Ursula Von der Leyen
APA/AP/Jean-Francois Badias
Rede in drei Sprachen

Von der Leyens letztes Buhlen um Stimmen

„Die Menschen wollen, dass wir liefern, und dafür bin ich angetreten“: In einer mit Spannung erwarteten Rede hat die Anwärterin auf den Chefposten der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, am Dienstag im EU-Parlament ihre Vision von Europa umrissen. Bei der Abstimmung am Abend wird sich weisen, ob von der Leyen mit ihrer abwechselnd in Französisch, Deutsch und Englisch gehaltenen Bewerbungsrede eine Mehrheit im EU-Parlament überzeugen konnte.

Von der Leyen erinnerte in ihrer Rede zunächst an die Französin Simone Veil, die vor rund 40 Jahren zur ersten Präsidentin des EU-Parlaments gewählt wurde. Die EU benötige auch weiterhin derartige Pionierleistung, so von der Leyen – und sie sei nun die erste Frau, die für den Vorsitz der EU-Kommission kandidiert. Den Abgeordneten versprach sie, dass sie „Europa einen und stärken“ wolle. Jene, die „dieses Europa schwächen, spalten oder ihm seine Werte nehmen“ wollten, würden in ihr aber „eine erbitterte Gegnerin“ finden.

Wie bereits in einem achtseitigen Brief an die Abgeordneten nannte von der Leyen schließlich eine Reihe von Projekten, die sie in der fünfjährigen Amtszeit als Kommissionspräsidentin angehen möchte. An erster Stelle bekannte sie sich zu verstärkten Anstrengungen im Kampf gegen die Klimakrise. „Wir müssen mehr tun als bisher“, so von der Leyen, die bereits in den ersten hundert Tagen ihrer Amtszeit einen „grünen Deal für Europa“ in Bewegung setzen will.

Von der Leyen hält Plädoyer für Europa

Ursula von der Leyen will EU-Kommissionspräsidentin werden. Dafür braucht sie die Mehrheit der Europaabgeordneten. Ihre Rede am Dienstag war ein glühendes Plädoyer für Europa.

„Was wir ausgeben, müssen wir erst einmal verdienen“

Ganz nach dem Motto „Was wir ausgeben, müssen wir erst einmal verdienen“ folgten in der Rede von der Leyens Vorhaben zur Stärkung von Europas Wirtschaft. Neben einer Umsetzung eines offenen Kapitalmarktes für Klein- und Mittelunternehmen will von der Leyen große Internetkonzerne stärker besteuern. Weiters sprach sie sich für eine europäische Rückversicherung für die nationalen Arbeitslosenversicherungen in der EU sowie national definierte Mindestlöhne aus.

Ursula Von der Leyen
APA/AP/Jean-Francois Badias

Angesichts der von ihr als „schwer und spaltend“ bezeichneten Flüchtlingsdebatte setzt sie auf einen „neuen Pakt für Migration und Asyl“. Als Kernstück hob von der Leyen hier den Ausbau der europäischen Grenzschutzagentur Frontex auf 10.000 Personen bis 2024 und eine Reform des Dublin-Systems für Asylsuchende hervor. Zugleich bekannte sie sich zur Seenotrettung im Mittelmeer. „Auf See ist es die Pflicht, Menschenleben zu retten“, sagte sie.

Weiterer Brexit-Aufschub nicht ausgeschlossen

An Liberale und Sozialdemokraten gerichtet betonte sie, dass sie als Kommissionspräsidentin entschieden gegen Verstöße gegen Rechtsstaatsprinzipien in der EU vorgehen wolle. Hintergrund ist der Vorwurf, dass osteuropäische Parlamentarier für sie stimmen wollen, weil sie nachgiebiger gegenüber den umstrittenen Justizreformen in Polen und Ungarn sein könnte.

