Demonstrant
APA/AFP/Emmanuel Dunand
Uiguren-Verfolgung

Zehnter Jahrestag der blutigen Proteste

Zum zehnten Mal jähren sich die blutigen Proteste in der westchinesischen Stadt Ürümqi. Sie gelten als Ausgangspunkt für die systematische Verfolgung von Muslimen in der Region. Menschenrechtler fordern die Freilassung von mehr als einer Million Inhaftierten.

Die großen Unruhen in der westchinesischen Provinz Xinjiang begannen vor zehn Jahren mit dem Tod zweier Wanderarbeiter. Die beiden Männer, die der in Xinjiang ansässigen muslimischen Minderheit der Uiguren angehörten, kamen 4.000 Kilometer entfernt von ihrer Heimat in der Stadt Shaoguan im Süden Chinas bei einem Kampf mit anderen Fabrikarbeitern ums Leben.

Auslöser waren Gerüchte, dass Uiguren zwei Han-Chinesinnen vergewaltigt hätten, der mit Abstand größten Volksgruppe in China. Am 5. Juli 2009, rund zwei Wochen nach dem Vorfall, versammelten sich mehrere hundert Uiguren zu einer Protestaktion in Xinjiangs Hauptstadt Ürümqi, unweit des Regierungssitzes, und verlangten Aufklärung darüber, was in Shaoguan passiert war.

Demonstrationen führten zur Eskalation

Die Demonstrationen eskalierten nach Zusammenstößen mit Sicherheitskräften zu einem Blutbad, bei dem Han-chinesische Passanten angegriffen wurden. Nach offiziellen Angaben starben 197 Menschen, mehr als 1.600 wurden verletzt.

Xinjiang

Die Region ist ein überwiegend von Uiguren und Han besiedeltes Autonomes Gebiet im Nordwesten Chinas.

Was genau zu der Eskalation vor zehn Jahren führte – erste Gewalt vonseiten der Polizei oder der Uiguren – ist laut Experten bis heute nicht eindeutig geklärt. Fest steht, dass die Ausschreitungen Xinjiang nachhaltig verändert haben und schwere Folgen vor allem für die Uiguren hatten. „Die damaligen blutigen Auseinandersetzungen haben eine Eskalation des Konflikts eingeleitet“, sagte Kristin Shi-Kupfer vom China-Institut MERICS in Berlin.

1,5 Millionen Menschen in Umerziehungslagern

Menschenrechtsorganisationen und ausländische Regierungen schätzen, dass allein in den vergangenen drei Jahren in Xinjiang bis zu 1,5 Millionen Menschen in Umerziehungslager gesteckt wurden. Sie verbindet, dass sie keine Han-Chinesen sind, sondern in aller Regel zu den muslimischen Minderheiten gehören. Die Mehrzahl der Inhaftierten sind Uiguren.

Diese Bevölkerungsgruppe, die in China rund zehn Millionen Menschen zählt, ist mit den Türken verwandt. Andere sind ethnische Kasachen, Usbeken und Kirgisen. Von willkürlichen Verhaftungen, Folter und Misshandlungen ist immer wieder die Rede, wenn ausländische Fachleute und ehemalige Insassen über die Situation in den Lagern berichten.

Karte vom Uigurengebiet in China
Grafik: APA/ORF.at

Lager als „berufliche Ausbildungszentren“

Peking streitet längst nicht mehr ab, dass es die Lager gibt. Foltervorwürfe werden aber zurückgewiesen. Die Regierung spricht stattdessen von „beruflichen Ausbildungszentren“, die als „modernes Mittel“ im Kampf gegen Terrorismus dienten.

Xinjiang gilt seit den Protesten 2009 als Brandherd. Immer wieder kam es seitdem zu blutigen Zwischenfällen zwischen Uiguren, anderen Minderheiten und Han-Chinesen. Die ansässigen Minderheiten fühlen sich wirtschaftlich, politisch und kulturell von den herrschenden Han-Chinesen unterdrückt und ausgebeutet. Umgekehrt wirft Chinas Regierung uigurischen Gruppen Separatismus vor.

Vorwurf der systematischen Repression

„Beide Seiten wissen sehr wenig von der jeweils anderen Lebenswelt und haben auch im Alltag kaum Berührungspunkte“, sagte Shi-Kupfer. Han-Chinesen würden so in der Regel nicht einmal versuchen, auch nur etwas Uigurisch zu lernen, selbst wenn sie seit Jahren in der Region leben. Auch nicht wenige Uiguren, insbesondere die in ländlichen Gebieten wohnen, sprechen schlecht Chinesisch, können oder wollen es auch nicht immer unbedingt lernen.

Die Regierung hat Xinjiang derweil in einen Polizeistaat umgebaut, der von Überwachungskameras und Polizeipräsenz nur so wimmelt. Von „systematischer Repression“ sprechen Menschenrechtler, die klare Forderungen an die Regierung in Peking und die Weltgemeinschaft haben: „Die chinesische Regierung sollte alle diskriminierenden Praktiken gegen Uiguren und andere in der Region einstellen“, sagte Patrick Poon von Amnesty International.

Ende der Verfolgung gefordert

Regierungen anderer Staaten, der UNO-Menschenrechtsrat und internationale Partner Chinas müssen stärker auf ein Ende der Verfolgung der uigurischen Gemeinschaft drängen, forderte auch Brad Adams, China-Direktor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch.

„Es muss klare Antworten darauf geben, was mit jenen geschehen ist, die seit 2009 in dem riesigen und geheimen Haftsystem der chinesischen Regierung verschwunden sind.“ Wichtige Handelsbeziehungen und andere politische Erwägungen sollten Staaten laut Adams nicht dazu veranlassen, China anders zu behandeln als Länder, die ähnliche „ungeheure Missbräuche“ begangen haben.