Ragweed
ragweedfinder.at/Katharina Bastl
Reizendes Ragweed

Ein Unkraut wird zum Politikum

Das unliebsame Unkraut Ragweed breitet rasend schnell seine Wurzeln in Österreich aus. Jedes Jahr bedroht die Ambrosia, wie die Pflanze auch genannt wird, ganze Ernten und kann überdies beim Menschen heftige Allergien auslösen. Langsam, aber sicher scheint das zum gesamtgesellschaftlichen Problem zu werden. Neben vielen Ungereimtheiten ist dabei immerhin eines klar: Los wird man Ragweed nicht mehr.

Von Südosteuropa ausgehend bahnte sich der Neophyt, der ursprünglich aus Nordamerika stammt, seinen Weg Richtung Westeuropa. Vermutet wird, dass Ragweed einst durch Saatgutlieferungen nach dem Zweiten Weltkrieg eingeschleppt wurde. Heute ist das Wachstum in Europa besonders in Ungarn und Serbien extrem hoch sowie in Tschechien, der Slowakei, Slowenien, Kroatien, in Teilen Frankreichs und Italiens.

Allergikerinnen und Allergiker leiden. Laut Schätzungen des Pollenwarndienstes der Medizinischen Universität Wien reagieren in Ostösterreich, wo die Pflanze am häufigsten auftritt, ungefähr 115.000 Pollenallergiker und -allergikerinnen auf Ragweed. Besonders schlimm ist die Belastung von Ende August bis Anfang September, denn da steht das Kraut in voller Blüte.

Neophyten

Als Neophyten werden Pflanzen bezeichnet, die sich ohne oder mit menschlicher Einflussnahme in einem Gebiet etabliert haben, in dem sie zuvor nicht heimisch waren.

„Kann bis zu Asthma führen“

Die Symptome ähneln jener anderer Pollenallergien. „Der klassische Heuschnupfen, Niesen, rote, juckende oder tränende Augen – bis hin zu Lungenbeschwerden“, erklärt Katharina Bastl, Biologin beim Pollenwarndienst, im Gespräch mit ORF.at. „Es kann bis zu Asthma führen.“ Eine Ragweed-Pflanze könne bis zu eine Milliarde Pollenkörner freisetzen.

Außerdem reiche schon eine sehr geringe Pollenkonzentration aus, um Beschwerden auszulösen: „Wir sprechen von nur vier Pollenkörnern pro Kubikmeter Luft“, sagt Bastl. Zum Vergleich: Bei Birkenpollen liegt der Wert bei zehn bis 13 Pollenkörnern pro Luftkubikmeter.

Fünf Ragweed-Pollen
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Ragweed-Pollen können beim Menschen heftige Allergien auslösen

Beunruhigend sei dieses Jahr, dass schon im Juli besonders viele Pflanzen gemeldet wurden, so die Biologin. So wurden zum Zeitpunkt des Interviews 123 Ragweed-Funde gemeldet, doch es werden mit jedem Tag mehr, wie ein Blick auf die Website des Ragweed-Finders zeigt. Darauf kann jede Bürgerin und jeder Bürger zugreifen und – nach selbstständiger Evaluierung mit Hilfe von Fotos und einer Checkliste – den Fund beim Pollenwarndienst melden. Ragweed sei relativ einfach zu erkennen, wenn es auch manchmal mit dem Beifuß verwechselt werde, erklärt Bastl. Der Pollenwarndienst ist auf Informationen aus der Bevölkerung angewiesen und gibt diese nach einer Verifizierung an die zuständigen Landesbehörden weiter.

Pollenwarndienst: Nicht alle Bundesländer kooperieren

In den Bundesländern geht man unterschiedlich mit Ragweed um. Sieben von neun konnten überzeugt werden, beim Projekt Ragweed-Finder mitzumachen. Ausnahmen sind Oberösterreich und Kärnten. „Kärnten und Oberösterreich haben aber auch ein Problem damit“, warnt Bastl. Nach einem Massenbefall in Oberösterreich, den ein Nutzer dem Ragweed-Finder gemeldet habe, habe das Land lediglich geantwortet, in Oberösterreich gebe es kein Ragweed.

