Russische S-400 Flugsbwehrraketen
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Türkei – USA

Russische Raketen rütteln an Bündnis

Die USA und die Türkei waren lange Zeit enge Bündnispartner innerhalb der NATO, in letzter Zeit sind die Beziehungen allerdings gespannt. Jüngster Anlass ist ein Rüstungsgeschäft zwischen Ankara und Moskau. Erst am Samstag traf die letzte Lieferung in der Türkei ein. Das alte Bündnis wackelt.

Die USA drohten in dem Streit, der bereits seit einigen Monaten schwelt, zuletzt mit Sanktionen. Die Türkei will sich aber nicht einschüchtern lassen. Am Samstag hieß es aus dem Verteidigungsministerium in Ankara auf dem Kurznachrichtendienst Twitter: „Das vierte russische Flugzeug mit S-400-Raketenteilen ist auf dem Murted-Flughafen nahe Ankara gelandet.“

Das System S-400 Triumf, NATO-Name SA-21 Growler, wurde noch zu Sowjetzeiten entwickelt, aber erst später in Dienst gestellt. Es verschießt Boden-Luft-Raketen auf große Distanzen. Ziel sind Flugzeuge, aber auch Raketen. Die Türkei betont seit Monaten, dass es bei den S-400 kein Zurück gebe. „Wir sagen das immer wieder: Dieses Geschäft ist beschlossene Sache“, sagte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu am Freitag erneut.

Entwickelt gegen die NATO

Die USA fürchten, dass die Installation des russischen Systems beim NATO-Partner die Sicherheit der eigenen Flugzeuge gefährdet. Die US-Regierung droht daher, der Türkei keine F-35-Kampfflugzeuge zu liefern. Türkische Rüstungsfirmen sind an der Produktion des neuen Kampfjets beteiligt, und Ankara hat 116 Maschinen bestellt. Auch die NATO hatte sich „besorgt“ über das türkisch-russische Rüstungsgeschäft geäußert.

Lieferung der russischen S-400 Flugsbwehrraketen
APA/AFP/Türkisches Verteidigungsministerium
Die erste Tranche bei der Entladung aus einer russischen Antonow-Transportmaschine am Freitag

Der Streit hat mehrere Seiten, wie der US-Nachrichtensender CNN am Wochenende analysierte. Der Rüstungsdeal stelle Ankaras Glaubwürdigkeit als NATO-Partner infrage, außerdem sei er ein weiteres Indiz für ein Zusammenrücken des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan mit Kreml-Chef Wladimir Putin. Und die S-400 sei schließlich dazu da, Kampfjets wie die F-35 zu bekämpfen. Sorge bereite auch die große Reichweite des Raketensystems von knapp 250 Kilometern, wie es bei CNN hieß. Im Wesentlichen sei es ein destabilisierendes Geschäft in einer Region, die schon mehr als genug destabilisiert sei. Die Türkei unterstreiche damit ihre Rolle als unabhängige regionale Macht.

Ankara um Beschwichtigung bemüht

Die Türkei versucht zu beruhigen. Außenminister Mevlüt Cavusoglu erklärte wiederholt, das System werde nur im Notfall eingesetzt. In der Tageszeitung „Cumhuriyet“ hieß es, die S-400 werde auch nicht mit anderen Systemen gekoppelt. Dabei geht es auch um die vernetzte Luftabwehr der NATO. Außerdem argumentierte Ankara, man habe sich mehrfach um US-Luftabwehrraketen des Typs Patriot bemüht, diese aber nicht bekommen.

Zwischendurch hieß es auch, man wolle weiter Patriot-Raketen kaufen. Wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu am Freitag berichtete, sagte der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar nur Stunden nach Ankunft der ersten S-400-Komponenten: „Wir denken auch über die Beschaffung der Patriots nach. Unsere zuständigen Behörden und Freunde setzen dazu ihre intensiven Bemühungen fort.“

Mehrere Differenzen

Allerdings sind die Raketen nicht der einzige Zankapfel zwischen Ankara und Washington. Für Differenzen sorgt auch die Person des im US-Exil lebenden türkischen Geistlichen Abdullah Gülen bzw. seine Hizmet-Bewegung. Ihn sieht Erdogan als Drahtzieher des versuchten Putschs in der Türkei vom Sommer 2016. Die USA wollen diesen nicht wie verlangt ausliefern. Dann sind da noch die unterschiedlichen Positionen im Bürgerkrieg in Syrien: Die USA unterstützt die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG), die Türkei sieht diese als Terrororganisation, verbündet mit der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK).

Verteidigungsminister Akar versprach, dass sich mit dem Kauf der russischen Raketen nichts an der strategischen Ausrichtung seines Landes ändere. Daran bestünden aber legitime Zweifel, hieß es in einem Kommentar in „Foreign Affairs“, auf den CNN am Samstag verwies. Darin hieß es sinngemäß: Es sei vielleicht ein Irrglaube, dass die „türkische Sicherheitselite“ die USA nach wie vor als unverzichtbaren Verbündeten sehe. In Wirklichkeit aber sehe Ankara diese als destabilisierenden Faktor in der Region. Erdogan würde die USA vielleicht für weniger wichtig halten, als diese selbst glaubten.