Screenshot facebook.com
Screenshot facebook.com
Posten wie Opa

Onlinekampf der Generationen

Wenn Seniorinnen und Senioren Soziale Netzwerke entdeckt haben, bleibt oft kein Auge trocken. Nicht selten werden „süße“ und „lustige“ Bilder und Videos verschickt, pathetische Kalendersprüche geteilt, und ästhetisch herrscht das Motto „mehr ist mehr“. Als Reaktion darauf boomen derzeit Facebook-Gruppen, in denen junge Menschen so agieren wie ihre Eltern und Großeltern – und wohl nicht nur aus Spaß am Rollenspiel. Was als Witz begann, läuft inzwischen aus dem Ruder.

Erst im Mai wurde die Gruppe „A group where we all pretend to be boomers“ gegründet, mittlerweile zählt man mehr als 240.000 Mitglieder. Die Regeln sind recht einfach: Man postet, als ob man ein Babyboomer wäre, also mittlerweile im oder knapp am pensionsfähigen Alter.

Wiewohl die Vorurteile, ältere Menschen könnten generell mit den neuen Technologien und den ungeschriebenen Kommunikationsregeln im Web nicht umgehen, vielfach widerlegt sind, wird in der Gruppe kaum ein Klischee ausgelassen.

Kettenbriefe, Hoaxes, abgedroschene Memes

Und so werden eifrig Kalendersprüche gepostet, Kätzchen- und Babybilder und Minions- und andere Memes, die vor ein paar Jahren vielleicht angesagt waren. Nebenbei werden sämtliche Onlineregeln gebrochen, etwa in Großbuchstaben gepostet. Auch fragwürdige Mitmachspielchen, Kettenbriefe und Hoaxes werden geteilt – und es wird aufgefordert, sie weiter zu verbreiten.

Screenshot facebook.com
Screenshot facebook.com

Auch Postings, die Probleme im Umgang mit Hardware, Programmen und Websites dokumentieren, sind beliebt, ebenso wie Fragen in die Runde, was – zumeist schlüpfrige – Wörter und Akronyme denn bedeuten. Mittlerweile im Stundentakt werden ernste Statusmeldungen wie Unglücke in der Familie mit völlig unpassend spaßigen Hintergründen gepostet.

Screenshot facebook.com
Screenshot facebook.com

Zynisch und abwertend

Subtiler sind da schon angebliche Erinnerungen an die Jugend, an Konzertbesuche in den 70er Jahren und romantische Begegnungen in jungen Jahren. Auch das eine oder andere extrem verwackelte Selfie oder Bild des Haustieres verbreitet noch gewissen Charme.

Mit zunehmendem Postingaufkommen wurden die Beiträge aber immer unwitziger und redundanter – mit sich wiederholenden, flachen Gags und absichtlichen Schreibfehlern. Geteilt werden sehr viele politische Postings, deren Inhalte keinem logischen Nachdenken geschweige denn einem Faktencheck standhalten. Mittlerweile wird ein Bild gezeichnet, dass ältere Menschen zunehmend als hinterwäldlerisch, frömmlerisch und engstirnig zeichnet. So spaßig einige der Tausenden Postings pro Tag sind, lässt sich die Mehrheit als zynisch, abwertend und oft gehässig gegenüber älteren Menschen beschreiben.

Screenshot facebook.com
Screenshot facebook.com

Offener Generationenkonflikt

Diese Entwicklung ist wohl kein Zufall. „Ich glaube, die Popularität kommt zum Teil vom aktuellen politischen Klima“, sagte Elizabeth Roney, eine Administratorin der Gruppe, gegenüber dem Onlinemagazin Salon. Sie spielt damit auf die politische Polarisierung in der Gesellschaft ab, die auch entlang der Generationen verläuft und in den USA mit der Präsidentschaft Donald Trumps und in Großbritannien über die Brexit-Debatte verschärft wurde.

Auch der britische „Guardian“ erkennt einen Generationenkonflikt, vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht: Die Babyboomer lebten im wirtschaftlichen Aufschwungzeiten, sie kannten nur Aufstiegsszenarien. Ab den 1990er Jahren wurden aber Generationen, von der Generation X bis zu den Millennials, groß, bei der sich das Versprechen eines ökonomischen Aufstiegs nicht mehr automatisch einzulösen schien.

Lust am Rollenspiel

Noch einen weiteren, etwas anderen Grund für die Popularität, sieht Salon und verweist auf die Beliebtheit von Rollenspielen im Netz an sich. Im Vergleich zu den enorm erfolgreichen Computerrollenspielen wie „World of Warcraft“ sei der Eintritt in eine Facebook-Gruppe extrem niederschwellig. Und anstatt die Rolle einer komplexen Spielfigur zu übernehmen, sei es auch recht einfach, das Onlineverhalten eines Senioren zu imitieren und zu persiflieren, vor allem dann, wenn es Vorbilder in der eigenen Familie gebe.

Gegengruppe, Aliens und Ameisen

Die Lust am Rollenspiel zeigen auch andere Facebook-Gruppen. Zunächst gibt es freilich die Gegengruppe, in der man sich als Millennial ausgibt. Und es wäre nicht das Web, wenn es nicht auch die ironische Brechung der Gruppe gäbe, in der man vorgibt, Senior zu sein, der sich als Millennial darstellt.

Ein paar tausend Mitglieder hat mittlerweile die Gruppe, in der es darum geht, sich als Influencer darzustellen. Und gleich mehrere Communitys spielen mit der Rolle als Vorstadtpapa und -mama. Der Fantasie scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein, Dutzende andere Gruppen von Möchtegernbauern über Aliens bis hin zu Ameisen gibt es – sie finden bisher nur ein paar Dutzend bis hundert Mitglieder.

Das alte Spiel mit den Identitäten

Die Lust am Verstellen erinnert aber auch an die Anfangszeiten des Netzes, in denen das Spiel mit Onlineidentitäten vor allem von Theoretikerinnen und Theoretikern als zukunftsweisendes Feld im Internet gewertet wurde. Der harte Bruch mit der Realität sollte aber bald folgen. Spätestens mit dem Aufkommen der Sozialen Netzwerke setzte sich im Web der Authentizitätstrend durch: Man sollte ganz man selbst sein – und nur das. Anonymes Auftreten wurde mehr und mehr verpönt und in die Spielewelt verbannt. Und daran kann auch der – wohl kurze – Boom dieser Facebook-Gruppen wahrscheinlich wenig ändern.