Filmszene aus „Anna“ mit Hauptdarstellerin Sascha Luss
Constantin Film
Luc Bessons „Anna“

Fantasieversion der starken Frau

Für den Krimi „Anna“ hat Regisseur Luc Besson („Leon – Der Profi“) eine scheinbar neue Heldin erfunden: Model, Doppelagentin, Killerin. Das Schnittmuster zu dieser Figur ist allerdings reichlich altvaterisch und Bessons Fantasieversion der starken Frau.

Alle wollen sie, die atemberaubende, weißblonde Russin, die ganz neu ist auf den Pariser Laufstegen. Doch das junge Model Anna Poliatova, gespielt von dem russischen Model Sasha Luss, hat ein Geheimnis: Sie ist Profikillerin im Auftrag des KGB. Mit ihrer Schönheit lockt Anna ihre Opfer in die Falle.

Nicht zum ersten Mal inszeniert Besson eine Frau als Präzisionswaffe im Auftrag einer finsteren Macht: „Nikita“ aus dem Jahr 1990 um eine Mörderin, die statt ihrer Gefängnisstrafe ein Training zur Topspionin durchläuft, war der erste Film, mit dem der Franzose bewies, dass Frankreich sich bei kommerzieller Action nicht hinter dem US-Kino verstecken muss. Ein zweites Mal gelang ihm das 18 Jahre später, als Autor und Produzent des Liam-Neeson-Vehikels „96 Hours“.

Die Puppe in der Puppe

Die „Nikita“-Formel kommt in „Anna“ erneut zum Einsatz. Wieder handelt der Film von einer ursprünglich verletzlichen, geprügelten jungen Frau, die sich zur perfekten Agentin formen lässt, ihrem Auftraggeber gegenüber aber immer in einer Zwangslage bleibt. Dabei spielt Besson mit dem Bild der Matroschka, jener russischen Puppe–in–der–Puppe, die Anna an einem Souvenirstand verkauft, als sie zu Filmbeginn von einem französischen Modelscout entdeckt wird.

Filmszene aus „Anna“ mit Luke Evans (Alex) und Sascha Luss (Anna)
Constantin Film
Anna (Sasha Luss) wird von einem KGB–Agenten (Luke Evans) angeworben

Alles an Anna ist Schein, jede Version dieser Frau entpuppt sich wieder als Fassade, jede halbe Stunde baut Besson erneut einen Zeitsprung ein, „drei Jahre davor“, oder „sechs Monate davor“, der die Beweggründe Annas zu erklären vorgibt. Zu ihrem Innersten gelangt der Film nie, vermutlich weil die innerste Matroschka leer ist, eine bloße Projektion von Bessons Fantasieversion einer starken Frau.

Rette sie, wer kann

Diese Frauen vom Zuschnitt Nikitas, wie auch Anna eine ist, die sich retten lassen müssen und Verführung als Mordwerkzeug einsetzen, sind keine echten emanzipatorischen Figuren. Sie existieren nur, weil ein Mann das so erlaubt: Immer wieder wird Anna entdeckt und gerettet, von dem Scout, von einem Oligarchen, von einem KGB–Agenten (Luke Evans), von einem CIA–Agenten (Cillian Murphy), von ihrem aggressiven Freund.

Filmszene aus „Anna“ mit Helen Mirren (Olga)
Constantin Film
Helen Mirren als KGB-Offizierin

Dass ihre Vorgesetzte und Endgegnerin beim KGB die Geheimdienstoffizierin Olga ist, gespielt von Helen Mirren, ändert daran wenig. Auch Annas lesbische Modelfreundin ist mehr Requisit als ernstzunehmende Figur – befriedigenden Sex hat Anna nach dem Willen des Regisseurs nur mit Männern. Originell ist das alles nicht, zumal der Film zwar nicht zu Annas Seelenleben durchdringt, aber am Ende trotzdem alles ganz genau erklärt für jene, die während der Vorstellung aufs Handy geschaut haben.

Anachronismen als Insiderwitz

Zumindest macht der Film keinen Hehl daraus, nicht in der Wirklichkeit zu spielen: Die Ausstattung ist durchsetzt von Anachronismen, ob „Anna“ vor oder nach Ende des Kalten Krieges spielt, bleibt offen: Die Existenz des KGB (statt seiner Nachfolgeorganisation FSB) weist auf Prä-1989 hin, allerdings existieren parallel Wählscheibentelefone und Smartphones, und in den Überwachungswagen von KGB und CIA laufen nebeneinander wuchtige Tonbandgeräte und moderne Überwachungssysteme. Anna ist eine Fantasiefigur in einer Fantasywelt, die nur vage an die Realität erinnert.

Trotzdem hat die Wirklichkeit auch mit diesem Film unmittelbar zu tun: Eigentlich hätte „Anna“ schon vor einem Jahr ins Kino kommen sollen, der internationale Filmstart wurde dann aber verschoben, weil neun Frauen dem französischen Regisseur übergriffiges Verhalten vorgeworfen hatten. Im Februar hieß es, die Ermittlungen seien eingestellt, eine weitere Anschuldigung werde noch geprüft.

Nun ist „Anna“ also doch ins Kino gekommen, mit Model Sasha Luss in ihrer ersten Hauptrolle, die sich in den Actionszenen gar nicht schlecht schlägt. Doch auch ein fiktiver Agentenfilm existiert in keinem Vakuum: Ist einem Film zu trauen, der seine vorgeblich starke Heldin hauptsächlich in Unterwäsche inszeniert? Wahrscheinlich nicht.