Ausgetrocknete Landschaft
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Indien

Millionenmetropole lechzt nach Wasser

Chennai kämpft seit Jahren mit Wasser: Selten einmal gibt es zu viel davon, wie im Jahr 2015, als Indiens sechstgrößte Stadt von schweren Überschwemmungen heimgesucht wurde. Oder aber es gibt zu wenig bis gar keines wie momentan: Die Seen der Umgebung sind ausgetrocknet, Millionen Menschen auf Versorgung von außen angewiesen.

Eines der einst größten Wasserreservoire der Hauptstadt von Tamil Nadu, der Chembarambakkam-See, ist heute eine zerklüftete, staubige Ödnis. Ähnlich verhält es sich mit den drei anderen Stauseen von Chennai. Die Regenfälle der Monsunzeit im letzten Jahr fielen außergewöhnlich dürftig aus – als der Sommer mit seiner schwülen, drückenden Hitze anbrach, waren die Wasserspeicher rasch leer.

Seit Ende vergangener Woche treffen nun regelmäßig mit Millionen Liter Wasser beladene Züge aus dem Landesinneren ein. Das soll die Mindestversorgung der Stadt sicherstellen, bis der Monsunregen kommt. Die Regenzeit in Indien hat zwar bereits im Juni begonnen, aber noch nicht das ganze Land erfasst. In Chennai fallen die meisten Niederschläge gewöhnlich erst zwischen Oktober und November.

Satellitenbilder zeigen den Puzhal Lake in Chennai
Diese Satellitenaufnahmen (links von Dezember 2018, rechts von Juli 2019) zeigen das stete Schwinden des Puzhal-Sees bei Chennai

Sehenden Auges in die Krise

Bis dahin wird das Wasserkontingent für die Einwohnerinnen und Einwohner kontingentiert, die Brunnen der Stadt öffnen nur stundenweise – sofern sie überhaupt noch Grundwasser enthalten. Wer als Erster zur Entnahme drankommt, entscheiden die Behörden per Los. Die Ersten bekommen noch klares Trinkwasser, diejenigen am Ende der Schlange müssen meist mit einer braunen Suppe das Auslangen finden.

Die Erderwärmung hat die Krise in Chennai zweifelsohne verschärft, angesteuert wurde sie aber sehenden Auges. Durch unkontrolliertes Wachstum, mangelnde Instandhaltung von Stauseen und Überentnahme von Grundwasser durch Behörden und private Grundbesitzer wurde das fruchtbare Umland zerstört. Die Seen und Felder, die einst den Regen gespeichert haben, wurden teils zugeschüttet und verbaut – Land schien in „Indiens Detroit“, dem Zentrum der Autoindustrie, zu teuer, um es brach liegen zu lassen. Die Einwohnerzahl wurde 2011 mit 4,6 Millionen angegeben, seitdem dürfte sie zumindest um zwei Millionen gewachsen sein.

Frauen mit Wasserkanister
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Stundenlanges Anstehen für ein wenig Wasser gehört in Chennai zum Alltag

Vorsorge vernachlässigt

Auch durch bessere Vorsorge hätte das Ausmaß der Wasserknappheit verringert werden können. Wenn die Menschen in Tamil Nadu statt für Tankladungen Trinkwasser ihr Geld für Ausrüstung zum Auffangen und Speichern von Regenwasser ausgegeben hätten, stünden sie nun bei der Wasserversorgung auf eigenen Beinen, sagte etwa der in der Provinz bekannte Meteorologe Pradeep John. Entsprechende Maßnahmen hatte die Landesregierung im Jahr 2003 sogar ergriffen, berichtete unlängst National Public Radio (NPR).

Per Gesetz wurden alle Landbesitzer aufgefordert, vor dem Anzapfen des Grundwassers eine Genehmigung einzuholen. Außerdem wurde die Regenwassernutzung in allen Gebäuden vorgeschrieben. Durchgesetzt wurden diese Bestimmungen allerdings nie wirklich, 2013 durch eine Verordnung schließlich wieder aufgehoben. Ursprünglich waren neue Reglementierungen vorgesehen, sechs Jahre später fehlen diese allerdings nach wie vor.

Zug in Chennai
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Die Millionenstadt ist derzeit auf Notrationen von außen angewiesen

Mit den damaligen Bemühungen betraut war die gemeinnützige Organisation Rain Center. „Sammelt das Regenwasser, es ist kostenlos. Das ist unser Motto“, beschreibt Gründer Sekhar Raghavan sein Ziel, das er 16 Jahre später alles andere als erreicht sieht. Nicht viele Menschen seien bereit gewesen, in Abflussrohre und Zisterne zu investieren. „Niemand hat sich darum gekümmert. Jetzt merken alle, dass es kein Wasser mehr zu kaufen gibt“, zitierte NPR Raghavan.

„Das ist ein Weckruf für uns alle“, sagte Raghavan. „Dürren, Überschwemmungen – sie werden künftig noch schlimmer werden, weil sich die Stadt weiterentwickelt und immer größer wird. Wir müssen jetzt unsere Gewohnheiten ändern.“

Ministerium der hehren Wünsche

Chennai ist nur ein Beispiel für die drohende Dürre in Indien: Teile des 1,3-Milliarden-Einwohner-Landes sind während der Sommermonate verlassen, weil die dortigen Brunnen versiegt sind. Laut einem 2018 veröffentlichten Bericht herrscht auf dem Subkontinent die bisher schlimmste Wasserkrise, rund 200.000 Menschen sterben jährlich als Folge einer unzureichenden Wasserversorgung. Bis 2030 soll der Wasserbedarf etwa zweimal so hoch sein wie die verfügbaren Ressourcen, in 21 größeren Städten könnte bis 2020 das Wasser ganz ausgehen – davon wären rund 100 Millionen Menschen betroffen.

Als Reaktion hat die Regierung in Neu-Delhi vor wenigen Wochen ein neues Ministerium für Wasserkraft gegründet, das die „Wasservorräte für unsere Kinder und künftige Generationen bewahren soll“. Das Ziel von Premierminister Narendra Modi ist es, bis 2024 alle Haushalte des Landes mit sauberem Trinkwasser zu versorgen. Dagegen spricht zurzeit leider vieles.