Dabei geht es dem früheren Bundeskanzler darum, „dass es notwendig ist, die EU grundlegend zu reformieren, um sie bürgernäher, transparenter und demokratischer zu gestalten“. Sowohl Kurz als auch die CDU-Chefin plädierten intensiv dafür, dass von der Leyen vom EU-Parlament als Kommissionspräsidentin gewählt wird.

Die Diskussionen der letzten Tage rund um das EU-Personalpaket hätten wieder gezeigt, wie notwendig das sei, sagte Kurz vor seiner Reise nach Berlin in einer Stellungnahme gegenüber der APA, Die EU brauche einen neuen Vertrag mit weniger Regeln, dafür aber klaren Strafen bei Regelverstößen und mehr Subsidiarität, bekräftigte er dabei seine schon aus dem EU-Wahlkampf bekannten Pläne.

Zur österreichischen Innenpolitik sagte Kramp-Karrenbauer, sie finde es richtig, dass Kurz den Mut gehabt habe, nach der „Ibiza-Affäre“ die Koalition mit der FPÖ zu beenden. Für die CDU hielt sie fest, dass für ihre Partei eine Zusammenarbeit mit der AfD nicht infrage komme, auch nicht auf Landesebene. Vor ihrem Gespräch mit Kurz hat Kramp-Karrenbauer auch den österreichischen Großinvestor Rene Benko zu einem Gespräch empfangen. Nach Angaben der CDU hat es sich dabei um ein „Kennenlerntreffen“ gehandelt.

Kramp-Karrenbauer: Transitstreit ohne Gerichte lösen

Kramp-Karrenbauer plädierte beim gemeinsamen Pressetermin mit Kurz außerdem dafür, den Streit um den Transitverkehr mit Tirol außergerichtlich zu lösen. Sie sei der Überzeugung, „dass es im Geist guter Nachbarschaft und auch im Geist einer guten europäischen Zusammenarbeit eigentlich möglich sein muss“, eine Lösung für die Transitfragen zu finden, „ohne, dass Gerichte bemüht werden müssen“, sagte Kramp-Karrenbauer. „Das ist aus meiner Sicht immer der schlechtere Weg.“

ÖVP-Chef Sebastian Kurz und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer bei einer Pressekonferenz in Berlin
APA/AFP/Tobias Schwarz
Kurz und Kramp-Karrenbauer bei einem gemeinsamen Medienstatement in Berlin

Es komme „jetzt eben auch darauf an, ob man konstruktiv miteinander umgeht“, sagte die CDU-Chefin. Sie betonte, vor dem Abschluss der Prüfung einer Klage durch das Bundesverkehrsministerium werde es in der Bundesregierung dazu keine Entscheidung geben. Mit Blick auf die Mautdebatte sagte Kramp-Karrenbauer: „Mir wäre es am liebsten, wir hätten in ganz Europa keinerlei Maut.“ Sie akzeptiere aber, dass es europäische Staaten gebe, die eine andere Finanzierung ihrer Verkehrsinfrastruktur gewählt hätten.

Kurz sagte, über die Transitfrage habe er mit Merkel und dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) schon einige Gespräche geführt. „Wir wollen eine gemeinsame Lösung finden.“ Zugleich müssten die Menschen in Tirol entlastet werden. Tirol will vom kommenden Wochenende an in den Bezirken Kufstein und Reutte Autofahrer auf die Autobahn zurückschicken, die im Transitverkehr Landstraßen nutzen wollen. Die Regelung gilt an Wochenenden schon für den Raum Innsbruck.

Treffen mit von der Leyen geplant

Kurz soll Freitagfrüh im deutschen Verteidigungsministerium mit von der Leyen zusammentreffen. Auch in diesem Gespräch soll es um die Reform der EU gehen. Im Vorfeld begrüßte er zwar die Designierung von der Leyens durch die EU-Staats- und -Regierungschefs, kritisierte allerdings den Prozess der Entscheidungsfindung für die EU-Spitzenpositionen. Wörtlich sprach Kurz von einem „unwürdigen Schauspiel“, das dem Image der EU geschadet habe. Derartige „Hinterzimmerdeals“ lehne er ab.

Von der Leyen wirbt um Unterstützung

Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein kann der Nominierung von von der Leyen zur EU-Kommissionspräsidentin durchaus etwas abgewinnen – aber diese muss sich ihre breite Unterstützung erst erarbeiten.

Froh zeigte Kurz sich, dass der Sozialdemokrat Frans Timmermans verhindert worden sei. Seine Wahl hätte nach Ansicht von Kurz einen Linksruck für die EU bedeutet, und außerdem sei Timmermans ein „Wahlverlierer“. Dass hingegen EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber als Wahlsieger ebenfalls verhindert wurde, findet Kurz „sehr problematisch“. In Zukunft sollten derartige Diskussionen transparenter ablaufen und „in größerer Runde“ stattfinden und den Wählerwillen widerspiegeln, heißt es vom ÖVP-Obmann. Deshalb wünsche er sich, dass das Spitzenkandidatenmodell rechtlich verankert und in den EU-Verträgen festgeschrieben werde.

Tusk verteidigte Nominierung von der Leyens

EU-Ratschef Donald Tusk verteidigte die Nominierung von von der Leyen zur Präsidentin der Europäischen Kommission und wies die Kritik an der Auswahl hinter verschlossenen Türen zurück. Der Rat der Staats- und Regierungschefs sei genauso demokratisch legitimiert wie das Europaparlament, sagte Tusk am Donnerstag vor Abgeordneten in Straßburg.