Ragweed und Beifuß
ragweedfinder.at/Katharina Bastl
Ragweed-Blüte (links) und Beifuß-Blüte (rechts) zum Vergleich

„Wir wissen, dass das nicht stimmt", so die Biologin, weshalb man versucht habe, sowohl mit dem dortigen Gesundheits- als auch mit dem Umweltamt in Verbindung zu treten, aber man sei immerzu an die jeweils andere Behörde verwiesen worden. Niemand habe sich zuständig gefühlt, klagt Bastl. Gegenüber ooe.ORF.at heißt es in einer Stellungsnahme des Landes Oberösterreich: „(Es) besteht nach europarechtlichen Vorgaben keine rechtliche Verpflichtung, eine Bekämpfung innerstaatlich zu regeln. Gesetze gegen Pflanzenwachstum zu verabschieden, ist auch nicht immer der einzig zielführende Weg. Maßnahmen mit Augenmaß und Hausverstand bringen hier jedenfalls mehr.“ Straßenmeistereien seien aber auch in Oberösterreich entlang von „Infrastrukturkorridoren“ tätig.

Ähnlich sei die Erfahrung in Kärnten gewesen, berichtet Bastl. Zwar habe sich die Landesregierung dort kooperativ gezeigt, jedoch wolle man das Problem selbstständig lösen und keine Fundmeldungen des Pollenwarndienstes erhalten. „Warum, weiß ich nicht. Es wäre eine gute Unterstützung“, so die Biologin. Geld würde man jedenfalls keines verlangen.

Problemlos für Natur, aber nicht für Kultur

Wie Bernhard Gutleb von der Naturschutzabteilung des Landes Kärnten gegenüber kaernten.ORF.at sagte, erkenne man Ragweed zwar als Problem, jedoch weniger in Kärnten als in den östlichen Bundesländern. „Die Aufgabe des Naturschutzes ist der Schutz und die Förderung heimischer Pflanzen, Tiere und Lebensräume. Der Ragweed ist nicht Teil davon, aber immerhin für die heimische Pflanzenwelt kein Problem“, so Gutleb – mehr dazu in kaernten.ORF.at.

Das stimmt zwar, sagt die Botanikerin und Ragweed-Expertin Rea Maria Hall von der Universität für Bodenkultur in Wien im Gespräch mit ORF.at, allerdings gehe es um den wesentlichen Unterschied zwischen „Natur und Kultur“. Denn wenn die Ambrosia auch hauptsächlich auf mageren Standorten wie Brachflächen, Straßenbanketten und Schotterhaufen vorkomme, sei sie trotzdem auch für Bäuerinnen und Bauern eine Last.

Traktor auf Straße im Tullner Becken
ORF.at/Dominique Hammer
Ambrosiasamen werden auch von landwirtschaftlichem Gerät weitergetragen

Insbesondere die Sommerkulturen, so in erster Linie Soja, Mais, Kürbis und auch Erdäpfel, sind jedes Jahr aufs Neue bedroht. „Bei Soja hat Ambrosia freies Spiel. Sie keimt (ähnlich wie Soja, Anm.) bei 15 Grad Bodentemperatur und verursacht massive Probleme – bis zu 70 Prozent Ertragsausfall“, schildert Hall. Herbizide, die es für Sommerkulturen sowieso kaum gebe, würden auch nur zum Teil wirken. Kein Problem sei Ragweed hingegen für die Winterkulturen wie Winterweizen und Raps.

