Sozialministerin Brigitte Zarfl
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Sozialministerium

Kassenfusion kostet bis zu 400 Mio. Euro

Die aktuelle Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage durch Sozialministerin Brigitte Zarfl bringt nun erstmals einen Anhaltspunkt, wie viel die von der früheren ÖVP-FPÖ-Regierung auf den Weg gebrachte Kassenfusion kosten kann. Zwischen 300 und 400 Mio. Euro seien für die Fusion und Integration der Kassen zur Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) in einer groben Schätzung zu erwarten.

Zarfl bezieht sich in der Antwort auf die von JETZT-Klubchef Bruno Rossmann eingebrachte Anfrage auf ein Gutachten zu den ökonomischen Effekten der Sozialversicherungsreform, das bereits ihre Vorgängerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) im April 2019 in Auftrag gegeben hatte und das nun vorliegt. Die frühere ÖVP-FPÖ-Regierung hatte sich zu den Fusionskosten nie konkret geäußert und vielmehr auf die erhoffte Einsparung von einer Milliarde Euro bis 2023 durch die Reduktion der Krankenkassen auf fünf Träger unter dem Dach der ÖGK verwiesen.

Diese von der Koalition „Patientenmilliarde“ genannte Zahl zerrinne nun wie Sand zwischen den Fingern, reagierte Rossmann auf die Antwort seiner parlamentarischen Anfrage. Am 1. Jänner 2020 sollen die neuen Träger ihre Arbeit aufnehmen. SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch reagierte mit scharfer Kritik auf die genannten Kosten. Er erwartet eine Milliardenbelastung für die Patienten durch die Fusion.

Beraterkosten in Millionenhöhe „im üblichen Rahmen“

Der ÖVP-nahe ÖGK-Generaldirektor Bernhard Wurzer hingegen versuchte gegenüber den „Oberösterreichischen Nachrichten“ am Dienstag die hohen Fusionskosten zu relativieren. Denn es werde auch Einsparungen von 300 Millionen und mittelfristig die Reduktion von 1.500 Dienstposten geben.

Die laufende Reform der Sozialversicherung stieß immer wieder auf Kritik, zum einen wegen einer Schwächung der Arbeitnehmerposition, zum anderen wegen der ungeklärten Kostenfrage. Für Verunsicherung sorgten auch immer wieder in Medienberichten erwähnte Beraterkosten in Millionenhöhe.

Sozialministerin Beate Hartinger-Klein
APA/Robert Jaeger
Die damalige Sozialministerin Hartinger-Klein geizte mit konkreten Angaben zu den erwarteten Fusionskosten

Die „Wiener Zeitung“ berichtete vor wenigen Tagen von 2,3 Millionen Euro, die für die ÖGK zur Fusionsbegleitung freigegeben wurden. Ein Zehn-Millionen-Euro-Rahmen für Investitionen, in den auch Beratungskosten fallen, wurde laut Bericht für die Fusion der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) und der Sozialversicherungsanstalt der Bauern (SVB) beschlossen. Insgesamt werden 63 Fusionsprojekte extern begleitet. Einem Kommunikationsberater zufolge liegen diese kolportierten Ausgaben für ein Projekt dieser Größenordnung „durchaus im üblichen Rahmen“.

Wenig konkret

Die alte Regierung warb mit einer Sparmilliarde durch die Reform, die Ende Oktober vergangenen Jahres beschlossen wurde. Schon zu diesem Zeitpunkt wurde in Regierungskreisen eingeräumt, dass dieser Annahme keine genauen Berechnungen zugrunde liegen, sondern nur „Schätzungen auf Basis diverser Experten“ sowie Zahlenwerte, die aus einer Studie der London School of Economics zur Kassenreform übernommen worden seien.

Wenig Konkretes gab es vonseiten der ÖVP-FPÖ-Regierung auch zu den Fusionskosten. Hartinger-Klein verwies bei Fragen zu den Kosten der Zusammenlegung der Krankenkassen häufig darauf, dass das eine Entscheidung der Selbstverwaltung sei. „Die Fusionskosten können zum derzeitigen Zeitpunkt nicht beziffert werden“, schrieb sie in einer früheren Anfragebeantwortung von JETZT im November vergangenen Jahres.

In ihrer Antwort verwies Hartinger-Klein auch auf die Fusion der Pensionsversicherungsanstalten der Arbeiter und Angestellten. Diese soll laut Rechnungshof 2004 115 Mio. Euro gekostet haben. Aufgrund der fusionsbedingten Einsparungen komme man inzwischen aber auf jährliche Einsparungen von 52 Mio. Euro, so Hartinger-Klein. Die Fusionskosten in Bezug auf die ÖGK seien zudem mit denen der PVA nicht vergleichbar. Im aktuellen Fall sei weniger zu erwarten, so die damalige Sozialministerin im vergangenen Jahr.

Zweifel an Sparpotenzial

Die alte ÖVP-FPÖ-Regierung sagte, allein durch die Reduktion der leitenden Angestellten und schlankere Strukturen könnten Einsparungen erfolgen. 1,435 Mio. Euro weniger sollen ab nächstem Jahr für die Funktionäre und Funktionärinnen der fünf dann zusammengelegten Sozialversicherungsträger ausgegeben werden. Das geht aus einem Entwurf der „Entschädigungsverordnung“ des Sozialministeriums vom April hervor.

Dieser Einschätzung widerspricht nun das von Zarfl zitierte Gutachten: Es seien dreimal so hohe Fusionskosten zu erwarten. Auch das Sparpotenzial dürfte geringer sein als erwartet, wie ein kürzlich im „Kurier“ zitiertes Gutachten des Arbeitsrechtlers Walter Pfeil im Auftrag der Arbeiterkammer Niederösterreich nahelegt. Vor allem bei den Personalkosten gebe es wenig Spielraum, da es im Falle einer Fusion und Zusammenlegung gesetzlich keine Kündigungen und unfreiwilligen Pensionierungen geben dürfe. Auch Zulagen könnten nicht gestrichen werden.

Kritik an Postenbesetzung

Die Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter (FSG) übte heftige Kritik an der Besetzung der obersten Managementposten der ÖGK. Sie sprach von „skandalösen Vorgängen“ und Packelei zwischen ÖVP und FPÖ bei der Bestellung des Investmentbankers und Gesundheitsökonomen Martin Brunninger zum Büroleiter im Dachverband und von Alexander Burz von der gewerblichen Sozialversicherung zu dessen Stellvertreter.

Matthias Krenn (FPÖ), Chef des Überleitungsausschusses und künftiger ÖGK-Obmann, wies diese Vorwürfe zurück. Es sei eine renommierte Personalberatung eingeschaltet gewesen, „der kann man zutrauen, dass sie die Besten auf den Tisch gelegt haben“, sagte Krenn in einem Ö1-Interview Ende Juni. Auch dass Brunninger bereits vor der Bestellung seinen Job in London aufgegeben hatte, war aus Krenns Sicht völlig unverdächtig. „Der hat sicher ins Blaue rein gekündigt, also der hat keine Garantie gehabt.“