Deutschlands Verteidigungsminiserin Ursula von der Leyen und der scheidende EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker
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Von der Leyen soll Juncker nachfolgen

„Letztlich müssen wir uns gegenseitig respektieren und miteinander arbeiten, denn nur dann können wir Vertrauen aufbauen und Europa zum Besseren verändern“, sagte Tusk. Vor der Entscheidung über die EU-Spitzenjobs habe er sich viele Male mit Vertretern des Parlaments getroffen, „um sicherzustellen, dass die Entscheidungen wirklich gemeinsam sind“. Tusk umwarb besonders die Grünen im Parlament. Er werde sich dafür einsetzen, dass die Grünen bei den Nominierungen berücksichtigt würden, und hoffe, dass auch von der Leyen diese Botschaft aufnehme.

Von der Leyen will „Plan für Europas Zukunft “ erarbeiten

Davor empfing EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker seine mögliche Nachfolgerin in Brüssel. Juncker umarmte und herzte sie bei einem Fototermin, doch beantworteten die beiden keine Fragen. Juncker habe seiner vom EU-Gipfel nominierten Nachfolgerin seine persönliche Unterstützung für einen reibungslosen Übergang versichert, sagte ein Kommissionssprecher in Brüssel. Schon am Mittwoch reiste die amtierende deutsche Verteidigungsministerin nach Straßburg, um bei Europaabgeordneten um Unterstützung zu werben.

Angesichts der Kritik an ihrer Nominierung will sich von der Leyen bei der Ausarbeitung ihres Programms eng mit dem Europaparlament abstimmen. Es sei ihr wichtig, „klugen Rat einzuholen“, schrieb von der Leyen auf Twitter.

Herausforderung für Große Koalition in Deutschland

Belastend wirkt sich die Designierung der deutschen Verteidigungsministerin zur Kommissionspräsidentin auch auf die Große Koalition zwischen Union und SPD in Deutschland aus. Die SPD hat sich dagegen ausgesprochen. Ihr Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann wertete es als Belastung für von der Leyen, dass sie davon profitieren könnte, dass rechtsregierte EU-Staaten wie Ungarn den bisherigen Vizepräsidenten der EU-Kommission, Timmermans, als Chef verhindert hatten. „Das ist eine schwere Hypothek“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Die deutsche SPD-Spitzenkandidatin und nunmehrige EU-Parlamentsvizepräsidentin Katarina Barley hatte bereits angekündigt, bei der Abstimmung des Parlaments von der Leyen ihre Stimme zu verweigern.

Immobilieninvestor Rene Benko auf dem Weg zu einem Treffen mit CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer in Berlin
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Kramp-Karrenbauer traf auch den österreichischen Großinvestor Benko – zu einem „Kennenlerntreffen“, wie es hieß

Kramp-Karrenbauer rief die SPD bei dem Treffen mit Kurz am Donnerstag dazu auf, ihren Widerstand aufzugeben. „Wenn die deutschen Sozialdemokraten wirklich an ihrer destruktiven Haltung gegenüber Ursula von der Leyen festhalten, dann wäre das eine Belastung auch für die Koalition“, sagte Kramp-Karrenbauer am Donnerstag in Berlin.

Sollte von der Leyen als Kandidatin des Europäischen Rats bei der Wahl im Europaparlament durchfallen, würde Europa „möglicherweise in eine institutionelle Krise“ geraten, warnte die CDU-Chefin. „Das ist etwas, was wir in Europa nicht gebrauchen können.“ Sie hoffe deshalb, dass sich im Europaparlament die „konstruktiven Kräfte durchsetzen“ und die deutsche Kandidatin unterstützten, sagte Kramp-Karrenbauer. „Das gilt insbesondere für die deutschen Sozialdemokraten.“

Wahl könnte Zitterpartie werden

Die CDU-Chefin hob zudem hervor, dass mit von der Leyen erstmals eine Frau an die Spitze der EU-Kommission treten würde: „Ich finde es eine sehr charmante Vorstellung, dass das Gesicht Europas künftig ein weibliches sein wird.“ Kramp-Karrenbauer kritisierte abermals, dass die Spitzenkandidaten der Europawahl dabei nicht zum Zuge kommen. Die EU dürfe das Spitzenkandidatenprinzip nun aber nicht aufgeben, sondern müsse es reformieren.

Bericht aus Brüssel

ORF-Korrespondentin Raffaela Schaidreiter berichtet aus Brüssel, wie die Chancen für von der Leyen bei der Wahl des EU-Kommissionschefs stehen.

Von der Leyens Wahl im Parlament, die voraussichtlich am 16. Juli stattfinden soll, könnte zur Zitterpartie werden, denn die Skepsis ist groß – auch innerhalb der EVP. Damit die Christdemokratin die notwendige absolute Mehrheit von 376 Stimmen zu erreicht, müssten die Christdemokraten der EVP mehr oder weniger geschlossen abstimmen. Dazu müssten fast alle Liberalen für von der Leyen sein sowie die Hälfte der Sozialdemokraten und „vielleicht einige Grüne“, wie der „Spiegel“ (Onlineausgabe) in einer Analyse vorrechnete.

Die Mehrheit ist somit alles andere als gesichert, weshalb es sein kann, dass von der Leyen auch auf die Stimmen von Parteien wie der ungarischen Rechtspartei FIDESZ oder der polnischen PiS angewiesen sein wird, die innerhalb der EVP umstritten sind. FIDESZ, die Regierungspartei des ungarischen Premiers Viktor Orban, ist derzeit von der EVP suspendiert aufgrund antisemitischer Äußerungen. Sollte von der Leyen auf diese unbeliebten Stimmen zurückgreifen müssen, könnte ihr das weitere Kritik einbringen.