„Maschinen verteilen Samen weiter“

Besondere Vorsicht geboten ist bei Zuckerrübenfeldern. Sie werden laut Hall zwar nur selten durch Ragweed zerstört, „trotzdem kann es auf den Feldern richtig schöne Gebüsche bilden. Sie haben immens viele Samen, die ein Problem sind, weil sie so lange keimfähig sind“ – und zwar bis zu 40 Jahre. Werden die Rüben ab September mit den Maschinen aus dem feuchten Boden gehoben, bleiben die Ragweed-Samen an den Reifen der Erntegeräte kleben.

So setzt sich eine Spirale unermesslichen Ausmaßes in Gang: „Die dicken Maschinen fahren über Straßen, da fahren dann noch andere Autos drüber und verteilen die Samen weiter“, so Hall. Überdies werden Maschinen heutzutage „überbetrieblich“ eingesetzt, bearbeiten also unzählige Hektar in unterschiedlichen Gegenden. „Wir haben einmal die Samen auf einem Reifen ausgezählt. Es waren 8.500 Samen“, berichtet Hall.

Beseitigung: Auf den Zeitpunkt kommt es an

Um einerseits Allergikerinnen und Allergikers das Leben während der Pollensaison zu erleichtern, andererseits Ernten ertragreich zu halten, sollte man sich bereits früh der Samenbekämpfung widmen und das Problem nicht erst angehen, wenn die Pflanzen im August und September in ihrer gelben Blüte stehen, empfehlen sowohl Hall als auch Bastl.

Ragweed
Ragweed sollte vor der Blütezeit ausgerissen werden

Hier laute die Devise: Rechtzeitig mähen oder – noch besser – ausreißen. „Ausreißen ist das Effektivste – unbedingt vor der Blützeit“, empfiehlt Bastl. „Aber bitte mit Handschuhen von jemandem, der kein Allergiker ist. Wenn es geht auch mit Augenschutz, eventuell auch Mundschutz.“ Das Ausreißen aber wird bei zunehmender Fläche zur Herausforderung, doch auch beim Mähen gelten dieselben Regeln: Vor der Blüte, aber ab einer bestimmten Höhe. Bei rechtzeitiger Entfernung können die Pflanzen dann bedenkenlos liegen gelassen werden, ergänzt Hall.

Für die Landwirtschaft kommt laut der Botanikerin allerdings noch eine weitere Erschwernis hinzu: Hat ein Bauer bzw. eine Bäuerin eine von der EU-geförderte Brachfläche, so müssen Regeln befolgt werden, um Förderungen nicht zu verlieren. Diese würden besagen, so Hall, dass 50 Prozent einer Brachfläche nicht vor dem 15. August gemäht werden dürfen – zu diesem Zeitpunkt könnte die Ambrosia aber schon in Blüte stehen. Bei Verstößen müsse die Förderung trotzdem zurückgezahlt werden – und das Ragweed wuchert weiter.

Burgenland zieht Konsequenzen

Das Burgenland sehen viele Expertinnen und Experten derzeit als Vorreiter in Sachen Ragweed-Bekämpfung. Hall mahnt allerdings, die Maßnahmen auch wirklich konsequent umzusetzen – unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Betroffenen. Mit dem neuen Ragweed-Gesetz will das Burgenland nämlich Grundstückseigentümerinnen und -eigentümer dazu verpflichten, Ambrosia auf ihren Flächen selbst zu vernichten. Bei Verstößen droht eine Strafe in der Höhe von bis zu 3.000 Euro. In Kraft treten soll das neue Gesetz mit 1. Jänner 2020 – mehr dazu in burgenland.ORF.at.

In den anderen Bundesländern sind derzeit keine strengen Gesetze vorgesehen, obwohl das Problem vor allem auch in Wien und Niederösterreich besteht. Die Stadtgartendirektion Wien setze auf Schulung der Angestellten und Beratung von Einzelpersonen, wie es gegenüber wien.ORF.at heißt. Und auch in Niederösterreich seien bereits bestehende Maßnahmen ausreichend, so die für Gesundheit zuständige Landesrätin Ulrike Königsberger-Ludwig (SPÖ). Man arbeite aber intensiv mit dem Pollenwarndienst zusammen – mehr dazu in noe.ORF.at.