Während von der Leyen in ihrer Bewerbungsrede für viele Passagen quer durch die Fraktionen Applaus erntete, gab es bei ihrer Ankündigung, zu Mehrheitsentscheidungen in der EU-Außenpolitik übergehen zu wollen, Buhrufe der Rechtsaußen-Abgeordneten. Zum Brexit sagte von der Leyen, dass man die Entscheidung Großbritanniens bedauere, aber respektiere. Protest gab es bei ihrer Erklärung, dass sie notfalls bereit wäre, das Austrittsdatum 31. Oktober erneut zu verschieben. Am ausgehandelten Austrittsvertrag der EU mit Großbritannien könne aber nicht gerüttelt werden. „Er schafft Sicherheit in einer Zeit, in der der Brexit für Unsicherheit sorgt.“

„Volle Unterstützung“ von EVP, Grüne bleiben bei Nein

Der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber, sagte von der Leyen nach der Rede die volle Unterstützung seiner Fraktion mit 182 Abgeordneten zu – sie ist ja die EVP-Kandidatin. Auch der liberale Fraktionschef Dacian Ciolos signalisierte Unterstützung. Die sozialdemokratische Fraktionschefin Iratxe Garcia Perez kündigte an, ihre Gruppe werde sich erst am Nachmittag festlegen. Von den Grünen kam erneut ein Nein.

Von den österreichischen EU-Abgeordneten steht die ÖVP-Delegation klar hinter von der Leyen. SPÖ-Delegationsleiter Andreas Schieder betonte am Nachmittag, dass weiterhin alle fünf SPÖ-Abgeordneten gegen die Deutsche stimmen würden. Zuvor hatte Schieder von der Leyens Rede als großen Fortschritt gegenüber dem Hearing in der Vorwoche bezeichnet. Gegen von der Leyen sprach sich FPÖ-Delegationsleiter Harald Vilimsky aus. Die NEOS-Abgeordnete Claudia Gamon fand die Rede von der Leyens zwar „gut“, sie werde dennoch gegen sie stimmen, wie Gamon im Ö1-Mittagsjournal sagte. Auch Monika Vana, Delegationsleiterin der österreichischen Grünen im Europaparlament, konnte von der Leyen weiter nicht überzeugen.

Für eine Mehrheit braucht von der Leyen auch Stimmen aus der sozialdemokratischen Fraktion mit 153 Sitzen und von den Liberalen, die 108 Mandate haben. Die beiden Gruppen wollen sich erst in Fraktionssitzungen am Nachmittag endgültig entscheiden.

Tusk: „Sie wird es am besten machen“

Versöhnliche Töne kamen am Dienstag unterdessen vom Spitzenkandidaten der Sozialdemokraten, Frans Timmermans, der via Twitter lobende Wote für von der Leyens Programm fand. Von der Leyens Rede sei „stark, warm und balanciert“ gewesen, sagte via Twitter zudem die Spitzenkandidatin der Liberalen, Margrethe Vestager, die wie Timmermans ebenfalls lange als Favoritin für den Kommissionschefsessel gehandelt worden war.

Auch der scheidende EU-Ratspräsident Donald Tusk streute wenige Stunden vor der Abstimmung von der Leyen noch einmal Rosen. „Wenn sie sagt, dass sie eine leidenschaftliche Kämpferin für die Einheit und die Stärke Europas sein wird, meint sie das auch. Und sie wird es am besten machen“, schrieb Tusk auf Twitter.

Selmayr geht

Unabhängig vom Ausgang der Abstimmung will von der Leyen am Mittwoch als deutsche Verteidigungsministerin zurücktreten. In Zusammenhang mit der Abstimmung über den Chefposten steht indes auch in der Brüsseler Kommissionsverwaltung eine gewichtige Personalrochade an. Wie das Nachrichtenmagazin „Politico“ (Onlineausgabe) berichtete, habe von der Leyen in einem weiteren Zugeständnis an das EU-Parlament den Rücktritt von Martin Selmayr als Generalsekretär der EU-Kommission angekündigt.

Den „Politico“-Angaben zufolge werde Selmayr „nächste Woche“ seinen Sessel räumen und „nicht in Brüssel bleiben“ – einen in dem Magazin ebenfalls angedeuteten Gang nach Österreich bestätigte die EU-Kommission aber nicht. Selmayr hält an der Donau-Uni Krems Vorträge.