Maßnahmen von ASFINAG und ÖBB

Wichtige Player bei der Bekämpfung sind auch ASFINAG und die ÖBB. ASFINAG-Pressesprecher Alexander Holzedl berichtet ORF.at, Ragweed trete „grundsätzlich entlang des gesamten Streckennetzes“ neben den Autobahnen auf. Man sei auf das Thema sensibilisiert, der Mähzeitpunkt werde optimiert. Vor allem die Mittelstreifen seien eine logistische Herausforderung, jedoch sehe man von chemischen Mitteln weitgehend ab: „Die ASFINAG verzichtet nämlich seit 2015 freiwillig auf den Einsatz von Glyphosat“, so Holzedl. Wo Ragweed auftauche, erfahre man über das hauseigene „Grünraummanagement“ und über aufmerksame Autobahnmeister. Auch auf Meldungen im Ragweed-Finder gehe die ASFINAG ein.

Ragweed am Bahnhof Wien-Floridsdorf
Ein Ragweed-Busch beim Bahnhof Floridsdorf in Wien

Bei den ÖBB seien insbesondere Baustellen und Güterumschlagplätze Ragweed-Problemstellen, heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme. Auch die Bundesbahnen sprechen die EU-Gesetzgebung an, da sich Ambrosia auf keiner Liste der Bekämpfungspflicht befinde. „Pflanzen und Unkraut stören aber den reibungslosen und sicheren Bahnbetrieb, weil sie unter anderem die Lage des Gleises negativ beeinflussen und das Gleisbett auflockern können“, so ÖBB-Pressesprecherin Juliane Pamme, weshalb gemeldete Standorte – auch jene des Ragweed-Finders – manuell bearbeitet und auch Herbizide eingesetzt würden. „Die Herausforderung, die Pflanze zur Gänze ‚fernzuhalten‘, liegt dabei eher im Umfeld: z. B. Ackerflächen, auf denen nichts passiert und die weitaus umfangreicher mit Ragweed bewachsen sind und entsprechend streuen“, heißt es in der Stellungnahme weiter.

„Wir müssen lernen, mit ihr zu leben“

Doch ist Ragweed überhaupt noch irgendwie nachhaltig zu bekämpfen? Selbst wenn man die Pflanze in Österreich eindämmt, gibt es schließlich immer noch den Pollenflug aus den Nachbarländern. Auch die Klimakrise könnte, sofern die Temperaturen hoch sind und die Luft feucht, die Verbreitung von Ambrosia weiter begünstigen. Wenn sie auch für Allergikerinnen und Allergiker besonders heikel sei, möchte Hall der Pflanze dennoch einen „zeitgeschichtlichen“ Aspekt geben, wie sie sagt: Mensch und Umwelt hätten schließlich immer gelernt, sich anzupassen. „In 50 Jahren ist das auch erledigt. Man muss das a la longue sehen.“

Deshalb ist die Botanikerin mit einem Forschungsteam energisch auf der Suche nach einem Nutzen von Ragweed. Hall zufolge gibt es schon kleine Erfolge: Das ätherische Öl von Ragweed habe eine Herbizidwirkung. So konnte in einem ersten Versuch das Keimen von heimischem Unkraut durch Einsatz des Ragweed-Öls verhindert werden. In einem weiteren Versuch sei auch das Pilzwachstum auf Weinblättern durch das Besprühen mit Ambrosia unterdrückt worden. 2020 rechnet Hall mit fundierten Ergebnissen. Der Ansatz, die Pflanze komplett loswerden zu können, ist der Botanikerin zufolge jedenfalls unrealistisch. „Wir müssen lernen, mit ihr zu leben“, so Hall.